Worms. Ein kriegsmüder Held als Vermittler zwischen verfeindeten Fronten steht im Mittelpunkt des Dramas „Der Diplomat“ von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel, das am 12. Juli bei den Nibelungenfestspielen Premiere hat. Beim diesjährigen Spiel vor dem Dom geht es nicht nur um Ränke rund um Siegfried, Hagen, Gunter und Hunnenkönig Etzel, sondern auch um die Frage, wie schwer es ist, einen Krieg zu verhindern, den eigentlich keiner will.
Wir sprachen mit Feridun Zaimoglu - und somit 50 Prozent des Autorenduos.
Herr Zaimoglu, Sie arbeiten mit Günter Senkel im Autorenduo, wie darf man sich das vorstellen?
Feridun Zaimoglu: Wir arbeiten niemals nebeneinander am Schreibtisch oder auch nur in einem Arbeitszimmer. Wir gehen hinaus, fahren mit Günters Kastenwagen herum, sprechen, notieren - und die Idee wächst. Jeder macht sich seine Gedanken. Ich bin mehr für die Sprache zuständig, Günter kümmert sich mehr um Szenenabläufe, Recherche, Rollenverteilung und -gewichtung. Wir tauschen uns immer wieder aus und sprechen uns ab.
Klingt irgendwie anstrengend ...
Zaimoglu: Ist es aber nicht, weil wir in einem Haus, sogar auf demselben Stockwerk wohnen. Der Arbeitsgang ist ein sehr kurzer Gang über den Treppenhausflur und lässt sich gut und einfach bewältigen, das Anklopfen auch. Man ist schnell im Gespräch.
Sie sind in Sachen Worms Wiederholungstäter: gleicher Stoff, gleiches Festival. Was ist konzeptionell anders als bei „Siegfrieds Erben“?
Zaimoglu: Man hält es nicht für möglich, aber grundsätzlich ist es in Worms jedes Mal anders. 2018 haben wir mit „Siegfrieds Erben“ eine ganz andere Geschichte erzählt. Damals haben wir versucht, die Sage fortzuschreiben, und dieses Jahr erzählen wir in „Der Diplomat“, wie es sich verhält, wenn ein Kriegerkönig, ein Mann wie Dietrich von Bern, der eigentlich eine Assistenzfigur in der klassischen Nibelungengeschichte darstellt, von Gewalt ablässt und sich in den Dienst eines anderen Königs stellt, um zu vermitteln, um dem Blutvergießen ein Ende zu bereiten.
Feridun Zaimoglu - Dramatiker und Romancier
- Das neue Stück für die Nibelungenfestspiele 2024 schrieb das Autorenduo Feridun Zaimoglu und Günter Senkel. Die beiden erarbeiteten bereits 2018 mit „Siegfrieds Erben“ ein Stück für Worms.
- Feridun Zaimoglu, Jahrgang 1964, kam 1965 mit seinen Eltern aus der Türkei nach Deutschland. Zaimoglu nahm nach dem Abitur zunächst ein Medizinstudium auf, das er aber abbrach, um als freier Publizist in Kiel zu arbeiten. Als Literaturkritiker und Essayist schrieb er etwa für „Die Zeit“, „Die Welt“ oder „Spex“.
- In der Spielzeit 1999/2000 war Feridun Zaimoglu am Nationaltheater Mannheim unter Schauspieldirektor Bruno Klimek nach Albert Ostermaier, Simone Schneider und Werner Fritsch der vierte NTM-Hausautor.
- Für seine Werke wie „Koppstoff“, „Liebesmale-Scharlachrot“, „Kanak Sprak“, „German Amok“ oder „Leyla“ wurde Zaimoglu vielfach ausgezeichnet.
- Er beteiligt sich stark am politischen Diskurs zu Migrationsfragen und war in den Jahren 2009 und 2017 Wahlmann bei der Bundespräsidentenwahl.
- „Der Diplomat“ heißt das neue Stück der Nibelungenfestspiele. Es wird in der Inszenierung des Schweizer Regisseurs Roger Vontobel vom 12. bis 28. Juli, jeweils 20.30 Uhr, vor der Fassade des Wormser Doms aufgeführt. Karten zwischen 29 und 139 Euro gibt es unter der Ticket-Hotline 01805/33 71 71 sowie online.
Was passiert?
Zaimoglu: Dietrich von Bern geht als Unterhändler und Botschafter des Hunnenkönigs Etzel an den Burgunderhof, um für Etzel um die Hand der immer noch trauernden Siegfried-Witwe Kriemhild anzuhalten. Das ist die Kerngeschichte. Darüber hinaus fragt das Stück, wie und ob es überhaupt möglich ist, von heute auf morgen zu einem Frieden zu kommen.
Sie gehen aber noch einen Schritt weiter als zu den Burgundern ...
Zaimoglu: Genau, wir zeigen die Burgunder in der schwierigen Situation der zunächst zwar diplomatisch verfassten Forderung Dietrichs, sich dem starken Kriegerkönig einer damaligen Supermacht zu verschwägern. Willigt Kriemhild nicht ein, kommt der Hunnenzorn über die Burgunder.
Andererseits steht aber mit den Römern auch schon eine andere Supermacht vor der Tür, die wiederum die Herausgabe Dietrichs fordert, weil sie diesen als Gefahr für ihren Statthalter erachten. Bei Nichterfüllung der römischen Forderung droht damit ebenfalls Unheil. Es wird also Mord und Totschlag geben.
Ist es da nicht leicht zynisch, das Stück „Der Diplomat“ zu nennen?
Zaimoglu: Nein, ist es überhaupt nicht, weil es Dietrich von Bern tatsächlich darum geht, zu verhandeln, zu vermitteln und sich auch nicht als Mann auf verlorenem Posten sieht. Er hat Etzel überzeugen können, nicht gleich mit dem Hunnenheer in Worms einzufallen, sondern sieht die große Möglichkeit, über Diplomatie das Blutvergießen zu verhindern. Das ist alles andere als zynisch, im Gegenteil. Er wird bis zum Schluss trotz Spott und Häme, die ihm entgegenschlagen, nicht von seinem Vorhaben ablassen.
Wie blutig wird das Ganze?
Zaimoglu: Es ist ein blutiges Schauspiel. Die Engländer haben mit dem genialen Shakespeare ihre Königsdramen - und die Nibelungen sind im Grunde ein deutsches Königsdrama mit Einflüssen von außerhalb, gesättigt mit vielen kulturellen Noten zwar, aber es ist ein Königsdrama. Und was wäre ein solches ohne Intrige, ohne Verrat, ohne Meuchelei, Tod und Teufel, große Liebe. Das alles ist in unserem Stück enthalten.
Es wird also sehr blutig!
Zaimoglu: Ja, blutig, aber es geht ja nicht nur um das Blut, das noch vergossen wird, es geht auch um das Blut von Siegfried, denn er blutet und blutet im Tode weiter. Ist das ein Omen? Kündet das von Unheil oder weist es auf etwas anderes hin?
Ich kann Ihnen das nicht sagen, das müssen doch Sie wissen!
Zaimoglu: Ja, aber das möchte ich nicht verraten.
Es geht Ihnen in Sachen Diplomatie auch um das Abwägen von sehr komplexen Zusammenhängen, richtig?
Zaimoglu: Ja. Wir wollen natürlich eine Geschichte auf der Bühne erzählen, bebildern und in Worte kleiden und nicht mit Thesen und Theorien kommen. Wir haben kein diplomatisches Thesenpapier eingereicht, sondern ein Schaustück geschrieben, in dem es auch darum geht, dass ein Kriegsherr, also Dietrich von Bern, zwar für sich - ohne das Wort Friede in den Mund zu nehmen - bestimmen kann: „Ab heute bin ich ein König ohne Krone, ab heute will ich das Schwert in der Scheide stecken lassen!“
Ein schöner Zug! Mit Folgen?
Zaimoglu: Wahrscheinlich schon. Die Frage für uns war: Kann es denn sein, dass die Welt nur über diese eine Entscheidung Dietrich von Berns einfriert. Das ist lobenswert, aber was machen die Burgunder, die Römer, die Hunnen? Kann das gut gehen, wenn nur eine Großmacht von Gewalt absieht?
Das scheint ein sehr heutiges Problem zu sein ...
Zaimoglu: Natürlich weist „Der Diplomat“ auch stark in unsere Gegenwart. Wir wären nicht unfroh, wenn das Stück diesen Mehrwert auch zeitigte.
Kommen wir zu Ihrer Sprache. Können Sie mit der Einordnung „bildhaft, im guten Sinne pathetisch“ leben?
Zaimoglu. Teils, teils. Wir haben versucht, in Bildern zu sprechen, tatsächlich Bilder in Worte zu übersetzen. Das ist richtig. Wir beziehen uns dabei auf ein seelenhaftes Deutsch. Wir sind nicht der Meinung, dass man dem Theater, aber auch der Literatur nicht, die schöne deutsche Sprache austreiben sollte. Darunter leidet dann das Schauspiel. Wir haben versucht, das Stück in einer urtümlichen Sprache zu verfassen, wollten aber einen allzu dramatischen Missklang zu vermeiden.
Bei „pathetisch“ sind sie nicht einverstanden?
Zaimoglu: Ich zucke bei „pathetisch“ ein wenig. Diese Sprache soll heutig klingen, aber dabei nicht in dieses gängige Fuzzi-Deutsch abrutschen. Schließlich beziehen wir uns in der Beschäftigung mit dem Nibelungenstoff ja auf eine großartige, eine wirklich mächtige Geschichte und Sprache. Es kann nicht sein, dass sie in Wohngemeinschaftsgequassel erstickt. Dieses Deutsch verachte ich zutiefst. Wir haben uns auf die deutsche Sprachkraft bezogen.
Inwieweit nimmt der Uraufführungsort Einfluss auf Ihre Schreibarbeit? Schreiben Sie für Worms anders als für ein Stadttheater?
Zaimoglu: Generell versuchen wir, bei allen Auftragsarbeiten geländegängig zu sein. Wir schreiben jedes Mal anders, aber natürlich nimmt der Zauber des Ortes Einfluss. Nach 25 Jahren Erfahrung als Stückeschreiber können wir, denke ich, beurteilen, dass Worms ein ganz besonderer Ort ist. Wir haben diesen Dom als große Kulisse, von der man durchdrungen ist, und diese große Geschichte, in die wir vor Ort eintauchen. Wir sind mit der Abgabe des fertigen Stücks im guten Sinne erschöpft - und werten das als gutes Zeichen. Denn eines steht fest wie der Dom: Mit halben Sachen kann man in Worms nicht kommen.
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