Nibelungenfestspiele

„Der Diplomat“ feiert in Worms Premiere

Beim Wormser Festspielsommer hat „Der Diplomat“ Premiere und beantwortet die Frage nach Gewaltverzicht skeptisch. Die Nibelugenfestspiele bilden in diesem Jahr die beunruhigende Stimmung unserer Zeit ab

Von 
Uwe Rauschelbach
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"Der Diplomat" vor der Ostseite des Doms © Rudolf Uhrig

Worms. Hätte Francis Fukuyamas Diagnose vom „Ende der Geschichte“ zugetroffen, dann wäre die Nibelungensage vielleicht inzwischen auserzählt. Doch die Verhältnisse sind nicht danach. Und so handelt auch dieser Wormser Festspielsommer von Kriegen und Gewalt, die einen tausendjährigen Blutstrom verursacht haben, der sich bis in unsere Tage ergießt. Die unheilbare Wunde des auf der Bühne aufgebahrten Leichnams Siegfrieds, mit dessen Tod das neue Stück „Der Diplomat“ beginnt, dient als Sinnbild für die Folgen jenes nicht enden wollenden Gemetzels, in das die Menschheit seit Anbeginn verstrickt ist.

Der künstliche Korpus des toten Helden wirkt täuschend echt, selbst die Gesichtszüge lassen rätseln, um welchen Darsteller es sich handeln könnte, aus dessen Halswunde unablässig Theaterblut auf die Bühne (Palle Steen Christensen) tropft. Eine Art Amfortas-Wunde für Tote, und so ergießt sich über den Boden das ganze Stück hinweg rote Farbe, die immer mal wieder weggewischt oder -gespritzt werden muss, was den prominenten Besucherinnen und Besuchern in der ersten Reihe einige spannungsreiche Momente beschert. Die Bewohner an Gunters Hof tun sich derweil an Spießen vom Grill gütlich.

Schlussapplaus zur Inszenierung © Rudolf Uhrig

Vor der monumentalen Kulisse des Wormser Doms bewegen sich die Schauspielerinnen und Schauspieler auf einem ekligen Grund aus Theaterblut und schmatzendem Schlamm. Ein dreckiger Wasserkanal stellt eine Art verkümmerten Unterwelt-Lethe dar, in dem man sich verzweifelt suhlt oder Tote entsorgt. Videoprojektionen (Clemens Walter und Jonas Dahl) bringen uns die Physiognomie und Mimik der Darsteller näher. Blut- und schlammverschmierte Gesichter sind die Regel; nach dem Mord an Siegfried und in Anbetracht der kriegerischen Spannungen zwischen Burgundern und Hunnen, in die dann auch noch das Römische Reich eingreift, lassen die Protagonisten am Hof König Gunthers alle guten Sitten fahren.

Zustand aus Dekadenz und Aufruhr

Es herrscht ein agonischer Zustand aus Dekadenz und Aufruhr. Guter Rat ist teuer: Soll ein Heer gegen Etzels Hunnen gerüstet werden, ist dem Schutzangebot der Römer zu trauen, und was ist von der Friedensinitiative Dietrich von Berns zu halten, der Kriemhild an Etzels Hof holen möchte, um die Kriegsgefahr zwischen beiden Völkern zu bannen? „Diplomat“ Dietrich, von Franz Pätzold mit der dringlichen Attitüde eines Weltverbesserers ausgestattet, ist ein Krieger ohne Waffen. Man sieht ihn zu Beginn noch selbst mit dem Schwert wüten, doch nach einigen persönlichen Opfern, die diese Rabenschlacht hinterlässt, wandelt er sich zum Radikalpazifisten und möchte auch die Burgunder dazu bekehren: „Ihr könnt Gewalt nicht mit Gewalt vertreiben.“

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Doch die Burgunder sind, mephistophelisch angefeuert vom römischen Boten Sibich (Felix Rech), misstrauisch. Und spätestens als der pubertär-aufsässige Giselher (Aniol Kirberg) von der gierig Blut leckenden Kriegerin Witta (Marta Kizyma) erstochen wird, ohne dass Dietrich eingreift, erweist sich dessen diplomatische Initiative als gescheitert und ganz nebenbei das fünfte Gebot („Du sollst nicht töten“) in dieser konkreten Situation als fragwürdig.

Das Buch von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel thematisiert die aus einer pazifistischen Grundhaltung erwachsenden ethischen Dilemmata nicht aus einer wertenden Position. Es hält solche Fragen vielmehr in der Schwebe und beharrt auf der literarhistorischen Verortung dieses Dramas, das sich damit auch nicht als Blaupause für akute geopolitische Konflikte empfiehlt.

Gleichwohl bietet „Der Diplomat“ auf die Frage, ob Kriege durch Kriege zu beenden sind, oder ob der Frieden nicht doch ausschließlich auf gewaltfreiem Weg zu erreichen ist, eine eher pessimistische Antwort. Kriemhilds Ankündigung, bevor sie an Etzels Hof übersiedelt, lässt diesbezüglich Schlimmes ahnen: „Ich zünde die Welt an.“

Spektakuläre theatralische Effekte

Dieser vage Zustand, in dem angesichts einer akuten Kriegsgefahr eine gewichtige Entscheidung zu treffen ist, wird unter der Regie von Roger Vontobel und der Dramaturgie von Thomas Laue schlüssig, bildgewaltig und mit starkem darstellerischen Einsatz auf die Bühne gebracht. Überzeugen können alle Akteure in ihren Rollen: neben den bereits genannten auch die von Wut zerfressene Kriemhild (Jasna Fritzi Bauer), die desillusionierte Feministin Brunhild (Yohanna Schwertfeger), Berufsskeptiker Hagen (Thomas Loibl), der dauerängstliche Gernot (Anton Dreger), der debile König Gunther (Marcel Heuperman) und der latent auf Streit gebürstete Hildebrand (Christoph Franken).

Aufführrung "Der Diplomat" © Rudolf Uhrig

Cynthia Cosima Erhardt ist in besonderer Weise gefordert: Sie ist der Geist Erkas, der toten Frau Etzels, und als solche auf Rache für ihre in der Schlacht getöteten Kinder aus. Mit schaurig-gequälter Grimasse, flehenden Gesten und in sprachlich meist nicht zu identifizierenden Gesängen von Björk-ähnlicher Ausdrucksintensität verleiht sie dem Geschehen einen zusätzlich dramatischen, bisweilen über die Grenze des Erträglichen schwappenden Akzent.

Spektakulär sind auch die theatralischen Effekte und optischen Phantasmagorien, die den zweiten Akt mit Einbruch der Dunkelheit bebildern (Licht: Súni Joensen). Nun lodern nicht nur Fackeln, sondern gehen auch die Leichen Giselhers und Siegfrieds in Flammen auf. Und die heulende Spielverderberin Erka wird von einer Dampfsäule, die donnernd aus dem Boden schießt, endgültig ins Totenreich befördert. Zusätzlich lädt eine fünfköpfige Band am Bühnenrand die Szenen mit Gothic-artigen Klängen (Matthias Herrmann und Keith O'Brien) von Gitarre, Cello, Schlagzeug, Bass und Geigen atmosphärisch auf.

Nibelungenfestspielen geht der Stoff nicht aus

Von Rauchschwaden umhüllt, die noch beim Schlussapplaus über die Tribüne wabern, nimmt man jene typische Mischung aus Faszination und Befremden wahr, die diese Aufführungen in Worms zuverlässig hinterlassen. „Es ist alles zum Guten gewendet“, irrt Dietrich. „Burgund muss brennen“, korrigiert Brunhild. Wie es in der Sage weitergeht, ist hinlänglich bekannt. Und damit scheint klar: Solange der Siegeszug des Bösen anhält, wird den Machern der Wormser Nibelungenfestspiele der Stoff nicht ausgehen. 

Freier Autor

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