Kulturpolitik - In einer außerordentlichen Sitzung des Mannheimer Kulturausschusses geht es um die Maßnahmen während der Pandemie

Die Fronten scheinen verhärtet

Von 
Stefan M. Dettlinger
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Bleibt vorerst nach wie vor geschlossen: das Nationaltheater Mannheim am Goetheplatz. © Bluethner

Es ist eine politische Debatte. Keiner rückt auch nur einen Zentimeter von seinem Standpunkt ab. Keiner gibt zu, dass Dinge vielleicht nicht ideal gelaufen sind oder er oder sie vielleicht selbst daran schuld sei. Das kennt man. Glaubt man also der Verwaltung, heißt es: Alles lief gut mit der Mannheimer Kulturpolitik während der Pandemie. Die Coronakrise wurde gemeistert, viel Geld wurde in die Hand genommen und verteilt, Programme und Initiativen auf die Schiene gesetzt. Glaubt man den Kritikern der Verwaltung, agiert diese zu passiv, als bürokratische Behörde, bei der – frei nach Reinhard Mey – Anträge auf Erteilung eines Antragsformulars gestellt werden müssten.

Dass Kulturbürgermeister Michael Grötsch (CDU) die Verteidigungshaltung pflegt und sich auch vor Kulturamtsleiterin Sabine Schirra stellt, findet Stadtrat Thorsten Riehle (SPD) irritierend. „Michael, du hast nicht verstanden, worum es geht. Und das ist dramatisch.“ Zu diesem Zeitpunkt der Debatte bei der außerordentlichen Sitzung des Kulturausschusses am Mittwochabend sind die Gemüter schon erhitzt.

Eingangs hatte Schirra in einem mehr als halbstündigen Vortrag referiert, was im letzten Jahr passiert ist, welche Gelder und welche Initiativen und Institutionen – finanziell – unterstützt worden sind. Auf einen Offenen Brief von Grünen- und SPD-Kulturpolitikern reagierend sagte sie auch, dass versucht wurde, Räume zu vermitteln. In Schulen. Im Nationaltheater. In Parks. Aber sowohl vom zuständigen Dezernat als auch von Nationaltheater und den Parks kamen laut Schirra Absagen.

Nach Ansicht der Briefeschreiber ist das nicht genug, treffe die Arbeit von Schirra und Grötsch den Kern des Problems nicht. Er habe 20 Kulturschaffende gefragt, ob sie sich gut unterstützt fühlen und habe 20 mal Nein gehört, sagt Riehle. Er und die Stadträte Markus Sprengler, Gerhard Fontagnier, Angela Wendt (Grüne) sowie Helen Heberer (SPD) fordern von Grötsch und Schirra, aktiv auf die Kulturszene zuzugehen, Hilfe anzubieten. „Ich bin bis zum Bundesfinanzministerium gegangen, um rauszukriegen, dass das Nationaltheater Überbrückungshilfen bekommen kann. Es wäre Aufgabe der Kulturverwaltung gewesen, das zu tun. Es ist nicht meine Aufgabe. Und das ist schlecht“, so Riehle.

Diskutiert wird im Ausschuss auch das Verfahren des Offenen Briefes an sich. Stadtrat Achim Weizel (ML) und Thomas Hornung (CDU) kritisieren die Schreiber sehr. „Ich habe den Eindruck, dass es einigen um die Sache geht“, sagt Hornung, „anderen geht es aber um Aufmerksamkeit und Bashing: große Kultur gegen Soloselbstständige“.

Wie Bettler Hilfsanträge stellen

Auch Jazzmusiker und Clubbetreiber Thomas Siffling schaltet sich in die Diskussion ein. Keiner der Anwesenden, die am Ende des Monats immer ein Gehalt auf dem Konto hätten, könne es sich vorstellen: Aber einige der Künstler würden sich einfach schämen, wie Bettler Hilfsanträge stellen zu müssen.

Nicht nur Grötsch, auch der Geschäftsführende Intendant des Nationaltheaters, Marc Stefan Sickel, verweisen auf das Geleistete. Sickel erläutert, dass seit 24. März vergangenen Jahres 71 Streamings entstanden seien und insgesamt 320 Beiträge mit künstlerischen Inhalten von einzelnen Künstlerinnen und Künstlern. Schauspielintendant Christian Holtzhauer bemerkt: „Der Offene Brief hat mich getroffen.“ Er verstehe diese Vorgehensweise nicht. Opernintendant Albrecht Puhlmann und Junge-Theater-Intendantin Ulrike Stöck lassen Ähnliches durchblicken. Alle NTM-Intendanten zählen recht akribisch auf, was seit Corona passiert sei, und widersprechen dem Vorwurf aus dem Offenen Brief, es sei zu wenig passiert. Holtzhauer gibt aber auch zu: „Ich nehme den Brief trotzdem ernst.“

Schon davor hat Fontagnier bemerkt: „Wir sollten offen miteinander umgehen und nicht aufeinander herumhacken. Wir haben den Brief geschrieben, weil wir nicht anders weitergekommen sind. Wir haben eine vielfältige Szene aufgebaut im letzten Jahrzehnt. Und die müssen wir jetzt retten.“ Klar ist, dass das auch Grötsch und dem anderen Lager wichtig ist. Es scheint mehr um das Wie zu gehen. Fontagnier: „Wenn Sie, Herr Grötsch, eine kreative Kulturpolitik machen würden, dann müssten wir keinen Offenen Brief schreiben.“

Tatsache ist, dass eine öffentliche Debatte entstanden ist – das kann positiv bewertet werden. Dass sie mit Verletzungen einhergeht, weniger. Muss das so sein? Es wäre zu wünschen, dass die Positionen durchlässiger werden. Die Diskussion ging und geht weiter. Auch am Mittwoch.

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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