Nicht wenigen fällt es schwer, zu beurteilen, wie ernst die gern extrem überspitzten Texten des Berliner Hip-Hop-Trios K.I.Z. gemeint sind. Vier Jahre nach ihrem ersten Nummer-eins-Album „Hurra die Welt geht unter“ veröffentlicht Rapper und Sänger Tarek Ebéné als Tarek K.I.Z. sein erstes Soloalbum „Golem“ mit größtenteils sehr persönlichen Texten. Aber der 33-Jährige verzichtet auch nicht auf die typischen Provokationen: Im Song „Bang Bang“ inszeniert er sich als Kanzlerattentäter, im Video zu „Nach wie vor“ richtet er unter Neonazis, die stark an prominente AfD-Politiker erinnern, ein Blutbad an wie im Tarantino-Film. Im autorisierten Telefoninterview sprach er über die Grenze zwischen Fiktion und Autobiografischem auf „Golem“, die Wirkung seiner Lieder, Rhein-Neckar-Rapper wie OG Keemo oder Apache 207 und sein Konzert am 26. Februar in der Heidelberger Halle 02.
Tarek, Ihre Band K.I.Z. war zuletzt extrem erfolgreich, ist in den großen Hallen angekommen und die letzte Platte ist bald fünf Jahre alt. Warum machen Sie jetzt ein Soloalbum?
Tarek K.I.Z.: Warum nicht?
Weil Texte wie „Bang Bang“ genau so gut auf ein K.I.Z.-Album passen würden? Viele andere sind dafür zu ernsthaft oder persönlich. Wie entscheiden Sie, was über welchen Kanal erscheint?
Tarek K.I.Z.: An die Themenauswahl bin ich ganz einfach herangegangen: Es geht um das, was mich bewegt. Darunter sind viele Themen abgefrühstückt, die jeden von uns betreffen. Wie Beziehungen – zur Partnerin, zu Eltern oder zur eigenen Sucht. Wenn man sich nicht in Plattitüden verliert, kann es einen emotional abholen. Das macht den Unterschied.
Plattitüden sind offensichtlich nicht Ihr Ding. Viele Texte gehen emotional sehr ans Eingemachte. Wie selbsttherapeutisch haben Sie die Arbeit an Liedern wie „Kaputt wie ich“, „Letzte Chance“, dem sehr bewegenden „Frühlingstag“ oder „Liebe“ empfunden? War das hilfreich für Sie?
Tarek K.I.Z.: Das hat mich weitergebracht, weil ich dadurch die Fähigkeit erworben habe, auch solche Songs auf Albumlänge zu schreiben. Das gibt einem einen Endorphin-Flash (lacht). Dass Songs Therapie sind, hoffe ich tatsächlich – für andere Leute, die sich darin wiederfinden. Und dass es ihnen Trost gibt. Ich weiß, dass ich solche Songs selbst immer gern gehört habe, darum habe ich sie in dieser Richtung gemacht. Ich mag melancholische, düstere Songs. Dementsprechend hat das Album diesen Grundton.
Die Lieder scheinen nicht einfach autobiografisch zu sein. Vielmehr verschwimmt die Grenze zwischen Lyrischem Ich und Ihrer eigenen Erfahrung immer wieder. Kann man das Verhältnis zwischen Dichtkunst und Realität quantifizieren?
Tarek K.I.Z.: Es ist auf jeden Fall so, dass ich immer weiß, von was ich spreche. In der einen oder anderen Strophe spiele ich mit Übertreibung – einfach, damit es Kunst bleibt und keine trockene Abhandlung zu einem Thema wie Kokainsucht gibt. Dazu kann ich sagen: Ich war nie so schwer abhängig, habe aber mit Drogen herumexperimentiert. In der Branche, meinem Bekannten- und Freundeskreis ist es aber wie ein Virus verbreitet. Daran sind viele Freundschaften zu Bruch gegangen. Vielleicht beschreibe ich eher diese Leute und lasse meine eigenen Erfahrungen miteinfließen. Wieviel Prozent das ausmacht, weiß ich nicht. Und ob man das so trennen kann. Ich versuche, die gesamte Gefühspalette abzudecken: Und bei Liebeskummer weiß ich zu 100 Prozent, von was ich rede. Bei Gewalt auch.
Woran kann der Hörer Fiktion oder die K.I.Z.-typische Überspitzung von echter Erfahrung unterscheiden?
Tarek K.I.Z.: Ich denke, man hört es an der Präzision der Texte, an der Art der Betrachtung oder der Formulierungen. Ich merke auf 100 Meter Entfernung sofort, ob mir jemand Kalendersprüche um die Ohren hauen will oder ob er sich öffnet. Wer zum Beispiel „Frühlingstag“, den Song über den Tod meines Vaters, hört und denkt, der wäre Fiktion, hat einen an der Waffel. Das ist offensichtlich echt. Aber das ist mal mehr, mal weniger so. Im Lied „Letzte Chance“ zum Thema häusliche Gewalt habe ich einfach den recht klassischen Fall genommen, dass jemand vom Opfer zum Täter wird. Hier wäre meine eigene Geschichte etwas zu kompliziert, um sie in drei Strophen zu fassen. Trotzdem habe ich die Gefühle, die ich da beschreibe, erlebt. In genau dieser Form.
Speziell das Lied über Ihren Vater – ich stelle es mir schwer vor, damit auf die Bühne zu gehen, weil man vorher nicht genau wissen kann, wie es einem live damit geht. Sie auch?
Tarek K.I.Z.: Ich habe es schon live gespielt, im Vorprogramm von Casper und Marteria. Es war tatsächlich nicht so leicht. Aber ich selbst will als Hörer ja berührt werden. Und wenn ich einen Künstler sehe, dem ein Song nicht leicht fällt, weil er ihn so berührt, dann macht es das Ganze nur noch größer. Ich glaube auch, dass es heilsam ist. Weniger für mich, mehr für die Leute, die es hören. Das ist doch der Sinn von Kunst: Es soll mich und die Leute nicht kalt lassen.
Wie sieht das Programm am 26. Februar in der Halle 02 aus – die zwölf Songs von „Golem“ und die K.I.Z.-Greatest-Hits?
Tarek K.I.Z.: Ich habe bei K.I.Z. schon einige Solo-Songs gemacht. Was davon ins Konzept passt, werde ich neben den neuen Sachen spielen. Das wird eher keine Show, bei der sich vor der Bühne dauernd Mosh Pits bilden – wobei es die Momente dafür auch geben kann.
Erstaunlich, wenn man K.I.Z.-Shows kennt. Überhaupt klingt bei Ihnen solo nicht nur emotional ein breites Spektrum an, auch musikalisch sind viele Einflüsse zu hören.
Tarek K.I.Z.: Das freut mich. Ich gehe selbst sehr viel auf sehr unterschiedliche Konzerte. Ich liebe die Auftritte von Rammstein, aber auch von Prince. Oder Fleetwood Mac.
Neben der AfD-Hinrichtung im „Nach wie vor“-Video dürfte die eher K.I.Z.-typische Selbstinszenierung als Kanzlerattentäter im Text zu „Bang Bang“ für den meisten Gesprächsstoff sorgen. Entgeht man durch derartige Hyper-Überspitzung der Gefahr, missverstanden zu werden, wie es dem Mannheimer Xavier Naidoo mehrfach passiert ist?
Tarek K.I.Z.: Ja, unsere Texte bieten schon viel Fläche, um missverstanden werden zu können. Die Gefahr ist hoch. Aber das ist auch der Spaß an der Sache. Auf „Golem“ spielt der Aspekt eher eine Nebenrolle. Für manche ist es eine Provokation, dass ich jetzt Lieder ganz ohne ironische Brechung über mein Innenleben veröffentliche. Ich weiß nicht, ob Xavier Naidoo missverstanden wird. Ich liebe übrigens sein erstes Album. Es ist für mich stilprägend gewesen und hat mich in seiner Ästhetik sehr beeindruckt.
Was hat Sie zum fiktiven Kanzlerattentat inspiriert?
Tarek K.I.Z.: Zu dem Song muss man sagen, dass er die Funktion hat, das Album etwas aufzulockern. Da nimmt das Ganze etwas Tempo auf, auch beattechnisch, ist textlich etwas asozial. Man kann auch in die Tiefe gehen und den Querverweis im Video zu „Ticket hier raus“ rausstellen, wo auf der Titelseite einer „Bild“-ähnlichen Zeitung die Schlagzeile „Schüsse auf den Kanzler“ zu sehen ist. Dieses Video ist eine Dystopie, in der man eine nahe Zukunft abgebildet sieht, in der Militär durch die Innenstadt zieht und auf einer Litfaßsäule Werbung für eine Künstliche Intelligenz zu sehen ist, die man käuflich erwerben kann. Und ich finde es gar nicht so unrealistisch, dass es in naher Zukunft einen Kanzler geben könnte, der aus der Partei kommt, die wir alle so lieben.
Sie meinen die AfD ...
Tarek K.I.Z.: Es ist auch legitim, wenn man gegen sie mal ein Zeichen setzt – wie durch ein Attentat im Text. Kennen Sie den Hitler-Attentäter Georg Elser? Ich finde, das ist ein toller Typ.
Apropos Hitler: Beim großen Auftritt von K.I.Z. bei Rock am Ring 2015 in Mendig sah ich mit meinem Notizbuch und den grauen Schläfen wohl irgendwie erziehungsberechtigt oder offiziell aus. Denn während Sie das Lied „Ich bin Hitler“ gerappt haben, kamen reihenweise Zuhörer zu mir und fragten, ob man so was überhaupt öffentlich singen darf.
Tarek K.I.Z.: Ist ja sehr lustig! Aber das Lied hat gerade auf Festivals eine beängstigende Wirkung. Wenn Zehntausende den Refrain mitskandieren ... bei Rock am Ring waren es mehr als 50 000. Da war sogar ich kurz perplex. Aber jeder Mensch, der eine zweifelhafte politische Haltung hat, dem haben wir längst klar gemacht, wie wir uns positionieren.
Rammstein scheinen genau diese Wirkung bei ihren Liedern schon mitzudenken und als Teil des Gesamtkunstwerks einzukalkulieren. Sie auch? Bei K.I.Z.-Zeilen wie „Boom, boom, boom, ich bring euch alle um. Ich sprenge eure Demo und es regnet Hackepeter“ – oder jetzt Ihren „Grüßen“ Richtung AfD?
Tarek K.I.Z.: Dass man im Vorhinein mitdenkt, wie die Reaktion ist, das macht jeder Künstler ein Stück weit, glaube ich. Mir ist auch klar, was bestimmte Zeilen oder Szenen auslösen können. Das ist dann einfach wie ein Schlag gegen das Wespennest, kein politischer Diskurs. Eher ein Tritt gegen das richtige Schienbein. Selbst wenn dass ihren Opfermythos noch stärkt, dass man als Deutscher in Deutschland verfolgt wird und so weiter. Ich werde mich den Leuten, die damit gemeint sind, nicht erklären und mich niemals dafür entschuldigen. Denn das, was speziell von dieser Partei an Menschenverachtung verzapft wird, hat reale Auswirkungen, Tag für Tag. Dass sie durch eine gediegene Diskussion zum Umdenken zu bewegen wären, glaube ich eh nicht.
Sie haben den Opfermythos der AfD angesprochen. Als Teil der Provokationsspezialisten K.I.Z wissen Sie doch selbst am besten, dass jede Form von Publicity am Ende doch Publicity ist, oder?
Tarek K.I.Z.: Na klar. Das Provozieren haben doch die Leute perfektioniert, die davon reden, dass der Holocaust ein Vogelschiss in der Geschichte wäre. Ich nehme auch gern die Promo mit und finde es lustig, dass es Teil des Kunstwerks wird, wenn sich die Dämlichkeit der Anhängerschaft dieser Leute in Kommentarspalten im Internet selbst enttarnt. Da schreiben welche: „Man stelle sich vor, man würde so ein Video mit einer Doppelgängerin von Angela Merkel drehen!“ Als ob ich so ein Video nicht auch mit Angela Merkel drehen würde!
Beeindrucken Sie die Drohungen, die sich im Internet auch finden?
Tarek K.I.Z.: Nein. Das werde ich oft gefragt. Wenn etwas passieren würde, wäre auch das Teil des Kunstwerks (lacht).
Seit den Pionierzeiten der Heidelberger Advanced Chemistry und Torch hat jahrelang kein Rap-Album aus Mannheim und Umgebung bundesweit eingeschlagen. Dann hat sich Kurdo kommerziell etabliert, es folgten Animus oder Greeen, zuletzt wurden OG Keemo und Apache 207 ganz groß gefeiert. Nimmt ein Hauptstadtrapper diesen Boom der Rhein-Neckar-Szene wahr?
Tarek K.I.Z.: Ich wusste gar nicht, dass Mannheim so nah an Heidelberg liegt. Ich kenne Linguist von Advanced Chemistry sogar ein wenig über meine Tante – und ihr „Fremd im eigenen Land“ ist einfach ein großartiger Song. Auch noch nach fast 30 Jahren. Torchs „Blauer Samt“ habe ich geliebt und ständig gehört, als ich um 2000 zurück nach Deutschland gekommen und durch die Hauptstadt gefahren bin. Ansonsten bin ich natürlich im Bilde, auch wenn ich mich musikalisch nicht nur an Rap orientiere. Das beginnt gerade erst, sich etwas zu ändern. Generell finde ich, dass fast jeder Künstler mal einen großartigen Song hat. Das gilt auch für die von Ihnen Genannten. Wobei OG Keemo raptechnisch gerade die Adresse ist, der Mann, auf den sich alle einigen können. Der ist schon krass. Apache ist gerade auf einem Popstar-Level ziemlich groß. Bei ihm finde ich es schön, wie er mit Melodien spielt. Das sind beides Disziplinen, die mich reizen: Ich wollte immer gut rappen können, aber auch gut singen und poppige Melodien einbauen.
Sie haben eine interessante Stimme. Auf „Golem“ wird sie permanent mit der Stimmkorrektur-Software Autotune verfremdet. Warum?
Tarek K.I.Z.: Es geht um das Klangbild. Auch bei großartigen Stimmen, längst nicht mehr nur bei Leuten, die nicht singen können. Aber Autotune ändert nichts daran, dass du einen guten Text schreiben, mit Flow rappen und eine schöne Melodie finden musst. Ich habe es schon vor 16 Jahren bei meinem allerersten Song benutzt. Ich mag einfach dieses Stilmittel, den Klang.
Zur Karriere: In der Hauptstadt gründete er mit den Rappern Maxim Drüner und Nico Seyfrid sowie DJ Craft die Hip-Hop-Formation K.I.Z., die von Beginn an mit fast satirisch überspitzten Texten provoziert. Die erste Veröffentlichung „Das RapDeutschlandKettensägenMassaker“ erschien 2005 bei Marcus Staigers Label Royal Bunker. Die ersten regulären Alben „Hahnenkampf“ (2007) und „Sexismus gegen Rechts“ (2009) erschienen beim Branchenriesen Universal und erreichten die Top Ten. „Urlaub fürs Gehirn“ brachte 2011 den Durchbruch zum Mainstream-Publikum. Der Nachfolger „Hurra die Welt geht unter“ erreichte Platz eins der Charts und wurde mit Gold ausgezeichnet. Seitdem haben K.I.Z. Headliner-Status bei großen Festivals bis hin zu Rock am Ring und spielen Tourneen in 10 000er-Hallen.
Zum Album: Sein Solo-Debüt als Tarek K.I.Z. „Golem“ erscheint am 31. Januar.
Zum Konzert: Mittwoch, 26. Februar, 20 Uhr, Halle 02 Heidelberg. Karten (32 Euro plus Gebühren) unter halle02.de. jpk
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/leben/veranstaltungen-mm_artikel,-veranstaltungen-tritt-gegen-das-richtige-schienbein-_arid,1593870.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.dehttps://www.mannheimer-morgen.de/dossiers_dossier,-_dossierid,80.html
[2] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html
[3] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/heidelberg.html