Mannheim. Aktions- und zugleich Zuschauerraum ist die Bühne. Bei der Premiere von Simone Dede Ayivis Installation „Unauthorized und Unverschämt“ bekommt das 30 bis 50 Personen starke Publikum Kopfhörer überreicht und die Zusage, man könne sich die Sitzgelegenheit selber suchen (es stehen unter anderem Plastikstühle bereit). Während der Darbietung könne man auch nach Belieben den Standort wechseln. Das tut dann aber fast niemand, das in der Mehrzahl junge Publikum guckt und lauscht wie gebannt.
Installation über ausgeblendetes Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte
Es geht um ein ausgeblendetes Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte, nämlich um die Nachkommen schwarz-amerikanischer Soldaten und ihrer weißen deutschen Kontaktpersonen. Die Installation war bereits in anderem Format in den Berliner Sophiensälen zu sehen und wurde in Mannheim auf den Aktionsort zugeschnitten - der könnte authentischer nicht sein im Alten Kino Franklin. Dass eine schwarze Künstlerin wie Simone Dede Ayivi und ihre Mitarbeiterinnen, Kompliz*innen genannt, sich des Themas annehmen und nicht etwa weiße Deutsche, ist Teil dieser Geschichte, die sich bis heute fortsetzt. Immerhin ist das Projekt eine Kooperation mit dem Mannheimer Stadtensemble.
Die Regisseurin
- Das Projekt „Unauthorized und Unverschämt“ von Simone Dede Ayivi basiert auf Erfahrungen der fünf Interviewpartner*innen Eleonore, Elija, Rekha und Marvin, die Videos besorgte Jones Seitz, Lichtdesign Frieder Miller, Musik und Ton Johannes Birlinger.
- Simone Dede Ayivi, 1982 in Hanau geboren, lebt in Berlin und macht Theater aus schwarzer feministischer Perspektive, wobei sie den Schwerpunkt auf Migration und Kolonialismus legt. „Unauthorized und Unverschämt“ ist nicht ihre erste Arbeit in den Sophiensälen, bereits 2014 schuf sie mit „Performing Back“ eine „Erinnerungsperformance zur deutschen Kolonialgeschichte“.
- Das Mannheimer Stadtensemble am Nationaltheater wurde 2018 gegründet und besteht aus rund 30 Menschen verschiedener Altersgruppen, Herkunft, Geschlecht und Muttersprache. Künstlerische Leiterin ist Beata Anna Schmutz.
- Weitere Aufführungen Sa, 13. Juli, um 16 und 19.30 Uhr, und So, 14., Juli, 19.30 Uhr. Kartentelefon 0621-1680 150.
Die Bühne von Mirjam Pleines ist eine Mischung aus deutsch-bürgerlichem Ambiente mit einem Hauch amerikanischer Alltagskultur und mehreren Videoprojektionen, mal auf Monitor (Gehäuse mit künstlichem Buchsbaum überzogen), mal auf großer, gebogener Hängeleinwand. Auf dem an einen Sportplatz erinnernden Fußboden mit abgezirkelten roten und grünen Bereichen kann man sitzen oder liegen, die Fläche ist begrenzt von einer Reihe grün ummantelter Kugeln - Betonstopper gegen Durchgangsverkehr? - und obligaten Gartenzwergen. In einer Ecke eine Fünfzigerjahre-Musiktruhe, aus der immer mal zeitgenössische Jugend-Munterkeit erklingt. Dass auch die Nebelmaschine gelegentlich ihren Inhalt ausstößt, ist eigentlich entbehrlich.
Video-Interviews erinnern an verdrängte Schicksale
Der Kern besteht nämlich aus den Video-Interviews mit fünf anonym bleibenden Personen, die zu den Betroffenen gehören - vier Frauen und ein Mann sind die Kinder schwarzer Amerikaner in der deutschen Gesellschaft. Sie erzählen von ihrer Kindheit ohne Familie, sie zitieren Behördenakten und wie schwierig bis unmöglich es später war, ihre Eltern überhaupt kennenzulernen.
Die Fünf kamen zwischen 1945 und 1965 zur Welt, sie gehören zu den Menschen, die der weißen deutschen Gesellschaft ein Trauma vor die Nase halten, das diese nicht wahrnehmen möchten. Nein, da ist kein Druck auf die Tränendrüsen, da sind Fotos im Vorraum vom Alltag der Schulkinder und Erwachsenen, da sind Fakten wie die, dass wohlmeinende deutsche Behörden nicht wussten, was sie mit den Kindern anfangen sollten - bei den Müttern lassen? Auf keinen Fall - die waren ja meist ledig, in einem Fall gar minderjährig, ledige Frauen hatten damals kein Recht, ihre Kinder selbst großzuziehen, die kamen ins Heim oder zu Pflegefamilien. In einem Fall wurde eine Frau noch während der Geburt bedrängt, ihr Kind zur Adoption freizugeben.
Viele Paare hätten gern geheiratet - dagegen stand das amerikanische Kriegsrecht, das „Fraternisierung“ mit den besiegten „Feinden“ verbot, häufig wurden Soldaten versetzt oder in die USA zurückbeordert, um die Beziehung zu zerstören. In einem Interview berichtet eine Frau, sie habe als Erwachsene mühsam die New Yorker Telefonbücher nach ihrem Vater durchgearbeitet, um ihn zu finden.
Es geht Simone Dede Ayivi um Akzeptanz in der Gesellschaft
Das Team um Simone Dede Ayivi besteht in der Mehrzahl aus selbstbewussten schwarzen Frauen. Sie wollen akzeptiert werden als das, was sie sind: schwarze Deutsche. Es hätte sie eigentlich nicht geben dürfen: „unauthorized“ bedeutet „nicht genehmigt“, also illegal. Und unverschämt sind sie noch dazu, weil sie nun mal da sind und ihr Recht auf Leben reklamieren, ihr Recht darauf, sie selbst zu sein wie jeder andere Mensch.
Das klingt so nachvollziehbar, so rational. Wie die Betroffenen aber selber mit ihrem Trauma zurechtkommen, wird von dem Projekt nicht thematisiert. Woher nehmen sie ihre kulturelle Stabilität - aus der unfreundlichen deutschen, der gebrochenen amerikanischen, der zerstörten afrikanischen Kultur? Ihr Recht, sie selbst zu sein, stellt auch eine Forderung an die deutsche Gesellschaft: Integration ist keine Einbahnstraße, sondern die Aufgabe, Menschen nicht als Störfälle, sondern als Menschen zu erkennen.
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