Worms. Blitzlichtgewitter statt Donnerwetter: Es herrscht eitel Sonnenschein bei der Premiere der Nibelungenfestspiele. Dabei hatten die Verantwortlichen durchaus gezittert angesichts der noch am Mittwoch vorhergesagten schweren Unwetter. Erst am Premierenmorgen hatte es vom Deutschen Wetterdienst Entwarnung gegeben: Kein Regen, kein Unwetter am Freitagabend. Ein kühler Wind, der während der Premierenvorstellung über die Festspielbühne vor dem Nordportal des Doms fegt und manche Frau im schulterfreien Kleid frösteln lässt, betreibt zudem Geheimnisverrat, weht um Einiges zu früh den Stoff beiseite, der den Leichnam Siegfrieds bedeckt - das zentrale Element der Inszenierung. Die Leiche will nicht aufhören zu bluten. Dutzende Liter von Kunstblut fließen über die Bühne, machen aus dem Boden eine rutschige Fläche, was den einen oder anderen Beteiligten beim Schlussapplaus schwer ins Schlingern bringen lässt.
Die Nibelungenfestspiele 2024
- Das Festspielstück „Der Diplomat“ wird noch bis zum Sonntag, 28. Juli, vor dem Nordportal des Doms gespielt.
- Restkarten dafür gibt es unter nibelungenfestspiele.de.
- Außerdem lässt sich an jedem Abend „das schönste Theaterfoyer Deutschlands“ genießen. Flanierkarten für den Heylshofpark gibt es an der Tageskasse für vier Euro. Der Park öffnet um 17.30 Uhr.
- Das Kulturprogramm der Festspiele bestreiten vor allem frühere Festspiel-Akteure mit Solo-Programmen: Nina Petri, die Brünhild der Inszenierung von 2009, präsentiert am 25. Juli ihre Lesung „Unheimlich!“ Wiebke Puls, Sophie von Kessel und Dennenesch Zoudé spielen das Stück „Falsche Götter“ von Albert Ostermaier am 27. Juli.
- Zum 100. Geburtstag zeigt das Wormser Kino Fritz Langs „Die Nibelungen“, am Flügel begleitet von Stephan Graf von Bothmer
- Weitere Infos gibt es hier: nibelungenfestspiele.de
Doch vor der Premierenvorstellung steht erst einmal der rote Teppich vor dem Kunsthaus Heylshof als Eingang aufs Festspielgelände auf dem Programm. Die prominenten Ehrengäste kommen diesmal vor allem aus der Politik - kein Wunder, bietet das Stück „Der Diplomat“ doch so viele Anknüpfungspunkte zu den politischen Realitäten wie selten.
Besonders gefragt diesmal ist Alexander Schweitzer. Der frischgebackene Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz absolviert seinen ersten gesellschaftlichen Auftritt in Worms - und bekommt am roten Teppich von den Zaungästen herzlichen Applaus. Für den warmherzligen Empfang bedankt er sich, lässt sich unendlich viel Zeit für Gespräche, Autogramme und Selfies mit den Bürgerinnen und Bürgern abseits des roten Teppichs. Nach dem Gruppenbild mit der halben Landesregierung - die Ministerinnen Daniela Schmitt, Katharina Binz, Katrin Eder und seine Nachfolgerin Dörte Schall sind auch da, Schweitzer witzelt: „Wir sind als Kabinett abstimmungsfähig“ - spurtet er nochmals zurück in die Zuschauermenge.
Das Thema passt hervorragend in die Zeit
Ja, der Empfang habe ihm gefallen, gesteht der 2,06 Meter große Regierungschef. Die Festspiele seien ohnehin einer der Höhepunkte der Woche - natürlich nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten. Schweitzer war schon häufiger Premierengast bei den Nibelungen, als Minister und in anderen Funktionen. „Aber ich komme auch gerne einfach als Alexander Schweitzer.“ Schließlich seien die Festspiele ein kulturelles Highlight in Rheinland-Pfalz. Zudem passe es hervorragend in die Zeit, mal den Blick auf eine Randfigur des Figurenensembles zu lenken, nämlich auf den Diplomaten Dietrich von Bern. Der versucht, Kriege zu verhindern, freilich am Ende nicht sonderlich erfolgreich.
Claudia Roth hält ein flammendes Plädoyer für die Kunst
Ein weiterer hochrangiger Gast ist die Berliner Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Beim Empfang von Oberbürgermeister Adolf Kessel darf sie ein Grußwort sprechen, hält aber tatsächlich ein kleines und alles andere als banales Grundsatzreferat. Es wird ein flammendes Plädoyer über die Bedeutung der Kunst für den politischen und gesellschaftlichen Diskurs. Sie nennt die Nibelungenfestspiele gar „legendär“, dankt für den kreativen Mut, Geschichte und Gegenwart miteinander zu verbinden. Und mit Blick auf das Thema des Stücks und die aktuellen politischen Herausforderungen mahnt sie: „Wer Kriege verhindern will, muss früh anfangen.“ Kunst und Kultur seien dabei kein Luxus, sondern „Elixier und Saum der Demokratie“.
Das sei ein mächtiges Grußwort gewesen, sagt Schweitzer danach und meint verschmitzt:. „Da müssen sich die Schauspieler strecken, um das zu toppen.“ Schweitzer lobt ausdrücklich Nico Hofmann, der gerade erst sein Engagement als Intendant in Worms bis zum Jahr 2028 verlängert hat. Der fühlt sich angesichts der lobenden Worte sehr geehrt und zeigt sich in diesem Jahr sehr entspannt angesichts der Arbeit von Regisseur Roger Vontobel, der mit seiner dritten Arbeit für die Festspiele ja sozusagen Hausregisseur sei. Und auch das Ensemble spiele in diesem Jahr zusammen. „Das war hier nicht immer der Fall“, deutet Hofmann an.
Kurz vor Mitternacht fällt dann der imaginäre Vorhang. Schnell erheben sich die ersten Premierengäste zum stehend gespendeten Applaus. Dieser hält etwas mehr als fünf Minuten an, bleibt durchweg freundlich, wird aber nie frenetisch. Bei der Premierenfeier wird eifrig diskutiert über die Einzelleistungen der Schauspieler, das Thema und das dystopische Ende. Ja, das Stück sei verständlich und nachvollziehbar. Und das sei in Worms ja nicht immer so gewesen. „Der Diplomat“ wirkt definitiv nach.
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