Sieht so die Zukunft der Popfestivals aus? Konzertbesucher, die auf Fahrrädern mit angeschlossenem Generator in die Pedale treten und Strom erzeugen? Diese Zukunft hat beim Futur 2 Festival in Hamburg bereits begonnen. Dort wird eine von zwei Bühnen – die „Pedal-powered Stage“ – mit Strom gespeist, den das Publikum per Muskelkraft erzeugt.
Und das ist nicht die einzige Besonderheit bei diesem Festival, das 2018 erstmals stattgefunden hat und (bei freiem Eintritt) 5000 Gäste anlockte, ebenso wie bei der Wiederauflage 2019. Futur 2 ist nämlich völlig energieautark. Möglich ist dies durch eine eigene 22 Kilowatt-Solaranlage, die nicht nur eine weitere Bühne mit Strom versorgt, sondern auch die gesamte Festivalgastronomie und das komplette Festivalgelände. Der durch Sonnenkraft gewonnene Strom wird in Batterien gespeichert, für den Notfall steht ein Generator zur Verfügung, der auf Ethanolbasis arbeitet.
Solaranlage liefert Energie
Die Idee zu diesem Festival, das sich selbst als „Laborplatz zur Erprobung zukunftsfähiger Lösungen für Open-Air-Veranstaltungen“ versteht, entstand 2016 bei einem Netzwerk-Treffen für nachhaltige Veranstaltungen in Hamburg. Daran beteiligt waren unter anderem die Umweltbehörde der Hansestadt, der Veranstaltungsdienstleister hejmo GmbH und die Eventagentur Morgenwelt GmbH, die sich ressourcenschonendes Arbeiten auf ihre Fahnen geschrieben hat.
Morgenwelt und hejmo konzipierten dann das Nachhaltigkeitsfestival, das bei seiner Premiere 2018 über ein Dutzend Bands und Solokünstler präsentierte. Darunter waren die US-Songschreiberin Sophia Kennedy, die südafrikanische Indie-Pop-Sängerin Dear Reader und der Ambientmusiker Lambert.
„Es gibt sonst kein Festival, das komplett auf externe Stromanschlüsse verzichtet“, betont Wiebke Schumacher, Pressesprecherin von Morgenwelt, im Gespräch mit dieser Redaktion, die Einzigartigkeit. Selbst bei durchwachsenem norddeutschen Sommerwetter habe die Solaranlage, die zwei Tage vor Festivalbeginn aufgebaut wird und über eine Speicherkapazität von 17,5 Kilowattstunden verfügt, genug Energie geliefert, sagt Schumacher. „Wir können damit eine Spitzenleistung von 22 000 Watt erzielen.“
Eine Band wie Rammstein könne man damit nicht auf die Bühne bringen, räumt sie ein. Aber mit einer größeren Solaranlage sei auch dies theoretisch möglich. Und wer weiß, vielleicht wird schon bald bei großen Rock-Festivals der Anblick gigantischer Solaranlagen so normal sein wie mächtige Lautsprechertürme. „Wir wollen unsere Erfahrungen auch für andere Festivals nutzbar machen, das ist unser Selbstverständnis“, erklärt Schumacher.
Zu diesem Selbstverständnis gehört auch, dass man dem Publikum ein Gefühl dafür geben will, „wie viel 100 Watt sind und was man dafür tun muss“, sagt die Morgenwelt-Sprecherin. „Die Leute können das bei uns auf der Pedal-powered Stage im wahrsten Sinn des Wortes am eigenen Körper erfahren.“ Der Clou dabei: Je lauter die Musik wird und je greller die Lightshow, desto stärker muss gestrampelt werden.
Nur 36 Gramm Müll pro Besucher
Unabhängig von externen Stromanbietern zu agieren, ist aber nur ein Teil des Futur-2-Festival-Konzepts. Es setzt auch auf rigorose Müllvermeidung. Alles, was recycelbar ist, wird aussortiert, es gibt etwa spezielle Sammelbehälter nur für Zigarettenstummel oder Kronkorken. Das Ziel ist eine „Zero Waste Vision“ – eine Veranstaltung ganz ohne Abfall. Dem sind die Macher 2019 schon recht nahe gekommen: Die 5000 Besucher verursachten insgesamt 100 Kilogramm Müll, den Inhalt einer Mülltonne – das sind gerade mal 36 Gramm pro Besucher.
Ressourcenschonung ist auch das oberste Gebot bei der Gastronomie des Festivals. „Das Essen und die Getränke sollen bio, regional und saisonal sein“, lautet die Selbstverpflichtung, die das Festival auf seiner Homepage öffentlich macht.
Es gibt demnach sogar ein eigenes Bio-Bier, das mit dem Wildwuchs Brauwerk aus Wilhelmsburg gebraut wird, ebenso wie Bio-Schorlen. Alle Caterer müssen sich zudem verpflichten, wiederverwertbares Geschirr einzusetzen. Und sie sind angehalten, mit einem Minimaleinsatz von fossilen Energien auszukommen. Gekocht werden soll möglichst mit Sonnenenergie. Und: „Externe Stromanschlüsse sind tabu“, lautet die Vorgabe.
Das nächste, dritte Futur 2 Festival, das am 28. August im Elbpark Entenwerder vorgesehen war, ist aufgrund der nicht ohne weiteres umsetzbaren Corona-Regeln auf Ende Mai 2022 verschoben worden. Angekündigt ist wieder ein vielversprechendes Indie-Programm, das abseits des Mainstreams in reizvoll abgelegene Klanggefilde entführt: mit Singer-Songwriterin Evelinn Trouble, Post-Punk-Diva Sofia Portanet, Trance-Keyboarder Martin Kohlstedt und dem Electro-Wave-Pop von Blind Butcher.
Doch bei allen schrägen, schrillen Klängen lautet die eigentliche Festival-Devise „Sauber bleiben“. Das ist bisher beispielhaft gelungen, wie Wiebke Schumacher erklärt: „Wir haben unseren CO2-Fußabdruck ermittelt. Mit 23,9 Tonnen CO2 war er so wie bei einer größeren Grillparty.“ Und das bei 5000 Besuchern…
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