Festspiele Ludwigshafen

Im Ludwigshafener Pfalzbau wird es dem Wiener Staatsballett zu bunt

Eine Truppe von Weltformat - und immer für eine Überraschung gut: Mit dem Dreiteiler "Kontrapunkte" setzt Martin Schläpfers Compagnie in bunten Farben auf choreographische und menschliche Gegensätze

Von 
Ralf-Carl Langhals
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Halb zog er sie ... Daniel Vizcayo und Gloria Todeschini in einer launigen Szene aus Merce Cunninghams humorvoller Paar-Etüde „duets“ in Ludwigshafen. © Ashley Taylor

Ludwigshafen. Ein wenig neben der Spur zu sein – oder sich zumindest so zu geben, ist oft gar nicht so verkehrt. In manchen Künsten gilt das als toleriert, wenn nicht gar als gewünscht. Im Klassischen Ballett hingegen ist es eigentlich undenkbar, sind die Bewegungslinien und szenischen Abläufe doch minuziös festgelegt, abgestimmt und trainiert. 23 Menschen kümmern sich beim Wiener Staatsballett – neben weiteren Ballettmeistern, Korrepetitoren und Übungsleitern – darum, dass Werke teils längst verstorbener Choreographen von einem wechselnden, 103 Männer und Frauen starken Ensemble aus Corps de Ballet, Solotänzern, Halbsolistinnen und Gästen möglichst originalgetreu auf die Bühne kommen.

Eine Compagnie mit Weltruf

„Die Wiener“ sind (wie auch ihre Kollegen die „Philharmoniker“) ein österreichischer Exportschlager allererster Qualitätsgüte, stets im Einsatz, um am Wiener Ring sowie auf den Bühnen der Welt für ihre Eleganz, Perfektion und Brillanz gefeiert zu werden, die, nun ja, so viel Einordnung muss sein, ästhetisch meist rückwärts blickt – oder blickte.

Das Wiener Staatsballett

Ballettvorstände, die seit der Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper im Jahr 1955 das Ballettgeschehen nachhaltig geprägt haben, waren nach Erika Hanka vor allem Aurel von Milloss und Gerhard Brunner.

1995 bis 2005 war Renato Zanella Ballettdirektor und Chefchoreograph des Staatsopernballetts. Mit dem Ziel einer Steigerung der Auftrittsmöglichkeiten erfolgte 2005 unter Ballettdirektor Gyula Harangozó eine Zusammenführung der Ensembles der Wiener Staatsoper und Volksoper Wien.

2010 wurde Manuel Legris zum Direktor und öffnete neue künstlerische Perspektiven. Ihm folgte zum 1. September 2020 der Schweizer Martin Schläpfer, der zuvor das Staatstheater Mainz sowie danach das mehrfach preisgekrönte Ballett am Rhein Düsseldorf Duisburg zu internationalem Rang geführt hat. rcl

2005 wurde die sagenhafte Compagnie vom „Ballett der Wiener Staatsoper“ unter Einbezug der Volksoper zum „Wiener Staatsballett“, 2010 öffnete Manuel Legris die Elite-Truppe, die auf stolze 400 Jahre Tradition blicken kann, für die tänzerische Neuzeit. Ein Prozess, der nun seit 2020 vom Schweizer Martin Schläpfer weiter vorangetrieben wird, wie das Ludwigshafener Gastspiel ein- wie auch ausdrücklich belegt. Von Mainz aus zündete Schläpfer seine Karriere-Rakete – wohl dem Tanzfreund, der diesen funkensprühenden Start miterleben konnte.

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Erst in diesem Frühsommer feierte „Kontrapunkte“ an der Wiener Volksoper Premiere, eine Zusammenstellung Schläpfers, die programmatisch zu nennen ist. Musikalisch ist ein Kontrapunkt eine der Melodie entgegengesetzte Note, mithin eine zweite Stimme, die sich an der tonangebenden bis zum Missklang reiben kann – wie etwa in Beethovens in die Moderne weisender Großen Fuge op. 133, die 1992 titelgebend von der großen Anne Teresa De Keersmaker für die Wiener choreographiert wurde.

Ein wenig, wir kommen auf den Anfang zurück, neben der Spur eben, ganz so wie das wilde Spiel des Streichquartetts aus Bettina Gradinger, Kota Morikawa, Peter Sagaischek und Roland Lindenthal.

Es wird viel gefallen, aufgestanden, gerollt, daraus aber immer die Energie für die nächste Sequenz gezogen. Die Schwerkraft zu überwinden, ist nun mal tänzerische Hauptaufgabe – und De Keersmaker analysiert vor allem das männliche „Fuß- und Handwerkszeug“ hierfür. Fiona McGee ist die einzige Tänzerin unter sieben Kollegen. Sie wird bis zur Bühnenreife mitgenommen und jauchzt am Ende ein wildes Ja in den Saal, geschafft!

Beeindruckend ist das, wenngleich man feststellen muss, dass De Keersmakers wildes Getrappel und Marschieren und der feine Wiener Schritt noch nicht so recht zusammenpassen wollen. Ein gelungenes Statement bleibt es trotzdem.

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Kunterbunt geht es mit Merce Cunninghams „duets“ (1980) zu John Cages „Improvisation III“ weiter, die Béla Fischer und Jiri Novak elektronisch live einspielen. Künstler Mark Lancaster (1938-2021) muss ein Wellensittichfreund gewesen sein, alle sechs Tanzpaare sind (bis auf das Papageienrot) in deren Gefiederfarbe gewandet. Die meiste Farbe bringt hier neben der tänzerischen Leistung dennoch Cunninghams (1919-2009) glänzende choreographische Selbstironie ins Spiel. Hebefiguren, Auf- und Abgänge des Modern-Dance-Pioniers mit Klassik-Nähe sprühen vor Humor: Ein Herr stellt eine Dame auf die Bühne, bewegt, stützt, dreht sie und trägt sie wieder davon.

Zum eleganten Finale werden die Farben pastelliger: Jean-Paul Vroom griff für Hans van Manens „four schumann pieces“ (1975) kräftig in die Puderdose der Neoklassik. Das ikonographische Schaffen der 92-jährigen Niederländer gilt Schläpfer als Inspirationsquelle und Fundament. Solistisch im Zentrum des ätherischen Paarreigens steht das (einst für Nurejew geschaffene) Solo von Davide Dato, der sozusagen kontrapunktisch zu den Paaren arbeitet. Am besten ist es mit seiner großen Schlusspose beschrieben: zum Niederknien. Dann folgt langanhaltender herzlicher Applaus für eine Zusammenstellung, die eine gelungene Gegenüberstellung ist.

Redaktion Seit 2006 ist er Kulturredakteur beim Mannheimer Morgen, zuständig für die Bereiche Schauspiel, Tanz und Performance.

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