Mannheim. Eigentlich ist das Restaurant Opus V noch geschlossen, doch für das Exklusiv-Interview mit Zanele Muholi wird ein Tisch gedeckt, denn wenige Tage später wird der:die 1972 geborene nicht binäre Künstler:in und Aktivist:in aus Südafrika zwei Ebenen tiefer die Ausstellung „Somnyama Ngonyama“ eröffnen. Für engelhorn ist die Kooperation mit dem Festival Enjoy Jazz ein weiterer Brückenschlag zwischen Handel und Kultur, für Muholi eine große öffentliche Plattform für ihr Anliegen: die LGBTQIA+-Community sichtbar zu machen.
Muholi, seit bald 20 Jahren dokumentieren Sie die Schwarze LGBTQIA+-Szene Südafrikas. Sie nennen sich selbst „visual activist“. Ist Ihnen der Aktivismus wichtiger als die Kunst?
Zanele Muholi: Visuelle Kunst wird um ihrer selbst willen gemacht. Visueller Aktivismus hat mit einer politischen Agenda zu tun, er fokussiert auf Themen, die uns wichtig sind. In meinem Fall: dass Menschen sich als das identifizieren und benennen dürfen, was sie sein wollen, und dass sie dafür respektiert werden. Als Mitglied der Schwarzen LGBTQIA+-Community schaue ich als Insiderin darauf und nutze meine visuellen Möglichkeiten, darüber zu sprechen, dass sie unsichtbar und ausgeschlossen sind. Ich will erreichen, dass queere Menschen Teil der Gesellschaft und ihres Kanons sind.
Die Ausstellung bei engelhorn
- „Somnyama Ngonyama: Hail the Dark Lioness“ ist eine 2012 begonnene Werkserie von Zanele Muholi. Themen der schwarz-weißen Selbstportraits sind das Aufwachsen im Apartheid-Regime und die abwesende, verwitwete Mutter, die als Hausmädchen einer weißen Familie diente, um ihre acht Kinder zu ernähren, sowie das Sichtbarmachen der LGBTQIA+-Community.
- In Kooperation mit dem Festival Enjoy Jazz und kuratiert von Maxi Broecking sind in der vierten Etage des Modehauses engelhorn vom 6. Oktober bis 4. November mehr als 30 großformatige Arbeiten, eine Installation sowie ein Dokumentarfilm zu sehen. Andreas Hilgenstock, geschäftsführender Gesellschafter der Engelhorn-Gruppe, sagt: „Mannheim ist eine bunte und weltoffene Stadt, engelhorn ist dies auch. Wir freuen uns, unseren Kunden:innen und allen Mannheimer:innen die fantastischen Werke von Muholi zeigen zu dürfen.“
- Zur Ausstellung erscheint ein Katalog. Zwei Editionen werden zum Kauf angeboten, deren Erlös dem Muholi Art Institute (MAI) zur Förderung junger südafrikanischer Künstler:innen in Kapstadt zugutekommt.
Und die Kunst ist dafür Mittel zum Zweck?
Muholi: Kunst ist die beste Strategie, um sicherzustellen, dass wir als Teil des Mainstreams wahrgenommen werden. Das sehen wir auch bei Enjoy Jazz, diesem wundervollen Festival, das wir jetzt zum 25. Mal feiern: Wir alle lieben die Musik - ungeachtet unseres Geschlechts oder unserer sozialen Schicht. Wir wollen schöne Stimmen und fantastische Musiker hören, gleich welcher Rasse, Geschlecht, Sexualität und Herkunft. Aber: Wir nutzen das Jubiläum auch, um über Gleichheit und Ausgewogenheit zu sprechen. Wie viele LGBTQIA+-Performer sind Teil dieses Festivals warum sollten sie teilhaben? Wir sprechen über Inklusion, über Respekt für Menschen, die dieselbe Luft atmen wie alle Menschen in unserer Gesellschaft. Deshalb ist mir die Zusammenarbeit mit Rainer Kern und seinem Team so wichtig.
Wie kam es dazu?
Muholi: Maxi Broecking (die Kuratorin der Reihe Jazz + Kunst des Festivals, Anm. d. Red) kennt mich und mein Werk seit vielen Jahren. Sie hat mich eingeladen, das Festival-Poster zu gestalten und meine Arbeiten in einer Ausstellung zu zeigen. Da konnte ich nicht nein sagen, zumal die Musik, das Festival und mein Werk viel gemeinsam haben.
Wo liegen diese Gemeinsamkeiten?
Muholi: Jazz und Enjoy Jazz sind „beyond music“: Die Musik und das Festival weisen weit darüber hinaus. Im Jazz ging es schon immer auch um Sichtbarwerdung, Selbstermächtigung und Heilung. Ich bin von Natur aus neugierig und schaue in meinem Werk: Was liegt dahinter? Das Festival und ich fokussieren auf gesellschaftliche Themen. Und: Die Musik und meine Fotos triggern alle Sinne.
Der Titel der Ausstellung, „Somnyama Ngonyama“, heißt übersetzt „Gepriesen sei die dunkle Löwin“. Alle Fotografien sind inszenierte Selbstportraits, die Sie gleichzeitig verletzbar, stolz und stark zeigen. Was hat Sie bewogen, die Kamera auf sich selbst zu richten?
Muholi: Ngonyama ist auch der Clan-Name meiner Mutter und die Werkserie, die ich 2012 begonnen habe, eine Hommage an meine Mutter. Die während des Apartheid-Regimes als Hausmädchen einer weißen Familie gearbeitet hat. Und die als Schwarze keine Rechte hatte. Ich bin meiner Mutter Blut. Mich selbst zu portraitieren, gibt mir Freiheit. Ich kann mir Zeit lassen und ich benutze funktionale Materialen des täglichen Gebrauchs als Symbole. Das können Putzschwämme sein, Sicherheitsnadeln, Kabelbinder oder Gürtel.
Wie ist die Situation der Schwarzen LGBTQIA+-Community in Südafrika heute?
Muholi: Oh, lassen Sie uns nicht über Südafrika reden. Afrika ist weit weg. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich schätze Ihr Interesse sehr, aber wir sollten auch bedenken, dass es in Südafrika keine Apartheid gab, bis jemand sie in dieses Land gebracht hat. Lassen Sie uns über die Situation queerer Menschen in Deutschland, in Europa reden.
Bitte.
Muholi: Die Verfassung Ihres Landes heißt Schwarze und queere Menschen willkommen. Ihre Gesellschaft ist weltoffen und glaubt an Respekt und Menschenrechte. Und trotzdem werden queere Menschen diskriminiert und/oder ausgeschlossen. Ich glaube, viele Menschen hierzulande haben sich nie selbst in Galerien oder Museen gesehen, sie haben nie akademische Texte von Ihresgleichen gelesen, sie finden kaum Literatur über sich in Bibliotheken, obwohl sie in diesem Land geboren sind und Deutsch ihre Muttersprache ist. Und hier beginnt meine Verantwortung als Aktivist:in: Ich will sie sichtbar machen und Räume für sie schaffen, denn ich habe die Möglichkeit, das zu tun.
Nun wird Ihre Ausstellung nicht in einem Museum oder einer Galerie gezeigt, sondern in einem Modehaus. Hat Sie das überrascht?
Muholi: Ich war begeistert! Ein Kaufhaus ist der beste Ort, um mein Werk zu zeigen: hoch frequentiert und durchströmt von ganz verschiedenen Menschen, nicht auf ein kunstinteressiertes Publikum limitiert wie ein Museum. Genau so können wir das Ziel erreichen, die Sichtbarkeit queerer Menschen zur Normalität zu machen. Alle Leute sind eingeladen, die Bilder anzuschauen und auch dahinter zu schauen, um sich zu fragen: Was zeigen sie mir? Und was zeigen sie von mir selbst?
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