Heidelberger Stückemarkt - Zwei Uraufführungen bieten vielsagende Einblicke in das zeitgenössische spanische Theater

Heidelberger Stückemarkt blickt nach Spanien

Von 
Gisela Stamer
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Gastierte beim Stückemarkt: Szene aus der Produktion „Las Explicaciones“. © Los Barbaros/Prensa Conde Duque

Das Gastland Spanien entsendet mit „Die Erklärungen“ (Las Explicaciones) eine Produktion des Theaterkollektivs „Los Bárbaros“, die so nur in Spanien zu finden ist. Auf einer Leinwand, die sich über die gesamte Zwinger-Bühne erstreckt, erzählen die Schauspielerinnen Rocío Bello und Elena H. Villalba den angeblich erfolgreichen Werdegang des ersten Stücks, das die Kollektivgründer von „Los Bárbaros“, Miguel Rojo und Javier Hernando, vor mehr als zwanzig Jahren in Madrid auf die Bühne brachten.

Miguel, alias Rocío Bello, und Elena H. Villalba in der Rolle von Javier kehren dafür zurück in ihre Heimat, ein verlassenes Dorf in der Nähe von Ávila. Aufnahmen von den weiten, sanften Hügeln Kastiliens, von zerfallenden Häusern in entvölkerten Weilern bieten den Hintergrund für ein dokumentarisches Theaterstück mit stark autobiografischen Untertönen. Blökende Schafe und buntes Vogelgezwitscher sorgen dabei für eine meditativ anmutende Grundstimmung.

Prekäre Situation

Diese allerdings kann über die verfahrene Situation der beiden Figuren nicht hinwegtäuschen. Mögen die beiden noch so viele „Erklärungen“ abgeben, irgendwo im Laufe ihres Lebens scheint die Karriere der Künstlerinnen eine falsche Wendung genommen zu haben. Jetzt wird die Geschichte von Miguel und Javier zu ihrer eigenen Geschichte, wenn sie davon berichten, wie sie sich einst ihr Leben als junge Frauen vorstellten. Bürgerliche Träume, wie eine eigene Familie und ein eigenes Haus, spielten dabei durchaus auch eine Rolle - undenkbar aber angesichts der prekären Situation, in der sich viele spanische Künstlerinnen und Künstler schon seit längerem befinden.

Ausgezeichnete Stücke des Heidelberger Festivals

  • Am Sonntagabend ging der 39. Heidelberger Stückemarkt mit den Preisverleihungen zu den verschiedenen Wettbewerben des Theaterfestivals zu Ende. Folgende Autoren und Stücke wurden in den einzelnen Kategorien ausgezeichnet:
  • Autor*innenpreis (dotiert mit 10 000 Euro), gestiftet von der Manfred Lautenschläger-Stiftung: Ivana Sokola für ihr Stück „Pirsch“.
  • Internationaler Autor*innenpreis (5000 Euro), gestiftet vom Land Baden-Württemberg: María Velasco mit „Ich will die Menschen ausroden von der Erde“.
  • Jugendstückepreis (6000 Euro), gestiftet vom Heidelberger Unternehmer-Ehepaar Bettina Schies und Klaus Korte: Schauspiel Hannover für „Vater unser“ nach dem Roman von Angela Lehner. Nachspielpreis (undotiert, mit Gastspieleinladung ans Deutsche Theater Berlin verbunden): „Ode“ von Thomas Melle in der Inszenierung vom Schauspiel Köln.
  • Publikumspreis (2500 Euro), gestiftet vom Freundeskreis des Theaters und Orchesters Heidelberg: „zwei herren von real madrid“ von Leo Meier.
  • SWR2 Hörspielpreis (5000 Euro), von SWR und Theater Heidelberg gemeinsam ausgelobt: Leo Meier mit „zwei herren von real madrid“.

Nicht weniger selbstreflexiv geht es bei „Fragen ans Universum“ zu. Dabei wird bei dem von José Manuel Mora zusammen mit der Protagonistin Carlota Ferrer konzipierten Stück noch weniger deutlich, was Fiktion und was Realität ist. Einsprengsel tatsächlicher biografischer Erinnerungen, wie zum Beispiel die Moras an eine Klassenfahrt nach Mallorca und an die dort erlebten amourösen Abenteuer, unterbrechen viel metaphysische Melodramatik. Erfrischend köstlich wirkt die Interpretation der Elvis-Schnulze „Love me tender“. Neben den durch die Covid-Pandemie erschwerten Produktionsbedingungen, ist beiden Stücken das Thema der Frage nach dem eigenen Schaffen gemeinsam.

Autor Mora nimmt sich dabei viel vor. Was ursprünglich als ein Monolog für die kraftvolle Carlota Ferrer gedacht war, fragmentiert zusehends in eine Vielstimmigkeit, der zu folgen dem Publikum viel abverlangt. Eine überaus wandlungsfähige Ferrer hegt abwechselnd Trennungsabsichten, ist Totengräber, ein hoher Kulturbeamter und nicht zuletzt ein Meteorit.

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Dass Carlota Ferrer eine Schauspielerin mit viel Wumms ist, kann über die fehlende Kohärenz der freien Produktion nicht hinwegtäuschen. Weil Meteoriten im Weltall beim Urknall eine Rolle spielten, reklamieren Mora/Ferrer mit diesem Bild einen radikalen Neubeginn. Sie kritisieren die Zerstörung unseres Planeten, die Aufmerksamkeitsökonomie unseres Mediensystems, die Entmystifizierung unseres Daseins.

Ein Rundumschlag, den das Schlussvideo am Bühnenrand noch zu einem Ganzen zusammenzufügen versucht: Eine hundertfach vervielfältigte Mädchenfigur verweist auf unsere Verantwortung, die wir den nachfolgenden Generationen schulden.

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