Mannheim. Man könnte meinen, Caroline Wahl macht alles richtig. In etwas mehr als zwei Jahren hat die Autorin drei extrem erfolgreiche Romane veröffentlicht. Ihr erster, „22 Bahnen“, wurde von Kritikern hoch gelobt, 2023 zum Lieblingsbuch der unabhängigen Buchhandlungen gewählt, mehr als eine Million Mal verkauft und gerade fürs Kino verfilmt. Der dritte, „Die Assistentin“, stieg direkt nach Erscheinen auf Platz eins in die Spiegel-Bestsellerliste ein. Auf ihren Lesereisen füllt Wahl verlässlich große Hallen.
Darf Caroline Wahl über Armut und Alkoholismus schreiben?
Allerdings schlägt der gerade mal 30-Jährigen derzeit nicht nur Wohlwollen entgegen. Vielmehr steht sie im Zentrum einer Debatte, die aus den sozialen Medien in die Feuilletons und in den Literaturbetrieb geschwappt ist und in der es interessanterweise weniger um Form und Inhalt ihrer Bücher geht, als vielmehr um ihre Person und die Frage: Darf die das? Als Tochter aus gutbürgerlichem Haus über Themen wie Armut und Alkoholismus schreiben und damit auch noch einen Haufen Geld verdienen? Ihr privilegiertes Leben samt Vorliebe für Konsumgüter und schnelle Autos derart plakativ auf Instagram ausstellen? Und vor allem: sich öffentlich beklagen über ihre Nicht-Nominierung für den Deutschen Buchpreis, den sie – so selbstbewusst und ehrgeizig ist sie – wenn nicht für ihren Zweitling „Windstärke 17“, dann eben später unbedingt gewinnen will?
Mannheims Hochhäuser als Inspiration für Caroline Wahl
Die Häme, die sie zuletzt auch für ihr Äußeres und ihre Stimme abbekam, hätten ihr zugesetzt, hat sie neulich zugegeben. Bei ihrer Lesung in der restlos ausverkauften Alten Feuerwache ist davon allerdings nichts zu spüren. Caroline Wahl ist in Schriesheim-Altenbach aufgewachsen und macht gleich mal klar: Sie kennt Mannheim gut. Mehr noch: Die Hochhäuser der Neckaruferbebauung Nord, die gleich hinter der Alten Feuerwache aufragen, hätten sie zum Setting des Dates von Tilda und Viktor in „22 Bahnen“ inspiriert.
Exakt strukturierte und sehr unterhaltsame 90 Minuten lang liest sie anschließend Passagen aus ihrem aktuellen Roman über Charlotte, eine junge Frau, die eine Stelle als Assistentin eines narzisstischen Verlegers antritt und in ein System aus Machtmissbrauch und Selbstausbeutung gerät. Sie habe „eine innere Dringlichkeit“ verspürt, das Thema aufzugreifen, sagt sie und ordnet den Fortgang der Handlung zwischendurch erklärend ein, greift vor und spoilert ein bisschen, ähnlich wie das die allwissende Erzählstimme in „Die Assistentin“ tut.
Caroline Wahls rosa Prinzessinnenkleid war teuer
Das Stilmittel funktioniert nicht nur zwischen den Buchdeckeln, sondern ist auch live richtig gute Unterhaltung und kommt gut an beim Publikum, dessen Frauenanteil mit 90 Prozent möglicherweise noch zu gering angegeben ist. Auch Caroline Wahls Gabe zur Selbstironie blitzt mehrfach auf. „Ich sollte darüber nicht reden, das tut meinem Image nicht gut“, schickt sie unter Gelächter voraus, um dann kurz über ihr Outfit, ein rosa Prinzessinnenkleidchen, zu plaudern: „Das war teuer, obwohl es nicht von Prada ist.“
Caroline Wahl macht klar: Sie hat keinen Bock auf falsche Bescheidenheit, sondern beschlossen, ihren Erfolg zu genießen. Darf sie das? Aber ja doch. Der Andrang am Signiertisch ist riesig.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/kultur_artikel,-regionale-kultur-caroline-wahl-liest-in-der-feuerwache-klar-darf-die-das-_arid,2329363.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html