Schauspielkritik

Mannheimer Premiere zeigt: Im Krieg gibt es immer Verliererinnen

Das Mannheimer Stadtensemble beeindruckt mit „Krieg ist kein Spiel für Frauen“ im Werkhaus des Nationaltheaters

Von 
Susanne Kaulich
Lesedauer: 
Das Stück „Krieg ist kein Spiel für Frauen“ versammelt Kriegszeugnissen von Frauen und Texte von Lidiia Golovanova. Umgesetzt wird es im Studio Werkhaus vom Mannheimer Stadtensemble (von links): Maria Stickel, Tina Stottko, Marfa Vutianova, Viktoria Müller, Nina Aleri?, Claudia Pflaum-Richter, Zita Hoefer, Berrin Seker, Greta Alberti, Sari Dorian, Henriette Heinrich, Yasmin Ahmed, Amanda Kelly Godwins und Natice Orhan-Daibel. © Maximilian Borchardt

Mannheim. Tauziehen, Zombieball, Verstecken, Ochs am Berg und Reise nach Jerusalem. Hier Freund - da Feind. Abgeworfen! Verbrannt! Verloren! Gewonnen! Kein Platz mehr frei, ausgeschieden! Kinderspiele, lustig, laut und anstrengend. Voller Freude kreischen und rennen auf der Studiobühne im Werkhaus 17 Frauen des Mannheimer Stadtensembles ausgelassen herum. Die meisten sind nicht ursprünglich aus Mannheim, sondern als Migrantinnen oder deren Nachfahren hier gelandet.

"Warum gerade ich?"

„Hätte ich nicht in einem anderen Land geboren werden können?“, fragt eine. „Warum gerade ich?“ Es sind Fragen einer 15-jährigen Ukrainerin, die, so gesteht sie, nachdenken müsse über Dinge, über die andere Teenager nicht nachdenken müssen. Das tut sie nicht verzweifelt, sondern ganz abgeklärt. Was umso mehr berührt. Wie viele weitere Aussagen dieser Frauen, die zwischen den turbulenten Spielsequenzen nüchtern über ihre Kriegserfahrungen berichten, die sie sowie deren Folgen auszuhalten gezwungen sind.

Denn „Krieg ist kein Spiel für Frauen“. So lautet der Titel „einer Versammlung mit Kriegszeugnissen von Frauen und Texten von Lidiia Golovanova“, die das hier komplett weiblich besetzte Mannheimer Stadtensemble in der Inszenierung von Natasha Borenko und unter bewährter Leitung von Beata Anna Schmutz am Nationaltheater zur Uraufführung bringt.

Natasha Borenko, seit 2019 in Berlin lebende Regisseurin aus Sibirien, Psychologin und Spezialistin für Dokumentartheater hat ein Anliegen: Sie möchte Frauen den Raum geben, über ihre Kriegs- und Fluchterfahrungen in der Öffentlichkeit zu sprechen, ihre Gefühle und Erfahrungen mit dem Publikum zu teilen.

Fast wie Traumabewältigung

Fast wirkt es wie Therapie und Traumabewältigung, wenn sie über ihre am eigenen Leib erfahrenen Geschichten etwa aus Syrien und der Ukraine sprechen oder über jene ihrer Mütter und Großmütter: Vom türkischen Völkermord in Armenien 1915, von Bombennächten im Zweiten Weltkrieg, vom Biafrakrieg Ende der 1960er Jahre, von den Kriegen zwischen Irak und Iran in den 80ern, von den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien und im Kosovo in den 90ern sowie von den kriegerischen Konflikten zwischen den Kurden und der Türkei.

Was macht Krieg speziell mit den Frauen? Schon im Spiel verhalten sie sich anders als Männer. Erschreckend jedoch, wie einfachste Kinderspiele in Wort und Ziel dem Krieg ähneln! So erweist sich die dramaturgische Idee, Spiel und Kriegserzählung strukturell zu verknüpfen, als bestürzend sinnfällig. Die jeweilige Gewinnerin des Spiels bestimmt das Thema des folgenden Erzählblocks.

Rollen-Klischees dominieren

Fall nicht auf, sei eine gute Mutter und Ehefrau, halte dich aus der Politik heraus, mach die Hausarbeit, sei sexy - die Verhaltens-Klischees füllen viele Seiten Interview-Material. Lebendig, authentisch und natürlich schildern die in Alter, Herkunft und Sprache unterschiedlichen Kriegs-Zeuginnen ihre Eindrücke. Auch wenn Themen und Inhalte bisweilen leicht verrutschen oder redundant sind, die Erkenntnisse sind frappierend.

Gleichen sich doch die Aussagen, ganz egal, woher sie kommen und aus welcher Zeit sie stammen: In allen Kriegen sind Frauen Angst, Gewalt, Gräuel und sexistischen Übergriffen ausgesetzt. Gleichzeitig liegt die Fürsorge für Kinder, Hab und Gut bei ihnen, und die Stimmung ist tapfer hochzuhalten. Können doch ein schöner Sonnenuntergang auf der Flucht oder der Blick auf den Sternenhimmel durch ein zerschossenes Dach Kraft und Energie verleihen. Gleichwohl werden Frauen auf längst überkommen geglaubte Rollenmuster zurückgeworfen. Ungeachtet der Kriegsverläufe also sind immer sie Verliererinnen.

Optimistische Botschaft nach dem Weltfrauentag

Was in der Realität nicht zu ändern sein wird, lässt sich im Spiel leicht unterlaufen: Bei der letzten Runde „Reise nach Jerusalem“ landen alle gemeinsam auf einer Bank. Eng beieinander und aufeinander sitzend, lachend: Hier gibt es nur Gewinner. Sei frei, mach, was du willst und bleib, wie du bist: Das geben sie dem beeindruckten Publikum mit auf den Weg. Zumindest für den Internationalen Frauentag eine optimistische Botschaft.

INFO

Das Mannheimer Stadtensemble ist eine feste Gruppe von rund 30 Mannheimerinnen und Mannheimern, die sich am Nationaltheater in der Spielzeit 2018/19 gegründet hat. Verschiedene Altersgruppen, Herkünfte, Muttersprachen und Berufe sind vertreten.

Es wird gefördert vom Zentrum für Kulturelle Teilhabe Baden-Württemberg.

Die Themen aus der Stadt sollen ins Theater gebracht werden und Projekte mit Experimentierfreude auf neuen künstlerischen Wege verwirklicht.

Weitere Vorstellungen von „Krieg ist kein Spiel für Frauen“ im Studio Werkhaus am 27. und 28. April, jeweils 20 Uhr. Kartentelefon: 0621/16 80 150.

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen