Mannheimer Reden

Katja Wolf nennt Kompromiss den „Königsweg der Demokratie“

Für ihre Ansichten erhält Ministerin Katja Wolf bei den Mannheimer Reden immer wieder Applaus vom Publikum. Bis das Gespräch auf Russland und die Ukraine kommt.

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Ute Maag
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Katja Wolf spricht in Mannheim unter anderem ganz offen über ihre politische Laufbahn. © Christian Kleiner

Das Wichtigste in Kürze

  • Bei den Mannheimer Reden spricht Ministerin Katja Wolf über Ostdeutschland, den Umgang mit der AfD, ihr Wechsel zum BSW und die Gefahr eines kaputt gespaarten Staates.
  • Ihr Auftritt hatte im Vorfeld der Veranstaltung polarisiert.
  • Ihre Haltung zu Russland und der Ukraine wirkt widersprüchlich und wenig überzeugend. Sie fordert mehr Diskussionen über friedliche Lösungen und vertraut auf internationale Diplomatie.

Mannheim. Wohl noch nie hat die Einladung eines Gastes zu den Mannheimer Reden so polarisiert. Wobei sich das Unbehagen, das sich vor der Veranstaltung in den Social-Media-Kanälen der Gastgeber und in persönlichen Anfragen beim Schauspiel-Intendanten des Mannheimer Nationaltheaters, Christian Holtzhauer, sowie Christof Hettich, dem Vorstandsvorsitzenden der SRH-Holding, entlud, weniger gegen die Person Katja Wolf richtete als gegen die Partei, der die Thüringer Politikerin sich im vergangenen Jahr angeschlossen hatte: das kurz zuvor gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Und so schickte Holtzhauer der 13. Mannheimer Rede im Alten Kino Franklin eine Erklärung voraus, die fast eine Rechtfertigung war und keinen Geringeren als Michel Friedmann zitierte. Drei Wochen zuvor hatte der Rechtsanwalt, Philosoph und Publizist an gleicher Stelle für eine Sternstunde der 2017 etablierten Diskussionsreihe gesorgt. „Wir! Streiten! Nicht! Genug!“, stellte er in einer pointierten Ansprache fest. „Warum wir dieser Partei hier ein Forum geben?“, fragte Christian Holtzhauer also und gab die Antwort gleich selbst: Weil der Dialog über gesellschaftlichen Zusammenhalt auch Streit bedeute und es durchaus zielführend sein könne, dass „wir uns mit Positionen konfrontieren, die möglicherweise konträr zu den eigenen Überzeugungen stehen“.

Ministerin Katja Wolf: Offen, reflektiert und oft sympathisch-verschmitzt

250 Menschen scheuten diese Konfrontation nicht und wurden Zeugen eines sehr kurzweiligen, persönlichen und erhellenden Gesprächs zwischen der Finanzministerin und stellvertretenden Ministerpräsidentin des Landes Thüringen und dem SWR-Redakteur Claus Heinrich. Die gebürtige Erfurterin antwortete zwei Stunden lang offen, reflektiert und oft sympathisch-verschmitzt auf die Fragen des Moderators und des Publikums, wissend, dass einige ihrer Positionen Widerspruch herausforderten. „Ich habe sie in ihrer Zeit als Oberbürgermeisterin der Stadt Eisenach kennengelernt und war gespannt, wie sie ihre lösungsorientierte, pragmatische Art mit manchen Positionen des BSW in Einklang bringt“, erklärte Christof Hettich. „Wie sie sich hier präsentiert hat, war mutig, aufschlussreich und eine Bereicherung für unseren Diskurs.“

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Ausgehend von der Biografie der gebürtigen Erfurterin entlockte Moderator Claus Heinrich Katja Wolf klare Bekenntnisse zum Verhältnis zwischen Ost- und Westdeutschen, zum Regieren ohne Mehrheit und zum Zustand der Demokratie. Sie sei 1992 als 16-Jährige in die PDS eingetreten und später in die Politik „so reingeschlittert und ein bisschen auch geschubst worden, weil die PDS junge Frauen suchte, um ihre Quote zu erfüllen“, verrät sie. Als Oberbürgermeisterin hätte sie 2012 vermutlich nicht kandidiert, wenn sie gewusst hätte, dass sie gewinnen würde, „weil ich es mir nicht zugetraut hätte“. Ihre Wiederwahl sei ein besonderes Gefühl gewesen: „Ich glaub, ich hab‘ das ganz gut gemacht.“ Dennoch sei sie 2024 bewusst in die Landespolitik gegangen: „Ich hätte nicht Oberbürgermeisterin sein wollen unter einem Ministerpräsidenten Björn Höcke.“

Das war Wolfs Antrieb zum Wechsel zum BSW

Ihr Wechsel zum BSW nach 31 Jahren bei der Linken sei die schwierigste Entscheidung ihres politischen Lebens und Resultat einer schleichenden Entfremdung gewesen: „Mein Eindruck als Kommunalpolitikerin war, dass die Linke die Bedürfnisse der Menschen nicht mehr im Blick hatte.“ Genau das sei aber ihr Antrieb: „Das Leben der Menschen besser machen und ihnen das Gefühl geben, dass die Politik sich um sie kümmert.“ Im BSW hat sie sich schon mehrfach die Freiheit der abweichenden Meinung genommen: Gegen den Willen ihrer Parteivorsitzenden Sahra Wagenknecht hat sie erfolgreich die Brombeer-Koalition in Thüringen verhandelt und regiert nun gemeinsam mit der CDU und der SPD ohne Stimmenmehrheit im Landtag. Gegen den Widerstand Wagenknechts ist sie zur Wiederwahl als Co-Landesvorsitzende angetreten und hat die Kampfabstimmung gewonnen. Und auch ihre Aussage zur Kunst des Kompromisses in der Politik käme der BSW-Gründerin so sicher nie über die Lippen. Sie sei ein glühender Fan des Ringens um den Ausgleich widerstreitender Interessen, bekannte Katja Wolf in Mannheim: „Der Kompromiss ist der Königsweg der Demokratie.“

Vom Gespräch ihres Fraktionsvorsitzenden Frank Augsten mit der AfD habe sie gewusst: Angesichts der Sperrminorität der AfD im Thüringer Landtag müssten die Regierungsparteien Wege finden, die Funktionsfähigkeit staatlicher Institutionen zu erhalten und die rechtssichere Ernennung von Richtern zu ermöglichen. Dass über die Lösung dieses Problems mit dem AfD-Fraktionsvorsitzenden gesprochen werden musste, sei „nicht appetitlich, aber auch nicht zu verhindern“. An ihrer eigenen Haltung zu Björn Höcke lässt sie keinen Zweifel: „Er ist ein Mensch mit einem zutiefst rechtsradikalen Weltbild und Politikansatz. Für mich kann es keine Zusammenarbeit mit der AfD geben.“

Viel Raum im Gespräch nimmt das ihrer Meinung nach mangelnde Verständnis der Westdeutschen für die Menschen in Ostdeutschland und deren nicht überwundene Traumata ein. Der Bundesministerin für Forschung, Technologie und Raumfahrt, Dorothee Bär, die kürzlich behauptet hatte, Ulf Merbold – und nicht Sigmund Jähn – sei der erste Deutsche im All gewesen, lässt sie ausrichten: „Es tut unserem Land nicht gut, wenn ein Teil von ihm nicht stattfindet.“ Und an die Zuhörer im Saal gerichtet sagt sie: „Solange Sie denken, der Ost-Hit ‚Über sieben Brücken‘ sei von Peter Maffay, haben wir ein Problem miteinander.“ Für die fremdenfeindliche Einstellung vieler Ostdeutscher äußert sie zwar kein Verständnis, aber mögliche Erklärungen: die im Osten höhere Dynamik der Zuwanderung – und das Gefühl, die staatliche Unterstützung Geflüchteter sei größer als die der Ostdeutschen nach der Wende.

Keine Lösung, wie der Krieg beendet werden könnte

Immer wieder erhält Katja Wolf für ihre Aussagen spontanen Applaus zumindest von Teilen des Publikums: für ihren Rat an die Bundes- und Landespolitik, öfter mal die lokale Brille aufzusetzen, für ihre Warnung, Sparen an sogenannten „freiwilligen Leistungen“ sei „Sparen am gesellschaftlichen Kitt“ und für ihr Plädoyer für mehr direkte Demokratie. Doch als sie in der lebhaften Fragerunde dem Publikum ihre Haltung zu Russland und dem Krieg in der Ukraine erklären soll, wirkt ihre Argumentation ausnahmsweise widersprüchlich und wenig überzeugend. Es brauche eine Partei, die sich gegen die Kriegslogik stelle: „Wir müssen mehr über friedliche Lösungen reden statt über Waffensysteme.“ Natürlich dürfte man die Ukraine nicht schutzlos ausliefern, müsse aber auch das Sicherheitsbedürfnis Russlands respektieren. Eine Lösung, wie der Krieg beendet werden könnte, hat sie nicht anzubieten, das gibt sie später beim Empfang im Theaterfoyer noch einmal zu: „Da müssen wir auf die internationale Diplomatie vertrauen.“

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