Interview

Denkfestleiter: „Viele haben die Zeichen der Zeit nicht verstanden“

Robert Montoto spricht im Interview über die 2023er-Ausgabe des Denkfests, bei dem sich die Kulturmacher und -politiker der Region treffen und über das Thema „Kunst heißt Verändern“ diskutieren

Von 
Stefan M. Dettlinger
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Robert Montoto leitet das Denkfest in der Metropolregion. © Archiv

Mannheim. Herr Montoto, zuerst kam Kunst von Können, dann von Müssen und jetzt soll es von Verändern kommen? Ja was denn nun?

Robert Montoto: Kunst kann alles, muss nichts und sorgt immer für Veränderung!

Okay, vielen Dank für das Gespräch. Auf Wiedersehen.

Montoto: Nein, im Ernst. Unsere Gegenwart verlangt nach Veränderungen. Die Frage der Nachhaltigkeit steht im Raum. Kunst und Kultur sind da nicht ausgenommen. Wir müssen uns über Organisationsstrukturen, Inhalte und die Beziehung zum Publikum Gedanken machen. Auch neue Finanzierungsmodelle sind gefragt. Nichts kann bleiben, wie es ist. Durch Kunst und Kultur kann es auch in anderen Bereichen zu Veränderungen kommen. Ideen und Konzepte können die politische und soziale Entwicklung beeinflussen. Das gab es schon, ich denke da an die Renaissance, die 1920er Jahre oder das Bauhaus. Nun befinden wir uns wieder in einer Krise, die uns als Gesellschaft und die Künstlerinnen und Künstler als Teil davon herausfordert.

Wie kann Kultur zu Veränderung in Sachen Nachhaltigkeit führen?

Montoto: Sie kann anders produzieren. Dies geschieht teils bereits in den Theatern und Museen des Landes. Bühnen- und Ausstellungsaufbauten werden mehrfach verwendet. Es kommen umweltschonende Materialien zum Einsatz. Konzertveranstalter haben Nachhaltigkeitskonzepte entwickelt, die vom Line Up über das Catering bis zur Müllentsorgung alle Bereich umfassen. Und dies tun die Akteure nicht jeder für sich allein, sondern sie schließen sich zusammen, um die Aufgaben besser zu bewältigen. Zum Denkfest haben wir einige Projekte eingeladen, die als Beispiel fungieren.

Denken und Nachdenken im Festformat: Eindrücke aus dem Betriebshof Heidelberg vom letzten analogen Denkfest im Jahr 2019. © Kulturbüro Metropolregion

Ich hatte Sie so verstanden, dass Kultur nicht nur im eigenen Hof für Verbesserung sorgen kann, sondern auch anderswo …

Montoto: …ja, wenn ein Orchester wie die Deutsche Staatsphilharmonie im Future Lab die Zukunft in den Blick nimmt und sich zum Kompetenzzentrum für Musik entwickelt, dann hat das Auswirkungen auf die Gesellschaft. Musik wird künftig über das Konzerterlebnis hinaus vermittelt. Es geht um pädagogische Konzepte, die Einbeziehung von Amateurmusikern, die Verbindung zu anderen Sphären, den Vereinen etwa. So wird ein Orchester zum gesellschaftlichen Nukleus, der alle zusammenführt. Ein lebendiger Ort des Austauschs, der Begegnung und der Aktivität. Intendant Beat Fehlmann wird die Ideen der Veränderung präsentieren. Damit leistet ein Klangkörper einen gewichtigen Beitrag zu den Nachhaltigkeitszielen, denen wir uns verschrieben haben.

Klingt ein bisschen nach schöne neue Welt. Wo ist der Haken?

Montoto: Eine Garantie für Erfolg gibt es nicht, aber versuchen sollten wir es, und Beat Fehlmann wird mit seiner Beharrlichkeit daran arbeiten, etwas zu verändern. Ich verweise auf ein gelungenes Beispiel aus unserer Region: das neue Konzept der Stadtbibliothek in Ludwigshafen, das zu einer Verdreifachung der Nutzerzahlen geführt hat.

Und wie nachhaltig ist der Bau?

Montoto: … Treffer. Das ist ein wunder Punkt. Soweit ich informiert bin, haben sich die Vorstellungen des Gestalters dieses digitalen und analogen Lebensraums, Christoph Deeg und anderer, in Bezug auf die Architektur leider nicht durchgesetzt. Aber perfekt ist nur ein Kreis. Vielleicht klappt es ja beim Neubau der Mannheimer Stadtbibliothek …

… die wackelt …

Montoto: … ich hoffe, dass es einen Neubau geben wird, der zeitgemäße Bibliotheksarbeit möglich macht. Als Mannheimer wünsche ich mir eine Bibliothek als dritten Ort, das würde unserer Stadtgesellschaft guttun. Schön ist, dass die Bibliotheken digital bereits zusammenarbeiten.

Robert Montoto und das Denkfest

  • Robert Montoto: Der Leiter des Kulturbüros der Metropolregion, geboren 1962, stammt aus Darmstadt. Nach abgebrochenem Studium (Germanistik, Theaterwissenschaft) arbeitete er als Assistent, Regisseur und Projektleiter. Danach war er Gründungsgeschäftsführer des Besucherrings am NTM sowie Vorstandsmitglied des Besucherrings Deutschland.
  • Denkfest: Das Denkfest findet seit 2011 statt und will Kultursymposium und zentrale Vernetzungsplattform für Kunst- und Kulturschaffende sein. Es wird vom Kulturbüro der Metropolregion Rhein-Neckar GmbH und den Netzwerken der Festivals, Museen und Schlösser der Region organisiert. Das Denkfest 2023 findet am 28./29. Juni statt
  • Weitere Informationen: denkfest-rhein-neckar.de dms

 

Stehen Sie eigentlich in Kontakt mit Peter Spuhler, der mit Heidelberg und der Region Kulturhauptstadt werden will?

Montoto: Ja. Die mögliche Bewerbung ist spannend, denn damit stärken wir Kunst und Kultur in der Region. Sollte sich Heidelberg bewerben, dann wird die Region sicher eine Rolle spielen. Europäische Aufmerksamkeit für Heidelberg und unsere Metropolregion Rhein-Neckar, das ist eine Chance, die wir uns nicht entgehen lassen. Dabei ist der Weg allein von eminenter Bedeutung.

Um das Klima und so vielleicht die Welt zu retten, sagen Öko-Ökonomen, müssten wir uns von der Idee ständigen Wachstums verabschieden. In der Kultur ist dieses Denken noch nicht angekommen …

Montoto: …da würde ich gerne widersprechen, kann es aber nicht.

Ist Ihnen der Gedanke noch nie gekommen?

Montoto: Mit diesem Gedanken beschäftigen wir uns auf der kulturpolitischen Ebene fast permanent. Auf dem Denkfest werden wir dazu über die „Kulturverwaltungen als gestaltende Kraft“ diskutieren.

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Was passiert mit den Ergebnissen?

Montoto: Es sieht so aus, dass die bereits bestehende Zusammenarbeit zweier Festivals in eine Plattform zum Thema Nachhaltigkeit mündet. Damit hätte das Denkfest erneut einen Beitrag zur regionalen Zusammenarbeit geleistet. Außerdem hoffen wir, dass die Impulse, Erfahrungsberichte und Beispiele in die tägliche Kulturarbeit einfließen.

Verstehen Sie Ihre Aufgabe eigentlich auch politisch?

Montoto: Wir sind in erster Linie Impulsgeber, Berater, Koordinator und Initiator. Wir sind also nicht politisch unterwegs, weichen aber kulturpolitischen Themen nicht aus.

Sie weichen Kulturpolitik nicht aus und bearbeiten das Thema Nachhaltigkeit. Wie nachhaltig ist es, wenn ein Dirigent vier mal im Jahr für vier Konzerte 60 Leute nach Mannheim holt?

Montoto: Sie werden verstehen, dass ich mich zu diesem Beispiel nicht äußere, da mir die näheren Umstände nicht bekannt sind. Allerdings steht fest, dass viele in unserer Gesellschaft, das gilt eben auch für Kulturakteure, die Zeichen der Zeit in puncto nachhaltiges Handeln noch nicht verstanden haben. Das gilt auch für den gedankenlosen Gebrauch digitaler Medien; der weltweite jährliche CO2-Ausstoß im Netz ist doppelt so groß wie der des globalen Flugverkehrs. Jeder Einzelne ist verantwortlich für sein Handeln. Aber nachhaltiges Handeln darf nicht zur Provinzialität führen. Dabei denke ich an den internationalen Konzertbetrieb – weltweite Kulturbeziehungen sind elementar für unser Zusammenleben auf der Erde.

Warum eigentlich?

Montoto: Weil wir Menschen uns in unserer Unterschiedlichkeit erfahren müssen und Anregungen von anderen Kulturen und Gesellschaften brauchen. Wenn wir auf diesen Austausch verzichten, erstarren wir in Provinzialität. Wir sehen doch, welche Resonanz Gastspiele erfahren. Können Sie sich vorstellen, dass unsere Festivals auf ihre internationalen Künstlerinnen und Künstler verzichten? Bei der letzten Ausgabe des Heidelberger Frühlings war das Konzert von Abel Selaocoe ein Höhepunkt, dieser Künstler aus Südafrika besitzt die Gabe, kraft seiner Musik die Menschen zusammenzuführen. Ich glaube fest daran, dass Kunst und Kultur eine friedensstiftende Wirkung entfalten über alle Grenzen hinweg. Offenheit und Austausch muss weltweit und im steten Kontakt miteinander gelebt werden.

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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