Mannheim. Die im Publikum durchaus zahlreich vertretene Boomer-Generation kann sich beim Elektrik Pony Cup musikalisch wie Zuhause fühlen: Denn ein Großteil der jungen Acts beim Indoor-Ableger des Maifeld Derbys bietet auf den Bühnen von Alter Feuerwache und Jugendkulturzentrum Forum am Wochenende Klänge, die vor 40 Jahren die Neue Deutsche Welle (NDW) prägten - also New Wave, New Romantics, Punk und roher Electro. Dazu kommen oft extrem eingängige Popsong-Strukturen und halbironische Sound-Spielereien mit Keyboards oder Bass.
Fortschreiben der Neuen Deutschen Welle
Das will vor allem Spaß machen - aber es klingt in den Texten regelmäßig eine gewisse Ernsthaftigkeit an, die sich auch gern an die diversen Übergriffigkeiten von Boomern und ihrer Kinder im Geiste richtet. Es ist, als ob die Mitte der 1980er von der Musikindustrie kommerziell zu Tode gerittene NDW erst jetzt wieder auflebt - und extrem gekonnt weitergeführt wird (auch spürbar beeinflusst von Wir-sind-Helden-Texterin Judith Holofernes als Zwischenstation der Entwicklung).
Die Situation vor 40 Jahren war krisengeprägt: durch Kalten Krieg, Aufrüstung, Massenarbeitslosigkeit oder Tschernobyl. Man konnte den kühlen, rotzigen, tabulosen Ton von Ideal, Fehlfarben, Trio, DAF, Extrabreit - und ja - auch Nena oder Falco emotional gut brauchen. Heute mögen berufliche Perspektiven deutlich besser sein. Aber Klimakrise und Kriege sind existenzieller. Bands heißen heute auch gleich Tränen oder Das Sterben. Aber ihre desillusionierten Texte klingen noch trotzig.
Dagegen erinnern die großen Abräumer der beiden Festivaltage an die erfolgreichsten deutschsprachigen Pop-Acts der frühen 1980er: Der vor Bühnenpräsenz nur so strotzende Wiener Rapper Bibiza an den exzessiv lässigen Falco (am Freitag, über den hier mehr zu finden ist) und samstags die Wahl-Mannheimerin Paula Carolina an Nena.
Wie Falco und Nena
Beide sind 1999 geboren und schaffen dasselbe Kunststück: Sound und Attitüde wirken wie von einer genialen künstlichen Intelligenz kreierte Kopien. Authentisch sind sie auf der Bühne paradoxerweise trotzdem. Was an ihrer mitreißenden Energie, einer ansteckenden Selbstbegeisterung und dem enormen Hunger, gehört zu werden, liegt. Das wird ihnen den Weg auf noch größere Bühnen ebnen. Dafür muss man kein Prophet sein, sondern nur die Begeisterung des euphorisch mitsingenden Publikums wahrnehmen.
Paula Carolina zeigt sich bei ihrem zweiten Heimspiel nach der Sommerbühne auch noch hart im Nehmen. Das vorhergehende Konzert ihrer fast komplett ausverkauften Tour musste sie noch krankheitsbedingt absagen. Dass sie sich in Mannheim aus der Matratzengruft aufrappeln musste, hört man ihrer sonst so starken Stimme bei den ersten Liedern ihres leicht gekürzten Sets auch an.
Zumindest in den Höhen. Aber das kaum zu bändigende Energiebünde zieht schonungslos auch die höchsten Töne durch - und plötzlich sind die Stimmbänder frei beim wie immer starken „Trophäe“ und „Schreien. Es gibt sogar noch das gute, alte Bruttosozialprodukt“ von Geier Sturzflug als Zugabe.
Alli Neumann glänzt gesanglich
So führt die mit relativ großer Show, Superstar-Optik und Ausdruckstanz beeindruckende Songwriterin Alli Neumann danach die stärkste Stimme des Tages vor. Auch das macht Spaß, obwohl Songs wie „Berlin Nightlife“, „Primetime“ oder „Blue“ eigentlich nur erstaunlich bodenständig voranstampfenden Funkrock bieten. Allerdings glänzend verkauft.
Das Festival hätte mehr Publikum verdient gehabt. Aber das Zwei-Bühnen-Konzept hat sich bewährt - auch wenn der Weg zwischen den beiden Häusern durchs Parkhaus und entlang der Schafweide kein Spaziergang durch nach Idylle duftende grüne Auen ist. Aber diese urbane Kante passt zum Festival- zumal das Forum sich für härtere Alternative-Töne von Nils Keppel bis Donkey Kid glänzend eignet.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Ein Konzertsaal als Live-Proberaum für die Mannheimer Musikszene