Viernheim. „Man darf sich in Deutschland versammeln, seine Meinung äußern, man darf tanzen und singen. In anderen Ländern können die Menschen längst nicht so frei und ungezwungen leben.“ Für Norbert Schübeler sind die Rahmenbedingungen für das Zusammenleben in der Demokratie trotzdem nicht selbstverständlich. „Was passiert, wenn sie nicht mehr da sind? Wir müssen alles dafür tun, dass dies so bleibt.“ Die Volkshochschule hat im Rahmen ihrer Veranstaltungsreihe „Politische Bildung“ zum Vortrag des Stadtverordnetenvorstehers eingeladen, zur Frage über den Zusammenhalt unserer Gesellschaft.
„Was ist der Kitt für das Zusammenleben? Das kann ich nicht beantworten“, gibt der Lokalpolitiker offen zu. Aber er teilt in seinem Impulsvortrag seine Überlegungen und Gedanken. Denn der demokratische Rechtsstaat sei nicht mehr stabil, die Spaltung der Gesellschaft nehme zu. „Freiheit, Gerechtigkeit, Respekt, Toleranz, Menschlichkeit“, zählt Norbert Schübeler beispielhaft als Werte einer Zivilgesellschaft auf. Diese sei geprägt von Religion, Kultur, Tradition und Sprache. Heute zeichne sie sich auch durch Vielfalt aus. „Der Trend zur Individualisierung ist unverkennbar“, sagt Schübeler – aber gleichzeitig werde so der Blick auf das große Ganze immer kleiner. Die traditionellen Werte rückten in den Hintergrund, das spalte das Gemeinwesen.
Werte an andere weitertragen
Deshalb müsse man diese Werte weitertragen, bei Begegnungen mit Bürgern oder auch in Schulen. „Vielleicht braucht es ein ganz anderes Bildungssystem, das diese Werte vermittelt?“, stellt Schübeler in den Raum. Der Stadtverordnetenvorsteher blickt in einen Nachbarstaat: „Von Dänemark können wir lernen: Da werden die Menschen abgeholt und mitgenommen, mit gegenseitiger Wertschätzung. Das führt zu einer positiven Grundeinstellung. Und das Lebensgefühl hat einen Namen: Hygge.“
Schübeler spielt auch einen Fernsehbeitrag aus Dänemark ein. Menschen sind in Gruppen aufgeteilt: vertrauenswürdige Krankenschwestern, angsteinflößende Tätowierte, Menschen vom Land oder Stadtkinder. Auf den ersten Blick haben sie nichts gemeinsam. Doch dann sortieren sie sich immer neu, nach Familienstand, nach Hobbies, nach Gefühlen. Und so wird aus „den Anderen“ ein „Wir“: „Wir alle, die Dänemark lieben!“ Zustimmung bei den Zuhörern und Zuschauern: „Ja, genauso muss es sein.“
Zu dem Vortrag sind Vertreter der Viernheimer Parteien da, aber auch interessierte Bürger. Sie kommen über die Ausführungen von Schübeler ins Gespräch und tauschen sich aus, sind auf der Suche nach den Ursachen für die bröckelnde Gesellschaft. Ein Aspekt sei, dass sich immer mehr Menschen ins Private zurückziehen und dadurch einen kleineren Blickwinkel bekommen. „Menschen schauen immer mehr auf ihre eigenen Interessen“, bestätigt Astrid Pfenning, „aber wir leben nunmal in einem Gemeinwesen“. Klaus Hofmann fügt an: „Interesse an der Gemeinschaft ist oft nur da, wenn es um eigene Vorteile oder Anliegen geht.“ Deshalb müsse man aus „Betroffenen Beteiligte“ machen.
Ein weiterer Knackpunkt sei die veränderte Kommunikation – in der heutigen Zeit schreibt man lieber eine Mail oder Nachricht, als seine Gesprächspartner persönlich anzurufen. „Man müsste viel mehr auf andere zugehen, einfach ins Gespräch kommen“, findet Klaus Hofmann. „Dazu brauchen wir Plattformen, und zwar die richtigen“, sagt Peter Lichtenthäler. Und er ergänzt: „Man kann sich vor modernen Medien nicht verschließen.“
„Diskussionskultur geht verloren“
Der Umgang mit den Medien müsse aber vermittelt werden, vielleicht in der Schule, genauso wie das Diskutieren und Debattieren. „Unsere Diskussionskultur geht verloren“, befürchtet Edmund Scheidel. Stammtisch-Gespräche, in denen eben auch über die Gesellschaft diskutiert wird, gebe es heutzutage kaum noch.
Beim Vortrag des Stadtverordnetenvorstehers sind hauptsächlich Viernheimer im Publikum, die sich lokalpolitisch oder auch ehrenamtlich engagieren, die ihren eigenen Teil zum Gemeinwesen beitragen. Und viele fühlen sich ratlos angesichts der Frage, wie man dieses stärken könne. „Es fehlt ja oft an einem Gegenüber, mit dem man sich austauschen könnte“, sagt Hayrettin Vanli. „Wer nicht teilhaben will, ist meist auch beratungsresistent“, hat Walter Benz erfahren. Sigrid Haas merkt an: „Ich habe Angst vor dieser Gleichgültigkeit und Beliebigkeit in der Gesellschaft. Wenn keinen mehr etwas interessiert, resignieren diejenigen, die sich für andere engagieren.“
Für Dieter Rihm ist es deshalb wichtig, darauf hinzuweisen, „dass man Demokratie immer wieder lernen muss. Unsere Staatsform hat auch etwas mit unserem Wohlstand zu tun.“ Und so appelliert Norbert Schübeler am Ende der Diskussionsrunde: „Jeder Einzelne ist aufgefordert, das Thema hochzuhalten und die Werte unseres demokratischen Zusammenlebens zu stärken.“
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