Mannheim. Wie Schwarze Kinder der Nachkriegszeit ihr Leben und eine Bewegung formten“ – damit setzt sich die begehbare Installation „Unauthorized und Unverschämt“ auseinander, die ab 11. Juli im Alten Kino Franklin am Mannheimer Nationaltheater (NTM) zu sehen ist. Die Recherchearbeit von Simone Dede Ayivi & Kompliz*innen ist eine Koproduktion mit den Berliner Sophiensælen und dem Stadtensemble des NTM. Wir sprachen darüber mit Regisseurin Simone Dede Ayivi.
Frau Ayivi, was werden wir in „Unauthorized und Unverschämt“ sehen und erfahren können?
Simone Dede Ayivi: Ich habe Gespräche geführt mit schwarzen Menschen aus Mannheim und aus dem Rhein-Main-Gebiet, aus Frankfurt, die zwischen 1946 und 1965 – das war meine Zeiteingrenzung – als Kinder von schwarzen US-Soldaten und weißen deutschen Müttern geboren wurden. In der Installation können wir deren Stimmen hören, ich habe sie gebeten, mir ihre Geschichte zu erzählen. Und mit ihren Biografien, die sie mit uns teilen, teilen sie einfach ein sehr wichtiges Stück Zeitgeschichte und deutscher Nachkriegsgeschichte. Und, wie ich finde, ein Stück Geschichte, das noch nicht so oft erzählt wurde.
Engagierte Regisseurin und Autorin
- Simone Dede Ayivi studierte Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis an der Universität Hildesheim. Die in Berlin lebende Regisseurin und Autorin macht Theater aus schwarzer feministischer Perspektive.
- Mit ihren Kompliz*innen entwickelte sie Performances in Kooperation mit den Sophiensaelen, dem Pavillon Hannover, dem Künstlerhaus Mousonturm Frankfurt und dem Festival Theaterformen. Als Regisseurin war sie unter anderem am Schauspielhaus Graz und dem Theater Oberhausen tätig. Sie engagiert sich überdies bei der „Initiative Schwarze Menschen in Deutschland“.
- Bei „Unauthorized und Unverschämt – „Wie Schwarze Kinder der Nachkriegszeit ihr Leben und eine Bewegung formten““ zeichnet Ayivi für Konzept und Text verantwortlich. Die Theater-Installation wurde bereits in Berlin gezeigt, Premiere war im Februar.
- Premiere im Alten Kino Franklin am Mannheimer Nationaltheater ist am 11. Juli, 19.30 Uhr. Die nächsten Vorstellungen finden am 12. Juli (19.30 Uhr), 13. Juli (16 und 19.30 Uhr) sowie 14. Juli (19.30 Uhr) statt. Der Vorverkauf beginnt am 3. des Vormonats, für Abonnentinnen und Abonnenten ab dem 1. des Vormonats.
- Weiterhin werden Menschen gesucht, die zwischen 1946 und 1965 als Kinder von schwarzen Soldaten und weißen Müttern geboren wurden und ihre Geschichte erzählen wollen. Kontakt: ntm.stadtensemble@mannheim.de
- Infos: www.nationaltheater-mannheim.de
Welche Form wird das haben?
Ayivi: Wir sitzen nicht im Zuschauerraum, sondern wir gehen gemeinsam auf die Bühne, dort ist unter anderem ein Baseballfeld nachgebaut. Wir waren ja auf Franklin mit unseren Interviewpartner*innen und den Kolleg*innen vom Nationaltheater und haben einen Rundgang gemacht, uns auf Spurensuche begeben und geschaut, was die Amerikaner eigentlich in Mannheim hinterlassen haben. Dass wir das Stück in der Ausweichspielstätte auf Franklin zeigen, war ein wichtiger Punkt – wir haben ein bisschen das nicht mehr existente Draußen nach drinnen geholt. Die Besucher*innen bekommen Kopfhörer auf, hören die Geschichte unserer Interviewpartner*innen, können sich Videos von unseren Begegnungen ansehen und viele Bilder aus den Jahren, in denen unsere Protagonist*innen aufgewachsen sind.
Wie war das Mannheimer Stadtensemble eingebunden?
Ayivi: Zusammen mit Beata Anna Schmutz und Nazli Saremi (Schmutz ist Leiterin des Stadtensembles, Saremi Regisseurin, Red.) haben wird Interviewpartner*innen gesucht in Mannheim. Und die, die nicht aus Mannheim waren – mir war wichtig, das noch einmal breiter aufzustellen – habe ich einfach mitgebracht. Wir haben uns von Marvin (Franklin-„Hausmeister“ Marvin Kuhn, Red.) durch Franklin führen lassen, und während dieser Führung haben sie anhand auch von Gegenständen, die man uns gezeigt hat, über ihre Kindheitserinnerungen gesprochen.
Als schwarze Künstlerin und als aktive Person in der schwarzen Community in Deutschland ist mir genau dieser Generationenaustausch so wichtig. Und dazu kann man eben in Mannheim viel finden.
Die Recherche dauert noch an?
Ayivi: Ganz ist es noch nicht fertig, ich arbeite am Thema weiter. Im Winter mache ich dazu noch ein Theaterstück in Berlin. Außerdem bin ich mir sicher, dass das Thema auch das Stadtensemble weiter umtreiben wird. Als schwarze Künstlerin und als aktive Person in der schwarzen Community in Deutschland ist mir genau dieser Generationenaustausch so wichtig. Und dazu kann man eben in Mannheim viel finden. Die Kolleg*innen vom Stadtensemble sind auch in die Archive gegangen. Das ist ein ganz wichtiger Teil, dass wir mit Material aus dem Mannheimer Stadtarchiv gearbeitet haben, mit Akten von der Jugendhilfe, wo das Schicksal oder das Leben dieser sogenannten „Brown Babies“, dieser afrodeutschen Kinder, besprochen wurde. In der Installation werden auch diese Akten zu sehen und Geschichten von Personen zu hören sein, mit denen wir nicht gesprochen haben, die aber Mannheimer Biografien sind, die wir in den Akten gefunden haben.
Auf welche Bandbreite von Lebenswegen sind Sie gestoßen?
Ayivi: Es gibt tatsächlich ganz verschiedene Facetten davon. Ich würde sagen, was aber schon prägend und das Systemische darin ist, ist, dass die Kinder ihren Müttern weggenommen wurden. Aus ganz verschiedenen politischen Gründen. Das eine ist, dass die Väter die Mütter vor allem in den frühen Jahren, in den 1940ern und 1950ern, nicht heiraten durften, da es das Fraternisierungsverbot gab. Die Väter mussten oft, sobald herauskam, dass sie sie geschwängert hatten, die Stadt oder das Land verlassen, sie wurden von der US-Army versetzt. Und eine unverheiratete Mutter durfte nach dem Gesetz nicht das Sorgerecht für ihr Kind übernehmen. Deswegen haben diese Kinder formal sofort einen Amtsvormund bekommen.
In dem Stück arbeiten wir auch mit einem Protokoll aus dem Mannheimer Wohlfahrtsausschuss, der darüber diskutiert hat, wie mit diesen Kindern umzugehen ist. Welche Hilfe sie benötigen werden, und ob man sie in Heimen einfach mit weißen deutschen Kindern zusammenbringen kann oder ob man sie trennen sollte. Es wurde aber auch die Frage gestellt, was denn die Besatzer dazu sagen: Könnten die Amerikaner nicht sagen, das wären wieder Nazi-Umtriebe, wenn wir die schwarzen Kinder nicht mit unseren zusammenbringen? Und das ist genau das, was ich zeitgeschichtlich, was ich historisch so spannend finde: Wie wurde über schwarze Kinder diskutiert, was wurde mit denen gemacht?
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