Heidelberg. Das ganz Besondere sei, neben der Zahl 39, die vor der diesjährigen Ausgabe des Heidelberger Stückemarkts steht: „Wir können uns alle wieder sehen, wir sind analog, wir sind nicht mehr auf irgendwelche Computer reduziert, sondern wir haben jetzt die Chance, wieder davor, danach, miteinander zu reden, gemeinsam zu lachen, uns zu ärgern, zu freuen, zu diskutieren über die Stücke“, freute sich Holger Schultze, Intendant des Heidelberger Theaters, als er das Festival zusammen mit der Geschäftsführenden Schauspiel-Dramaturgin Lene Grösch und dem Leitenden Schauspiel-Dramaturgen Jürgen Popig im Zwinger 3 eröffnete.
Natürlich überlagere der Ukrainekrieg gerade „ganz viel von unserem Denken und von unserem Tun, richtigerweise“, konstatierte Grösch - 2017 war die Ukraine Stückemarkt-Gastland gewesen, und für Sonntag hatte das Theater die Podiumsdiskussion „Exil und Empowerment“ angesetzt. Zugleich gebe es darüber hinaus viele Themen, „die einfach akut brennen“, so Grösch. „Die Theater haben sich nicht versteckt vor diesen wichtigen politischen und gesellschaftlichen Fragen und Themen“, haben „auf der einen Seite künstlerische Visionen gefunden“ und auf der anderen Seite „in den Inszenierungen Forderungen an unsere Gesellschaft gestellt - und damit an uns alle“, erläuterte sie.
39. Stückemarkt
- Der 39. Stückemarkt (bis 8. Mai) findet am Theater Heidelberg statt. Für ihr Stück „Maria Magda“ hat Svenja Viola Bungarten vergangenes Jahr den mit 10 000 Euro dotierten, von der Manfred Lautenschläger-Stiftung gestifteten „Autor:innenpreis“ erhalten. Uraufführung des Stücks war im Juni 2021 am Theater Münster.
- Autorin Bungarten, geboren 1992 in Koblenz, studierte Szenisches Schreiben an der Universität der Künste Berlin. Für ihr Libretto zu „Post Nuclear Love“ erhielt sie 2016 den „Berliner Opernpreis“. Zuletzt wurde sie für ihr Stück „Die Zukünftige“ mit dem Else-Lasker-Schüler-Preis geehrt.
- Regisseurin Brit Bartkowiak arbeitete u. a. am Deutschen Theater Berlin, am Düsseldorfer Schauspielhaus, am Staatstheater Mainz, am Volkstheater München und am Schauspiel Hannover. Seit 2021 ist sie Oberspielleiterin am Theater und Orchester Heidelberg.
Dabei gehe es um Themen wie Nachhaltigkeit und Klimakrise, Pflegenotstand, psychische Erkrankungen und Isolation, Selbstbestimmung und Selbstermächtigung.
Astreines Horror-(B)-Film-Setting
Einen flamboyanten Weg, sich mit einem der elementarsten Themen auseinanderzusetzen - dem Status der Frau in einer von Männern dominierten und (auf)geschriebenen Geschichte -, geht das Schauspiel „Maria Magda“ von Svenja Viola Bungarten nach, Preisträgerin des vorjährigen Stückemarkt-Autorenwettbewerbs, das in einer Inszenierung von Brit Bartkowiak die Eröffnungspremiere des Festivals markiert. In dem zwischen Gothic-Highschool-Drama, Nonnen-Hexen-Horror und feministischem Manifest changierenden Stück kommt Maria (Esra Schreier) neu an ein katholisches Internat für schwer erziehbare Mädchen, wo bereits Magda (Yana Robin la Baume) und Hildie (Sandra Schreiber) leben. Rasch wird klar: In den von der Oberschwester (Christina Rubruck) geführten und von der erratischen Madonna Ha (Sandra Bezler) aufklärerisch-dialektisch durchgeisterten Ex-Klostermauern geht es nicht geheuer zu.
Das ist zunächst einmal ein astreines Horror-(B-)Film-Setting, das uns an Streifen wie Lucky McKees „The Woods“ oder Mike Mendez’ „Convent“ denken lässt, aufgerührt mit einem gerüttelt Maß an Groschenroman-Grusel à la Geisterjäger John Sinclair. Auch Sounds und Musik (Jeremy Heiß) werden hier auf sehr filmisch-offensive Weise eingesetzt.
Aus diesem popkulturellen Zitate-Reigen erwächst indes eine feministische Erzählung, in die sich auch die Wendung fügt, das klassische Horror-Sujet von der Geburt des Antichristen zu verdrehen: Nicht Satans Spross, sondern der Sohn Gottes soll hier (von Maria) neu geboren werden. Gott höchstselbst (gespielt von Leon Maria Spiegelberg) tritt dazu auf den Plan - und gibt ein erbärmliches, misogynes Bild ab: „Maria, du kleine Bitch. Weil ich ein Gott bin, werde ich dich vergewaltigen“, wird er wieder und wieder geifern, während das eine ums andere alternative Stück-Ende auf der Bühne abgewickelt wird. Die ist übrigens von Hella Prokoph schön eingerichtet worden, eine Art Schaukasten-Kabinett erhebt sich da über einem Kreuz-Grundriss (wir begegnen dort auch Apfel-Eva und dem von der Mater Dolorosa und Maria Magdalena beklagten Jesus).
Bartkowiak hat „Maria Magda“ mit Text-gebührend aufgedrehter Verve und viel visuellem Vergnügen am Trash in Szene gesetzt. Und man glaubt zu merken, wie viel Spaß es den so gekonnt wie lustvoll agierenden Ensemblemitgliedern bereitet, mit ihren Klischee-Figuren zu spielen, die von Naomi Kean und Isabell Wibbeke in kleidsames Addams-Family-Ornat und Habit gehüllt werden. Und auch, wenn es nicht ganz einfach ist, in diesen knapp zwei reichlich überdrehten Stunden immer den Fokus zu halten: Man drückt hier gerne mit den anderen die Schreckens-Schulbank.
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