Mannheim. Die Nervenheilanstalt Birkenhain hat geöffnet - und freut sich über eine ganze Warteschlange von begeisterten Patienten. Denn auch, wenn ein Sanatorium für gewöhnlich nicht der Ort sein dürfte, nach dem sich der gemeine Bürger sehnen mag: Wenn die Berliner Rapper von K.I.Z. ihre Aufwartung machen, fühlt sich selbst der deprimierteste Zuhörer wie ein „VIP in der Psychiatrie“.
In der restlos ausverkauften Mannheimer Maimarkthalle ist es genau dieses Brett, mit dem das Hip- Hop-Trio aus der Bundeshauptstadt seine Aufwartung macht - und damit vieles von dem Phänomen erklärt, das Tarek, Maxim und Nico zu ihrer Popularität verholfen hat: Humor in der Härte. Denn auf seine lyrischen Qualitäten sollte und kann man das Liedgut von K.I.Z. keineswegs reduzieren. Oftmals schon im Titel vielsagende Nummern wie „Unterfickt und geistig behindert“, „Lecken im Puff“ oder „Bitte sag’s nicht meiner Freundin“ sind genau das, was sie verheißen - Provokation. Die ist aber melodisch im auch optisch auf der Bühne eindrucksvoll arrangierten Tollhaus der Gesellschaft so hervorragend aufbereitet, dass sie schlichtweg zum Fest wird. Bewusste Zuspitzung als Stilmittel würden das die einen nennen - entgrenzte Souveränität im immer inhaltsleereren Gangsta-Rap-Game nennen das die Fans.
Konzert als „Urlaub für’s Gehirn“
Auch und ganz besonders die aktuelle K.I.Z.-Platte „Rap über Hass“ vermittelt dieses Emblem - nicht zuletzt deswegen, weil man allein die Bezeichnung doppeldeutig lesen kann. Denn gerappt wird an diesem Abend auch über Hass. Über Hass in der Politik („Danke Merkel“), Hass in der deutschen Nation („Ellbogengesellschaft“) und auch Hass als soziales Problem („Hartz IV“). Dennoch ist gerade die gefühlte Unverschämtheit einhellig vorgetragener Beleidigungen und Asozialitäten auch ein Zeichen der Erhabenheit. Oder mit anderen Worten: Wenn sich die Zeilen von K.I.Z. bewusst alles erlauben können, stehen sie über allem - auch über dem Hass.
Diesem Prinzip folgend gestaltet sich der Abend in der Maimarkthalle in seinem Verlauf regelrecht als Lehrstunde des Deutschraps in Mannheim. Selbstverständlich kann man dabei infrage stellen, ob sich die steile These, dass „Bier“ tatsächlich gegen Hämorrhoiden hilft, wirklich so halten lässt - doch die Party-Parole stellt genau hier und jetzt in diesen Stunden zu epischen Pyro-Flammen jedenfalls niemand in Frage. Weil Konzerte wie diese im wahrsten Sinne des Titels „Urlaub für’s Gehirn“ sind.
Denn die Fans erleben einen Abend, der Gesellschaftskritik versprüht, ohne so zu klingen. Er vermittelt Moral, ohne mit dem drohenden Zeigefinger aufzuwarten. Und genau deshalb wird er so intensiv und vollumfänglich gefeiert. Denn selbstverständlich wissen auch die überwiegend jungen K.I.Z.-Anhänger dieses Abends sehr wohl über die Krisen der Welt Bescheid - doch anstatt sich darüber auch in den freien Stunden den Kopf zu zerbrechen, wollen sie lieber deutlich und ohne jede Scham herausschreien: „Hurra, die Welt geht unter!“
Ohne Zweifel vermitteln K.I.Z. mit dieser Philosophie keine Kunst für jeden - das war fairerweise aber auch nie der Anspruch eines Trios, das lieber auf die Zwölf geht, anstatt zu gefällig zu werden. Und fairerweise darf man auch einwenden, dass selbst diejenigen, denen die reine, weil unreflektierte, Provokation zu weit geht, angesichts der beißenden Satire von Künstlern wie diesen Dreien entgegnen könnten: „Gar nicht mal so schlecht“.
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