Mannheim. Seine drei Echos stehen immer noch auf dem Fensterbrett in einem Mannheimer WG-Zimmer. Deshalb hat Joris am Freitag beim Doppelkonzert mit Popsängerin Namika im Rahmen des Zeltfestivals auf dem Maimarktgelände quasi ein Heimspiel. Im Interview mit dieser Zeitung bilanziert der Popakademieabsolvent unter anderem sein zweites Album „Schrei es raus", gibt einen Ausblick auf seinen Auftritt und erinnert sich an den Anschlag von Ansbach 2016.
Joris, Sie sind mit Ihrer zweiten Platte „Schrei es raus“ auf Tournee. Kommen Sie jetzt schon in die Situation, im Konzert „alte“ Fan-Lieblinge weglassen zu müssen?
Joris: Es ist tatsächlich schwieriger geworden. Mit der ersten Platte haben wir einfach alles gespielt, was man spielen konnte. Andererseits hat man jetzt auch die Möglichkeit, Abend für Abend mehr zu variieren. Da ich mich nach dem Konzert oft noch gern mit den Leuten unterhalte, höre ich da schon mal: „Schade, dass dieser oder jener Song nicht dabei war.“ Dabei spielen wir meisten zwei Stunden und zwanzig Minuten. In Mannheim wohl etwas weniger, weil wir vor Namika auftreten.
Da ist herauszuhören, dass die Joris-Live-Show technisch nicht komplett durchstrukturiert und festgelegt ist wie viele Konzerte.
Joris: Ja, da ist schon Raum für Spontaneität. Die großen Produktionen, die das einschränken, haben natürlich auch ihr Gutes: Man kann einfach mehr machen. Andererseits ist es für die Technik-Crew eine große Herausforderung, wenn der Typ da vorne sich weiterhin ständig irgendwie Neues überlegt. Aber das ist für mich elementar wichtig. Denn es heißt immer noch Live-Musik und nicht „Wir zeigen euch eine Choreografie von meiner neuen Platte.“ Ich bin mir sicher, dass das die Leute am Ende auch merken und mögen. Vor allem ist echte Live-Musik das, was ich besonders liebe.
Sie sind am Freitag beim Zeltfestival im Doppelpack mit Namika zu sehen. Da die Frankfurterin stark Hip-Hop-beeinflusst ist, überwiegen ja die Unterschiede zwischen Ihnen. Oder wie ordnen Sie sie ein?
Joris: Ich sehe Namika in erster Linie als tolle Sängerin. Wir sind auch ungefähr zur selben Zeit auf die größeren Bühnen gerutscht. Diese Hip-Hop-Affinität finde ich sehr spannend an ihr. Sie kann sehr gut rappen, trotzdem, trotzdem gibt es große Popsongs von ihr.
Singen Sie in Mannheim etwas gemeinsam auf der Bühne?
Joris: Wir werden bestimmt etwas zusammen machen. Das finde ich bei solchen Gelegenheiten immer besonders schön. In der Festivalsaison trifft man ja immer wieder auf Künstler, wo es nicht auf der Hand liegt, dass es musikalisch perfekt zusammenpasst. Aber bei Namika und mir gibt es sicher Anknüpfungspunkte. Und Musik soll ja Menschen zusammenbringen.
Sehr viel weniger schön war Ihre Erfahrung beim Festival Ansbach Open am 24. Juli 2016. Wie sehr hängt Ihnen und Ihrer Band der Sprengstoffanschlag mit einem Toten und 15 Verletzten psychisch noch nach? In der kürzlich beim Festival „The Look Of Sound“ präsentierten Dokumentation „Joris - Ich bin jetzt“ nimmt das Thema großen Raum ein.
Joris: Solche außergewöhnlichen Situationen muss man immer eine Zeit lang verarbeiten - das ist ja zum Beispiel auch bei schweren Autounfällen so. Das bleibt bei einem. Und wenn in nicht allzu großer Entfernung eine Bombe hochgeht, weiß man besonders zu schätzen, was man am Leben hat. Wir haben danach sehr, sehr viel geredet - das hat geholfen. Aber am wichtigsten ist etwas, dass auch in den noch relativ unreflektierten Spontaninterviews in den Film rauskommt: Man darf nicht das Opfer bleiben! So etwas kann leider immer und überall vorkommen - siehe der Amoklauf in Christchurch oder die Attentate auf die Kirchen in Sri Lanka. Wir müssen jeden Tag dafür Sorge tragen, dass dem Denken der Nährboden entzogen wird, dem solche Angriffe entspringen.
Ein Trauma haben Sie nicht zurückbehalten?
Joris: Das belastet mich jetzt nicht täglich. Durch diese Erfahrung ist es mir aber umso wichtiger, das Leben zu genießen und das wirklich Wichtige mitzunehmen. Aber es gibt schon Flashback-Momente, wenn ich irgendwo etwas knallen höre. Letztes Jahr setzte es bei einem Konzert irgendwo ein Feuerwerk ein, da hatten wir erst mal kurz das Bataclan-Szenario von den Anschlägen in Paris 2015 in den Köpfen.
In dem Film sieht man auch, wie aufwendig Sie und Ihre Band die zweite Joris-Platte in einen kleinen Ferienhaus im Süden und einem sicher nicht billigen großen Studio in Fulda geschrieben und aufgenommen haben. Wie fällt mit etwas Abstand Ihre Bilanz zu „Schrei es raus“ aus?
Joris: Man muss ja vorher eine Entscheidung treffen, was einem künstlerisch wichtig ist. Es ging mir nicht darum, das Debütalbum unbedingt noch zu toppen. Mit dem großen Erfolg und den drei Echos von Kritikern, Publikum und Verkaufszahlen hatte ich 2015 nicht unbedingt gerechnet, aber dann hatte ich ihn schönerweise schon. Danach wollte ich auf der zweiten Platte die etwas progressiveren Töne unterstreichen. Von daher bin ich nach wie vor sehr stolz auf die Platte. Generell ist momentan nicht die Zeit der großen Albumverkäufe, weil viele Hörer per Streaming ja fast alles immer parat haben.
Wären Sie lieber in den 1980er Jahren groß rausgekommen? Da hätten Sie mit einem Hit ausgesorgt.
Joris: Eher nicht - wenn ich an die Mode denke (lacht). Natürlich hat ein Musiker da locker zehnmal mehr Platten verkauft. Aber es kommt meiner Meinung nach wieder, dass die Leute ein gut gemachtes ganzes Album zu schätzen wissen. Ausnahmen wie Billie Eilish zeigen ja, dass es auch heute funktionieren kann.
Sind schon Konsequenzen für das dritte Album absehbar?
Joris: Konsequenzen nicht, aber Inspiration. Dieses „Mit Kanonen auf Spatzen“-Produzieren haben wir jetzt mal gemacht. Der Traum von viel Zeit im großen Studio ist erfüllt. Die dritte Platte wird sich auf jeden Fall wieder ganz anders anhören.
Gibt es das WG-Zimmer in Mannheim noch, in dem die Echos auf dem Fensterbrett stehen?
Joris: Das gibt es noch - und es ist sogar relativ frisch geputzt, weil ich im Frühjahr mal wieder längere Zeit in Mannheim sein konnte. Zu den Echos haben sich noch ein paar andere Preise gesellt - auf die Mannheimer „Fensterbank of Fame“ (des Ruhms). Das wäre doch eine gute Überschrift (lacht).
Das Interview wurde telefonisch geführt und von Joris autorisiert.
Joris und das Zeltfestival
Zur Person: Joris Buchholz wurde am 1. Dezember 1990 im niedersächsischen Stuhr geboren und wuchs im ostwestfälischen Vlotho auf. Nach dem Abitur ging der Musik-Autodidakt 2009 an die Berliner Hochschule der Populären Künste. Zwei Semester später wechselte er an die Mannheimer Popakademie, wo er seine Band kennenlernte. Im April 2015 stieg das Debütalbum „Hoffnungslos hoffnungsvoll“ auf Platz 3 ein. Allein die Single „Herz über Kopf“ verkaufte sich mehr als 400 000 Mal. 2016 gab’s dafür drei Echos. Das zweite Album „Schrei es raus“ erreichte im Oktober 2018 Platz 13 der Charts
Zum Zeltfestival-Auftritt: Für das Doppelkonzert von Joris und Namika am Freitag, 7. Juni, kosten die Karten an der Abendkasse 45 Euro. Einlass ist ab 17 Uhr. Von 18 bis 18.30 Uhr spielt der Mannheimer Songwriter Julian Philipp David. Um 18.50 Uhr folgt Joris und singt bis 20.10 Uhr. Namikas Auftritt soll um 20.40 Uhr starten und bis 22 Uhr dauern. jpk
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