Mannheim. Herr Breinersdorfer, Sie sind 1946 in Mannheim geboren und haben bis 1953 in der Stresemannstraße gelebt. Hat Sie die Region geprägt?
Fred Breinersdorfer: Die Innenstadt von Mannheim lag damals fast total in Trümmern. Jeder hat jeden Tag vom Krieg gesprochen. Es gab kaum etwas zu essen, ich bin meinen Eltern noch heute dankbar, dass und wie sie mich als Baby durch den „Hungerwinter“ 1946/47 gebracht haben. Als kleiner Junge waren für mich die Straße, die einsturzgefährdeten Ruinen und die Friedrichsplatzanlagen um den Wasserturm Spielplatz und Heimat zugleich. Als mein Vater 1953 nach Mainz versetzt wurde, sind wir umgezogen, danach sind leider alle Kontakte, vor allem zu meinen Kinderfreunden abgebrochen. Später hatte ich als Anwalt allerdings viel beim Verwaltungsgerichtshof zu tun
Hatten Sie in Ihrer Jugend schon Interesse an Film?
Breinersdorfer: Ich bin so oft es ging später in Mainz, damals für wenige Pfennige, in die leeren Nachmittagsvorstellungen gegangen, habe auch, wenn notwendig, mit Freunden geschwindelt, um reinzukommen. Zum Beispiel auch in den Skandalfilm „Das Schweigen“ von Ingmar Bergmann 1963, den man als Gymnasiast einfach gesehen haben musste, erst recht wenn man noch nicht 18 war.
Meine einzige Filmausbildung war ein Amateur-Wochenendkurs meiner Schule im selben Jahr, aber da hatte ich schon längst für die Welt der laufenden Bilder Feuer gefangen und gemerkt, dass mich Filmtheorie nicht weiterbringt. Deswegen habe ich Jura studiert und nicht Film. Wenn mir einer damals gesagt hätte, welchen Weg ich trotzdem in der Filmindustrie einmal nehmen würde … das war undenkbar, einfach verrückt.
Hochproduktiver Autor
- Fred Breinersdorfer, 1946 in Mannheim geboren, zog 1953 mit seiner Familie nach Mainz. Er studierte Jura und Soziologie, war bis 1994 als Anwalt tätig. Seit 1980 veröffentlichte er daneben ein rundes Dutzend Kriminalromane.
- Von ihm stammen Drehbücher für mehr als 20 „Tatort“-Folgen und 80 Spielfilme , außerdem Hörspiele und Theaterstücke. Er ist auch als Regisseur und Produzent aktiv. Sein Kinofilmdebüt als Autor, „Sophie Scholl - Die letzten Tage“, wurde 2006 für einen Oscar nominiert.
- Fred Breinersdorfer ist mit der Autorin und Schauspielerin Katja Röder verheiratet, er lebt in Berlin.
Sie sind bis heute Rechtsanwalt, haben aber 1994 ihre Kanzlei geschlossen. Seit 1980 schrieben Sie Kriminalromane. Wie kamen Sie dann zum Drehbuchschreiben?
Breinersdorfer: Wie praktisch immer bei solchen Entscheidungen gibt es viele Gründe. Allen voran meine Leidenschaft für Filme und Krimis, und mein Anwaltsjob langweilte mich. Man darf nicht vergessen, wie damals Krimis in Deutschland in intellektuellen Kreisen diskriminiert wurden, weil sie angeblich keine „Literatur“ wären. Kein bedeutendes Feuilleton besprach einen neuen Krimi. Reich-Ranicki soll angeblich Rezensionen von Kriminalromanen in der „FAZ“ verboten haben.
Heute kann man darüber nur schmunzeln. Aber dieser Paria-Status in der Literaturszene hat mich regelrecht herausgefordert, in die Reihe der ersten wenigen deutschen Krimiautoren zu treten, die soziale Themen ins Zentrum gerückt haben und von denen die meisten heute leider vergessen sind, wie Hansjörg Martin, Mike Molsner oder Werremeier, obwohl ihre Krimis hohe Auflagen erzielten und manche Grundlage für sehr erfolgreiche Filme waren, nur ein Beispiel: Werremeiers legendärer Tatort „Taxi nach Leipzig“.
Wie hat sich die Arbeit als Drehbuchautor vor allem bei TV-Produktionen im Lauf der Jahre verändert? Wird heute auf andere Dinge Wert gelegt als vor 30 Jahren?
Breinersdorfer: Natürlich höre ich immer wieder von Kollegen, dass stilistische Anforderungen gestellt werden. Ich habe immer Wert darauf gelegt, einen eigenen Stil zu entwickeln und zu perfektionieren. Natürlich gelingt das nicht immer, besonders wenn Regisseure oder Schauspieler im Buch herumschreiben. Meine besten Drehbücher und Filme sind in kreativem Dialog mit Redaktion und Regie entstanden, allein in dem Bestreben, einen guten Film zu produzieren und nicht das eigene Ego auszuleben. Und über Rhythmus und Schnittfolge entscheidet am Schluss die Montage, das schätze ich sehr, lasse mich überraschen und mische mich nicht ein.
Was ist Ihnen im Hinblick auf Dramaturgie und Figuren besonders wichtig?
Breinersdorfer: Einschaltquoten und ein gutes Box-Office im Kino sind mir wichtig, sehr wichtig sogar. Ich mache Filme nicht für Archive, sondern für unser Publikum. Dann gehört es einfach dazu, lebendige und emotionale Figuren zu erschaffen und eine fesselnde Dramaturgie zu entwerfen. Wie gesagt, ich bin kein Dogmatiker, kann beispielsweise nichts mit der Einteilung eines Films in Akte anfangen. Bei mir kommt vieles aus dem Bauch, eine genaue Beobachtung der Menschen, Recherchen und Erfahrung helfen.
Oft basieren Ihre Drehbücher auf realen Kriminalfällen. Was fasziniert sie daran? Gilt der Spruch von Egon Erwin Kisch, dass nichts so aufregend ist wie die Wirklichkeit?
Breinersdorfer: So ist es, nicht in allen Fällen, aber oft. Drehbücher nach wahren Ereignissen haben den Vorteil, dass man intensiv recherchieren kann und im besten Fall mit Zeitzeugen oder Betroffenen intensive Gespräche führen kann, eine wertvolle Grundlage für lebendige Filmfiguren und Handlungen, die in der Tat spannender sein können, als das, was man sich ausdenkt.
Filme, für die Sie das Drehbuch schrieben wie „Honecker und der Pastor“, „Sophie Scholl - Die letzten Tage“ oder „Elser - Er hätte die Welt verändert“ schildern wie auch der aktuelle Film „An einem Tag im September“ historische Ereignisse. Was reizt sie daran, historische Stoffe ins Kino und Fernsehen zu bringen, etwa ein pädagogischer Ansatz?
Breinersdorfer: Die Pädagogik können Sie in meinem Fall streichen. Mich interessieren Menschen, die die Welt verändert haben oder daran gescheitert sind. Die Gründe liegen in den Charakteren selbst. Sie genau zu studieren und fiktional zu ergänzen, ist faszinierend und sorgt für intensive Authentizität. Und ich denke, nein, ich bin überzeugt davon, dass unser Publikum diese besondere Authentizität instinktiv spürt und schätzt.
Ich muss gestehen, dass ich nicht immer ein Fan der „Tatort“-Filme bin. Oft ist für mich das Lokalkolorit nur Dekor, die Geschichten könnten in einer x-beliebigen Großstadt spielen. Mir fehlt zu oft die Einbettung in die Besonderheiten der regionalen Umgebung, wie das etwa Claude Chabrol oder Ken Loach vorexerzieren. Wie sehen Sie diesen Aspekt?
Breinersdorfer: Sie haben mit dieser Kritik recht. Der Grund für die Austauschbarkeit der Spielorte ist primär die oft umfangreiche Handlung der Ermittlung und meist noch eine „private line“, die „abgearbeitet“ werden müssen, und schließlich ist alles auch eine Frage des Budgets, aber dazu müssten Sie die Produzenten fragen.
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