Literatur

Donna Leons „Backstage“: Ganz ohne Brunetti geht es nicht

In „Backstage“ gibt Donna Leon mit literarischen Vignetten und persönlichen Erlebnissen Einblick in ihr Leben. Und das mit viel Humor.

Von 
Frank Dietschreit
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Ihre Brunetti-Romane machten sie weltberühmt: die Autorin Donna Leon. © picture alliance/dpa

Mit Anfang dreißig wäre Donna Leon niemals auf den Gedanken verfallen, dass sie einmal eine bekannte Schriftstellerin werden, nach Venedig ziehen und mit dem sensiblen Commissario Brunetti eine Krimi-Reihe ins Leben rufen könnte, die sie zu Weltruhm und Reichtum führen würde. Damals, in den 1970er Jahren, lebte sie in Bloomfield, New Jersey, und machte an der Abendschule ihren Master in Englischer Literatur: „Mein Geld verdiente ich mir als Aushilfslehrerin an den Grundschulen von Newark, der Stadt mit der höchsten Säuglingssterblichkeit im ganzen Land. Newark war nur etwa zehn Kilometer von Bloomfield entfernt, doch es hätte ebenso gut auf dem Mond liegen können, so sehr unterschieden sich die beiden Städte.“ Einer ihrer Schüler hieß Cedric, ein sympathischer und bildungshungriger Junge: „Er müsste mittlerweile weit über fünfzig Jahre alt sein, doch allen Statistiken nach ist Cedric tot oder im Gefängnis. Er war schwarz und lebte in Amerika, also hatte er von Anfang an kaum eine Chance.“

Zur Autorin

Geboren wird Donna Margaret Leon am 28. September 1942 in Montclair/New Jersey. Sie studierte Englische Literatur, arbeitete als Reiseleiterin in Rom, Werbetexterin in London und als Lehrerin unter anderem in China und Saudi-Arabien, Schweiz und Italien.

Die Notizen zu ihrer Dissertation über Jane Austen gingen verloren, als sie vor der islamischen Revolution aus dem Iran fliehen musste. Ihr erster Brunetti-Roman („Venezianisches Finale“) kam 1992 heraus. Bis heute sind 33 Bände erschienen, „Feuerprobe“ (2024) war der vorerst letzte.

Donna Leon unterstützt verschiedene Barock-Orchester und verehrt die Musik von Georg Friedrich Hände l. Seit einigen Jahren lebt sie vorwiegend in der Schweiz und kommt nur noch selten in ihre alte Wahlheimat Venedig. (FD)

Die Erinnerungen an Cedric hat Donna Leon jetzt in einer kurzen Erzählung ans Tageslicht geholt und literarisch wiederbelebt. Es ist eine von insgesamt 33 Geschichten, die sie in ihrem Buch „Backstage“ versammelt, eine Sammlung von literarischen Vignetten und privaten Erlebnissen, politischen Notizen, leidenschaftlichen Exkursionen in die zeitlose Schönheit der klassischen Musik. Vielleicht sind es Vorarbeiten für eine Autobiografie, die Donna Leon wohl niemals schreiben wird. Denn künstlerische Eitelkeit ist der Autorin fremd, die viele Jahre als Lehrerin, Reiseleiterin und Werbetexterin durch die Welt vagabundierte, bevor sie ihre Bestimmung fand und mit Brunetti einen Bruder im Geiste schuf, der zwar stets in den Sumpf krimineller Machenschaften gezogen wird, im Grunde aber viel lieber zuhause auf dem Sofa sitzen, in der Welt seiner geliebten alten Griechen und Römer leben, mit seiner Gattin Paola über die Romane der englischen Klassik philosophieren und abtauchen würde in die großen Werke von Charles Dickens und Henry James, Thomas Hardy, Jane Austen und Emily Bronté.

Aus gefährlichen Erlebnissen saugt sie kuriosen Honig

In den autobiografisch grundierten Texten umkreist Donna Leon ihr unstetes Leben und ihre künstlerischen Wurzeln. Sie führt uns bis in den Iran, wo sie als Lehrerin arbeitete, als die islamische Revolution die westlich orientierte Herrschaft des Schah hinwegfegte und es ihr nur knapp gelang, ins rettende Ausland zu entkommen. Dabei verliert sie nie den Mut und den Humor. Immer sitzt ihr der Schalk im Nacken, saugt sie aus gefährlichen Erlebnissen kuriosen Honig. Einmal unterrichtet sie an einer Privatschule in der Schweiz und versucht ihre Schüler auch für klassische Musik, vor allem für die barocken Werke von Georg Friedrich Händel, zu interessieren: „Eher hätten sie sich für tägliche Gebetsstunden erwärmt. Meinen und ihren Musikgeschmack trennten Welten, und so wäre es wohl für immer geblieben, hätten nicht einige Schüler eines Tages eine Art Veitstanz aufgeführt.“

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Weil sie spätabends nicht ohne Aufsicht das Haus verlassen und ein Konzert besuchen dürfen, flehen die Schüler ihre Lehrerin an, sie zu begleiten. Es handelt sich um den legendären Auftritt von Frank Zappa im Casino von Montreux, der in einem Flammen-Inferno endete, der Rauch weithin über den See getrieben wurde und wie ein Menetekel wirkte über den Untergang einer Kultur. Die Rocker von Deep Purple haben das in ihrem Song „Smoke on the Water“ lautstark verewigt. Noch heute ist Donna Leon, die von Pop oder Jazz nichts versteht, sofort Mittelpunkt einer Gesprächsrunde, wenn sie berichtet, wie sie ihre bekifften Schüler aus dem brennenden Casino geführt und heil wieder im Internat abgeliefert hat.

Ihre Romane beginnt sie ohne Konzept, nur mit einer vagen Idee

Das Leben, das merkt man in jeder Geschichte, hat es immer gut gemeint mit Donna Leon. Weil sie dankbar ist und manchmal selbst nicht recht versteht, warum ihre Romane so erfolgreich sind, die sie ohne jedes Konzept, sondern nur mit einer vagen Idee vom Mord-Motiv und fast aufs Geratewohl beginnt, formuliert sie auch einen rührenden Geburtstagsbrief für Brunetti zum Dreißigsten. Mögen beide, Brunetti und seine Erfinderin, uns noch lange mit ihren ebenso kostbaren Gedanken erhalten bleiben.

Donna Leon: „Backstage“. Aus dem amerikanischen Englisch von Werner Schmitz, Christa E. Seibicke u.a. Diogenes Verlag, Zürich. 256 S., 25 Euro

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