Mannheim. Es fängt schon tierisch gut an. Im Foyer des Alten Kinos Franklin lehnt ein Löwe im schicken Anzug lässig an einer Säule und blättert im Programmheft. Ein paar Schritte weiter betrachtet eine elegante Eulen-Dame an der Wand hängende Fotos der NTM-Produktion „Die Dreigroschenoper“. Gott sei Dank, denkt man, sehe ich keine weißen Mäuse. Nach dem ersten Schreck ist klar: Was sich da in wahrlich exzellenten Masken und Kostümen (Romy Liebig und Stephan Thoss) unter das Premierenpublikum mischt, ist gelungener Auftakt der Inszenierung.
Man hätte es sich gleich denken können, setzt Tanzintendant Stephan Thoss den Titel seines eröffnenden Eigenbeitrags zur vierteiligen Neuproduktion „Just A Game“ sprachlich doch zwischen die Gattungen Mensch und Tier. „Humanimal“ heißt der Halbstünder zu Streicherklängen Bryce Dessners.
Es ist fraglos der aufwendigste Teil des inklusive Pause gut zweistündigen Premierenabends, dem ein hintergründiger Dschungel (Bühne: ebenfalls Stephan Thoss) das entsprechende Wildlife-Kolorit gibt. Abgegrenzt zur Vorderbühne ist er durch ein riesiges Gitter, das das Streichquartett aus Giulia Cellacchi, Yoon Jihye, Alexander Nowikow und Carlotta Raiser außen vor lässt. Der Verve, mit der sie sich Bryce Dessners „Aheym for Strings“ widmen, tut das keinen Abbruch.
Elf Tänzerinnen und Tänzer der Thoss-Compagnie folgen ihren akkuraten, blitzschnellen, bedrohlichen Läufen nicht minder synchron. Hochenergetisch sind die exakt korrespondierenden Schritte, weitausladenden Spreizungen und präzisen Gruppenbilder.
Der Vierteiler
- In der Uraufführung „Humanial“ untersucht Tanzintendant Stephan Thoss das Verhältnis von Mensch und Tier.
- Giovanni Visone inszeniert in seiner Uraufführung „Tafteh“ das Spiel des Lebens.
- Das Choreographenduo Rebecca Laufer & Mats van Rossum, zeigt in „Clay“ ein spannungsvolles Beziehungsspiel zwischen Frau und Mann. Am Ende steht „Mutual Comfort“ von Edward Clug.
- Wieder am 29. Oktober sowie am 8. und 16. November im Alten Kino Franklin. Karten unter: 0621/16 80 150.
Choreographischer Appell zur Wertschätzung der Kreatur
Nicht nur zwischen Zuschauern sitzen kostümierte Tiere, auch die Tänzer erhalten animalischen Besuch, nehmen die Flügelschläge der Geier, das Schlängeln des Reptils und das Lauern des Reptils in ihren Bewegungsabläufen auf. „Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe / so müd geworden, daß er nichts mehr hält. / Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe / und hinter tausend Stäben keine Welt.“ Rainer Maria Rilkes „Panther“ hat da wenig Hoffnung. Stephan Thoss Choreographie ist nichts weniger als ein fulminanter tänzerischer Appell zur Wertschätzung jeglicher Kreatur.
Einen Coup landet Mannheims Tanzchef auch mit dem Engagements Giovanni Visones, mit dessen Choreographie „Tafteh“ der Abend weitergeht. „Gewebt“ heißt das auf Persisch und findet sich im deutschen Wort „Taft“ wieder. Der Italiener hat hierzu – im (Web-)Rahmen seines auch bühnenbildnerischen Wirkens – weiße Bänder aus dem Bühnenhimmel auf den Tanzboden gespannt. Alexandra Chloé Simon, Emma Kate Tilson, Anna Zardi, Lorenzo Angelini und Leonardo Cheng nehmen gekonnt die Fäden auf. Wie im wahren Leben schlängeln sie sich durch, knüpfen Kontakte und Netzwerke, verbinden sich zur Gruppe – und knüpfen so gemeinsam am Teppich des Lebens. Zum Techno-Sound von David Nigro finden sie unter mitreißender Dynamik mal Rücken an Rücken zur Gruppe, lösen sich auf und suchen andere Anbindungen. Besonders spannend sind hier die Positionsauflösungen, die sich immer anders, mal roboterhaft, mal in kunstvollen Erschlaffungsvorgängen vollziehen.
Herausragendes Tanztheater-Duo mit akrobatischer Begabung
Den großen Auftritt haben hernach Dora Stepusin und Joseph Caldo in „Clay“, ein Duo, das wiederum eine ganz andere Sprache spricht. Rebecca Laufer und Mats van Rossums choreographischer Beitrag ist pantomimisch-artistisches Tanztheater, das die Langeweile eines eingespielten Paares porträtiert, das gemeinsam einsam ist. In Zeitlupe beginnt das passiv-aggressive Nebeneinander, das immer akrobatischer und anspruchsvoller wird, und auch im „Cirque du Soleil“ eines guten Programmplatzes würdig wäre.
Bewegungsfarben, Körperpositionen und Perspektiven ändern sich buchstäblich im Handumdrehen. Mal kantig hart, dann wieder kleinteilig und sanft sind Umgang und Annäherung dieser beiden Individuen, die so gerne eines wären.
Hier trifft gestische Paar-Depression auf beiläufig wirkende Höchstleistung. Stepusin und Caldo gehen dabei an ihre Grenzen und werden dafür vom Publikum gefeiert.
Titelgemäß etwas versöhnlicher geht es zum Finale in „Mutual Comfort“ zu, wo „Gegenseitiger Trost“ die menschlichen Beziehungen rettet. Die gleichnamige Komposition Milko Lazars gibt der Choreographie des Rumänen Edward Clug ausreichend kleinteiligen Raum für solche komplexen zwischenmenschlichen, ja gar empathischen Begegnungen.
Carlotta Raiser, Cathleen Wagner (beide Cello) treffen dabei live – und musikalisch wahrlich fulminant – auf die Pianos von Kai Adomeit und Konstantin Mortensen. Ästhetisch erinnert das präzise Quartett aus Arianna Di Francesco, Natsuho Matsumoto, Albert Galindo und Nicola Prato an die Jazz-Ballette der 1960er Jahre, ein wenig Nostalgie darf also auch sein.
Stephan Thoss ist mit „Just A Game“ ein weiterer großer Ensembleabend mit unterschiedlichen Handschriften gelungen. Dass im Tanzhaus guter Geist herrscht, ist so offensichtlich wie die künstlerische und technische Leistungshöhe seiner Compagnie. „Nur spielen“ will hier keiner, hier nimmt man den Tanz sehr ernst. Das kann aber ganz schön unterhaltsam sein.
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