Internationales Filmfestival

Grand Award: Festival ehrt mit Nicolas Winding Refn auch einen Farbenblinden

Beim Internationalen Filmfestival hat der Regisseur Nicolas Winding Refn von Festivalchef Sascha Keilholz den „Grand Award“ entgegengenommen und blieb überwiegend wortkarg

Von 
Hans-Günter Fischer
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Ist auf der Leinwand ähnlich wortkarg wie sein Regisseur: Ryan Gosling als Fahrer in Nicolas Winding Refns „Drive“ von 2011. © Film District/Bold Films/Oddlot Entertainment

Ein paar knackige, pointierte Sätze hat er mitgebracht. Wie etwa den zu Angela Bundalovic, die auf dem Mannheim-Heidelberger Filmfest die Laudatio hält. Sie sei wie eine Mischung aus Mads Mikkelsen und Ryan Gosling, sagt der Preisträger. Nur noch ein bisschen besser, weil auf hohen Absätzen daherschreitend. Mads Mikkelsen und Ryan Gosling kennt man als berühmte Schauspieler. Doch dass sie auf der ganzen Welt derart bekannt sind, hat gar nicht so wenig mit dem Mann zu schaffen, der in Mannheim mit dem „Grand Award“ gewürdigt wird: dem Regisseur Nicolas Winding Refn. Angela Bundalovic hat also eine echte Chance, bald selbst berühmt zu sein. Sie spielt die Hauptrolle in Refns Netflix-Serie „Copenhagen Cowboy“, die sich in die kriminelle Unterwelt der Hauptstadt Dänemarks begibt. Die Serie ist vor einem Jahr entstanden.

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Refn hat mit Pusher für ein neues Narrativ gesorgt

Um die kriminelle Unterwelt von Kopenhagen hat sich Refn schon in seinem Filmdebüt gekümmert: „Pusher“ aus dem Jahre 1996. Angela Bundalovic war damals noch ein Kleinkind. Deshalb kann sie nur vom Hörensagen wissen, was sie jetzt im Stadthauskino zu berichten weiß: Dass „Pusher“ für ein „neues Narrativ“ gesorgt und fast eine Art Mode etabliert habe. So weitreichend, dass manche junge Dänen nach dem Anschauen des Drogendealer-Films den Dresscode und die Sprechweise geändert hätten. Refn sei ein Regisseur, der „in die dunklen Zonen“ blicke. Und als „Alchimist des Neonlichts“ gefeiert werde.

„Mache es auf deine Art“

Die charmant verlesene Laudatio voller warmer Worte soll aber vor allem eines: nicht zu lange dauern. Auch die Dankesrede für den „Grand Award“, der immerhin 10 000 Euro einbringt, fällt nicht übermäßig üppig aus. Nicolas Winding Refn weiß aber zumindest noch, dass er vor 24 Jahren schon einmal beim Filmfest war, mit seiner zweiten Arbeit „Bleeder“. Kommerziell war das kein rauschender Erfolg. Doch damals bei der Festival-Premiere sei er sich „zum ersten Mal bedeutend vorgekommen“, sagt er heute. Sonst sagt er zunächst nur, dass zum Filmemachen gar nicht viel zu sagen sei. Das habe er als Rat suchender Neuling im Geschäft in der Begegnung mit Berühmtheiten früher auch selbst erlebt. Elia Kazan, der legendäre Regisseur von Marlon Brando und James Dean, habe ihm lediglich empfohlen: „Mache es auf deine Art“.

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Und Refn hat tatsächlich seinen Stil gefunden. Anlässlich der Preisverleihung wird natürlich jener Film gezeigt, in dem er sich zum ersten Mal voll ausgeprägt hat: „Drive“ mit dem von Ryan Gosling schweigsam-stoisch, aber bildfüllend gespielten namenlosen Fahrer durch die Straßen von Los Angeles. Man muss den Film, 2011 entstanden, nicht noch einmal rezensieren. Er ist längst zum Klassiker geworden, wenn nicht gar zum Kult - im voll besetzten Stadthauskino fällt auch auf, dass die Besucherinnen und Besucher eher etwas jünger sind als sonst.

Ryan Gosling besitzt grenzenlose Leinwandpräsenz

Der Film ist gleichfalls kaum gealtert, die Brillanz von Refns Inszenierung, durchchoreographiert gerade auch in den Gewaltexzessen, lässt sich schwerlich steigern. Kleine Abstriche ließen sich allenfalls bei Ryan Gosling machen: Große Schauspielkunst im engen Sinn ist das nicht unbedingt, und in der hier gezeigten englischsprachigen Version wird das sogar noch etwas deutlicher. Doch dieser Mann hat eben etwas auf der Kinoleinwand eher Wichtigeres: eine grenzenlose Kamerapräsenz. Auch seine Partnerin im Film besitzt sie: Carey Mulligan.

Szene aus "Drive" mit "Breaking Bad"-Star Bryan Cranston und  Carey Mulligan:

Der Höhepunkt von „Drive“ bleibt die berühmte Fahrstuhl-Szene: Erst ein Kuss zu sphärischer Musik, dann ein Gewaltausbruch, wie er zuvor nicht allzu oft zu sehen war. Mit blutverschmierter Jacke wandelt Gosling durch die Straßen von Los Angeles, den Rücken ziert ein Skorpion. Es ist ein Film, der erst ab 18 freigegeben ist - und sogar weitaus Ältere haben in manchen Szenen schwer zu schlucken. Refn ist für seine Stilisierung und Ästhetisierung der Gewalt bekannt. Und fast gefürchtet. Ihre Darstellung, hat er einmal erläutert, brauche Poesie, ja Liebe. Sonst gerate sie zum Selbstzweck. Zur Pornografie.

Drehbücher eines Legasthenikers

Im Frage-Antwort-Spiel auf der Bühne des Mannheimer Stadthauses wirkt er anfangs fast ein bisschen lustlos. Doch man muss das auch verstehen, denn die meisten Fragen gelten „Drive“. Das ist für ihn ein alter Film, zu dem ihm schon 10 000 Fragen - oft sehr ähnliche - gestellt wurden. Erst als das Publikum hinzugezogen wird, taut er ein wenig auf. Im Internet gibt es das „arte“-Video eines Filmgesprächs, in dem sich Weiterführendes zu diesem Regisseur erfahren lässt. Etwa, dass er ein Legastheniker gewesen sei - dafür geraten die meist selbstverfassten Drehbücher sehr ordentlich. Und obendrein sei er auch farbenblind. Aber der Bildästhetik hat das offenbar fast noch genutzt.

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