Mannheim. Eine Frau sitzt lässig da, breitbeinig, dem Betrachter zugewandt und die Arme auf den Lehnen des leichten Sessels. Auf ihrem T-Shirt liegen in Brusthöhe zwei Spiegeleier, die eine nackte Oberweite vortäuschen - so, als ob der Stoff hier ausgeschnitten wäre. Das wiederum korrespondiert mit den blauen Jeans der Frau, die tatsächlich löchrig sind. Unweigerlich richtet sich der (männliche) Blick auf die Spiegeleier. Und man sieht sich getäuscht, begreift aber schnell, dass es hier um die Natur oder auch nur soziale Konvention des Begehrens geht - und um deren witzige Ironisierung. Alles das, denkt man dann, verrät der Blick der Frau, die einen ernst, aber hintergründig ansieht. Es ist ein Schauen, das den konventionellen Blick entlarvt. Und das tut ja auch die ganze inszenierte Fotografie der britischen Künstlerin Sarah Lucas mit dem schlichten Titel „Selbstporträt mit Spiegeleiern“.
Sinn für Menschliches in der Ausstellung in der Mannheimer Kunsthalle
„Sense of Human“ heißt die Ausstellung, die ihr die Mannheimer Kunsthalle widmet. Es geht eben um den Sinn für Menschliches, den Lucas’ Kunst charakterisiert. Und „human“ klingt und liest sich fast wie „humour“, Humor, den die Arbeiten ebenfalls bezeugen. Männliche Lust und weibliche Rollenbilder - das sind die Leitthemen der international gefragten Künstlerin. Sie umspielt Lucas immer wieder, die in den 80er Jahren im Kreis der „Young british artists“, zu dem auch Damien Hirst zählte, bekannt wurde. Und Lucas ironisiert sie stets aufs Neue. Das unternimmt, ausgehend vom menschlichen Körper, die 1962 geborene Künstlerin in verschiedenen Stilen und Techniken - in Fotografien ebenso wie in skulpturalen Arbeiten und Installationen.
Kuratorin Luisa Heese hat für die sehenswerte Schau mit retrospektivem Charakter im Museumsneubau gut 60 Arbeiten der Künstlerin zusammengestellt. Die frühesten stammen aus den 1980ern, als Lucas ihren eigenen Stil entwickelte. Die jüngsten Arbeiten wurden eigens für die Ausstellung in der Kunsthalle hergestellt - oder werden jedenfalls hier erstmals gezeigt. Es ist die erste Einzelschau der Künstlerin in einem deutschen Museum seit 2005 - was die Kunsthalle nun einmal mehr auch für ein überregionales Publikum interessant macht.
Menschen und Möbel - das fügt sich zusammen
Insgesamt zeichnet die Arbeiten eher ein rauer Charme aus. Hochästhetische Ansichten im herkömmlichen Sinn darf man nicht erwarten, dafür aber viele alltägliche Materialien. Frühe Fotografien sind geprägt vom rauen Arbeitermilieu, dem Lucas entstammt. Ein schwarz-weißes Bild zeigt sie auf altem Mobiliar sitzend vor einem Second-Hand-Laden. Schon hier fasst sie die Betrachter genau ins Auge. Überhaupt die Möbel: Ein Schreibtisch, Schrank oder eine Tiefkühltruhe verteilen sich im Raum, als Bestandteil von Installationen oder für sich stehend.
Menschen und Möbel, das fügt sich zusammen; auch das zählt zum „Sense of Human“. Eine alte Badewanne ist vertreten, die Erinnerungen weckt an Duchamp oder Beuys. Eine abgewetzte Matratze, die neben dem Porträt mit Spiegeleiern zu Lucas’ bekannteren Arbeiten zählt, ist ebenfalls dabei: „Au Naturel“ heißt das 1994 gefertigte Ding. Als Besonderheit und komische Darstellung von Geschlechtsmerkmalen ragen auf einer Seite zwei Melonen hervor, auf der anderen eine Salatgurke mit zwei kleinen Mandarinen.
Sarah Lucas in Mannheim
- Die Künstlerin Sarah Lucas wurde 1962 in London geboren und zählte zur Gruppe der „Young british Artists“, die Ende der 1980er Jahre international bekannt wurde.
- In ihren Fotoarbeiten, Installationen und Skulpturen stellt Lucas mit Witz soziale Normen und Geschlechterklischees infrage. Oft finden Alltagsdinge Eingang in ihre Kunst.
- Zu sehen bis 20. Oktober. Eröffnung: Donnerstag, 6 Juni, 19 Uhr. Öffnungszeiten: Di, Do bis So 10 bis 18 Uhr, Mi 10 bis 20 Uhr.
- Zur Ausstellung in der Kunsthalle ist ein aufschlussreicher Katalog erschienen. Preis im Museumsshop: 32 Euro.
- Allgemeine Informationen zur Schau und zum Begleitprogramm: www.kuma.art
Kunsthistorische Referenzen findet man hier öfter: Ein riesiges Sandwich erinnert an die „Soft Sculptures“ von Claes Oldenburg. Oder man denkt an Kunstweltstar Jeff Koons, dessen knallige, ballonartige Figuren den gefüllten Strumpfhosen von Lucas ähneln. Aus solchen prallen Strümpfen formt Lucas allerhand, zum Beispiel eine drollige Kaskade weiblicher Brüste. Am Beginn der Schau, schon im Foyer, begrüßen einen sechs Bronzefiguren, für die erneut die Strumpfdinger als Vorlage dienten: Was man sieht, erinnert bevorzugt wieder an Brüste und Phalli.
Ein echter Blickfang ist die Installation „666“: ein schicker knallgelber Triumph-Sportwagen, auf dem sich kuriose Wesen räkeln, weiblich offenbar, bestehend fast nur aus langen Beinen, die in Stiefeletten stecken, sowie großen Brüsten und Langhaarperücken. Natürlich wird auch hier ein Geschlechterklischee aufs Korn genommen, zusammen mit der Werbe-Ikonographie der 1960er und 70er Jahre. Doch da ist noch mehr: Zugleich bedrängt einen die Frage, wie sich Bilder fortentwickelt haben - und wie sich jede und jeder persönlich zu ihnen verhält.
Mehr als nur interessant sind auch die weiteren Fotoarbeiten: Immer ist Sarah Lucas selbst zu sehen, die allein schon durch ihre androgyne Erscheinung Geschlechter- und Rollenzuweisungen infrage zu stellen scheint. Mehrmals sitzt sie auf einer Kloschüssel; einmal hält sie den Spülkasten in Armen und verweist so erneut auf ausgesprochen menschliche Angelegenheiten. Auf der Arbeit, welche die anregende und originelle Schau beschließt, hockt Lucas da, und zwischen ihren in orangenen Sportschuhen steckenden Füßen thront ein Totenschädel. Menschlich, allzumenschlich ist schließlich auch die Vergänglichkeit - doch man sollte die Zeit nutzen, um ein sinnhaltiges Leben zu führen. Und man weiß ja: Der Umgang mit Kunst kann dazu durchaus beitragen.
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