Ludwigshafen. Wie kein anderer versteht Dieter Nuhr mit fast beiläufig anmutendem Erzählen samt Sing-Sang in der Stimme pointenreich zu wettern und dabei zu polarisieren. Der weiße (oder weise?) alte Mann, wie sich der 63-Jährige gern bezeichnet, wird geliebt und gehasst.
Und weil die nahezu ausverkaufte Ludwigshafener Eberthalle voll mit Fans ist, wird er bei seinem linksrheinischen „Nuhr auf Tour“-Gastspiel bejubelt. Auch dafür, dass er zwei Stunden ohne Pause agiert und spontan auf Situationen reagiert - wenn beispielsweise Spätkommer aufs Handy starrend an der Bühne vorschlurfen.
Dieter Nuhr kritisiert alles
Menschen, die Gender-Sternchen auf den Mond wünschen, Attacken der „letzten Generation“ als das Letzte betrachten, Bevormundung bei Ernährung kein bisschen goutieren, von Wokeness so viel oder wenig wie von Wokpfannen halten - ihnen spricht der Kabarettist aus dem Herzen.
Und dabei präsentiert sich Nuhr pur. Ohne Kulissenschnickschnack, ohne inzwischen bei Comedyshows übliche Filmchen. Der Bühnen-Profi und TV-Star bevorzugt, ohne Leinwandprojektion im Riesenformat groß rauszukommen.
Neben dem prallen Alltag ist die Politik sein Lieblingsthema. Und so spottet er nicht nur über spätnachts geschaltete Ampeln, die mit langen Rot-Phasen den nicht vorhandenen Verkehr regeln, sondern obendrein über die Regierungsampel, die nichts regelt.
Dieter Nuhr verzichtet nicht auf Schwulenwitze
Dass Nuhr (lang, lang ist‘s her) Gründungsmitglied der von ihm inzwischen verlassenen Partei die Grünen war, darauf deutet in seinem Programm nicht ein Fitzelchen hin. Genüsslich zitiert er aus dem Jugendbuch von Robert Habeck den Kalauer „Wohin fliegt ein schwuler Adler? Zu seinem Horst!“. Glücklicherweise habe der Autor seinen Beruf gewechselt, kommentiert Nuhr spitz, gesteht aber dem studierten Philosophen zu, „ein angenehmer Mensch zu sein“. Gleichwohl gelte für den Wirtschaftsminister für wie seine Außenministerkollegin Annalena Baerbock: „Sie meinen es gut, aber können es nicht“.
Besser Clown sein als mit Panzern Schrecken verbreiten
Auf dem Planeten „sind wir inzwischen die Clowns, über die man lacht“, beklagt der Kabarettist und ergänzt tröstend, dass dies immerhin besser ist, als, wie früher, mit Panzern Schrecken zu verbreiten. Ohnehin sei die Bundeswehr längst nicht mehr wehrhaft. „Und Verteidigungsministerin Lambrecht, die wenigstens für Abschreckung stand, ist weg.“
Der Mittsechziger aus der Baby-Boomer-Generation blickt gern zurück: Als Freibäder noch unbeschwerte Orte für pubertäre Paarungsrituale waren. Als es noch keine Helikoptereltern gab, die je nach persönlicher Ideologie ihren „dysfunktionalen Pumuckl“ entweder per SUV oder im Lastenfahrrad direkt vor die Schule chauffieren. Als bei den Bundesjugendspielen noch Sprungweiten gemessen, Laufzeiten gestoppt wurden und nicht „Wir sind alle Sieger“ galt.
Als nur Frauen menstruierten und nach der Geburt eine Kindes Mutter statt „entbindende Person“ hießen. Als es noch keine Künstliche Intelligenz gab, die sich möglicherweise als Jobkiller erweisen könnte. Nuhr beruhigt: „Wenn KI so viel intelligenter als wir ist, wird sie uns die Arbeit überlassen und Bürgergeld beantragen!“
Der Kabarettist liebt Witze - vor allem solche, die er selbst kreiert. Beispielsweise über die armen Veganer, die sich in „Wurstpellen“, Pardon, in eng anliegende Fahrradanzüge, zwängen. Oder über geschlechtsgerechte Formulierungen. „Also ich schreibe mich im Hotel als Mann mit Penis ein.“
Dieter Nuhr bürstet so ziemlich alle Themen gegen den Strich
Und natürlich schneit in sein Tour-Programm flockig bis eisig das Thema Klima-Aktivismus. Und weil sich seine bisherige Lieblings-Widersacherin ins Abseits manövriert hat, kündigt er an, „Greta von ihren Sorgen zu erlösen“. Auf seine Art versteht sich. Und die basiert auf der dem Publikum zugerufenen Berechnung: Global gesehen liegt die in Deutschland verursachte Umweltverschmutzung bei weniger als zwei Prozent. „Achtung Abiturienten, das bedeutet nicht die Mehrheit!“
Ja, Nuhr wird seinem Ruf gerecht, gegen den Strich zu bürsten - was die „Zeit“ zu dem Kommentar veranlasste: „Der Kabarettist lebt mittlerweile vor allem von der Kritik an ihm“. Seine Fans sehen dies anders - sie bedenken ihn in Ludwigshafen während und nach seinem Auftritt mit begeistertem Applaus.
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