Erster Eindruck vom Open Air (mit Fotostrecke)

Deichkind liefern Krawall und Remidemmi in Ladenburg

7000 Fans feiern mit den Hamburger Rappern Deichkind eine Abriss-Party mit Musiktheater-Anspruch auf der Ladenburger Festwiese. Aber funktioniert dieser technoide Ansatz auch in der Natur?

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Jörg-Peter Klotz
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Kunstvoll inszeniert und bis zur Unkenntlichkeit maskiert: Die Electro-Rapper Deichkind haben am Freitagabend auf der Festwiese in Ladenburg eine Musiktheater-Party gefeiert. © Marcus Schwetasch

Ladenburg. Es ist eine Art Heimspiel für Deichkind in Ladenburg vor 7000 Fans bei perfektem Open-Air-Wetter am Freitagabend. Denn immerhin haben die Hamburger Electro-Rapper von der großen Bühne auf der Festwiese einen ziemlich unverstellten Blick auf den Damm im gegenüberliegenden Neckarhausen. Das gilt auch umgekehrt: Dort haben sich schon um halb acht relativ dicht gesäumt Zaungäste versammelt. Die sind natürlich rund um das Konzertareal und im Carl-Benz-Park noch wesentlich zahlreicher vertreten. Dass die eingezäunte Festwiese durch den hohen Technikturm und viele Stände mit in dieser Form unnötigen Sichtbehinderungen verbaut wurde, ist der einzige Kritikpunkt an diesem Abend.

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Deichkind fast am Deich – das passt ansonsten. Dabei ist das Gastspiel auf der grünen Wiese am Rande der pittoresken Römerstadt für die metropolen-, stadien- und festivalgestählten Hamburger auch ein Auswärtsspiel. Denn auf dem aktuellen Album „Neues vom Dauerzustand“ haben sie im live gefeierten Song „In der Natur“ ein eher getrübtes Verhältnis zur freien Wildbahn formuliert. In typischen Schlagwort-Zeilen: „Die Erwartung’ waren hoch, dieser Ast hängt viel zu tief / Die Blicke von den Tieren sind mir zu passiv aggressiv / Kein Konto und kein Gott, das ist nicht meine Welt / Hier hat keiner auf dich Bock und es regnet in dein Zelt / In der Natur /Alles voll Gekrabbel und Gestrüpp (...) In der Natur / Wirst du ganz langsam verrückt / Und plötzlich wünschst du dich so sehr nach Ladenburg zurück“ (im Originaltext ist vom Berliner Hermannplatz die Rede).

Hyperaktive Nachfolger im Geiste von Kraftwerk

Dass in der Natur in ebendiesem Ladenburg „keiner Bock“ auf Deichkind hätte, kann man aber wirklich nicht behaupten. Es ist höchstens erstaunlich, dass nur 7000 Fans diese seit zwei Jahrzehnten bewährte Live-Attraktion in dieser wunderbaren, sonnenverwöhnten Atmosphäre erleben wollen.

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Tatsächlich funktioniert der technoide, knallbunte, teilweise drastische Sound der hyperaktiven Nachfolger im Geiste von Kraftwerk auf der Wiese schon mit dem ersten Song „99 Bierkanister“ perfekt. Und das obwohl die enormen Schauwerte erst nach Einbruch der Dunkelheit, etwa zur Halbzeit des fast zweistündigen Auftritts komplett zur Geltung kommen.

Jüngstes Mitglied Roger Rekless bewährt sich

Anfangs sind die rappenden Protagonisten Kryptik Joe, Porky und Roger Rekless (der Münchner ist vom Live-Gast zum festen Deichkind-Mitglied aufgestiegen – und mit seiner markant-tiefen Stimme ein Gewinn) sowie ihre Tänzer fast bis zur Unkenntlichkeit maskiert. Sie bewegen sich mitreißend in futuristischen Kostümen Marke Eigenbau – vor allem zum satten Beat von „So’ne Musik“ und „Geradeaus“. Die Choreographien sind vielleicht nicht überkomplex, aber wirkungsvoll. Und die selbstgebauten (oder im 3D-Drucker fabrizierten), im Wortsinn kunstvollen Kulissen wechseln ähnlich oft wie die Kostüme. Diese Showeffekte sind selten Selbstzweck, sondern unterstreichen die Botschaften der 25 Songs meist vehement – und sorgen für enorme Abwechslung. Man hat es live wohl mit der durchdachtesten Partymusik der Republik zu tun. Kunstvoll und dramaturgisch klug inszeniert von Deichkind-Mitglied DJ Phono, der explizit als Regisseur fungiert.

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So funktioniert das Konzert auf mehreren Ebenen: durchaus als leicht prolliger Party-Abriss. Aber auch als eine Art gesellschaftskritisches Musiktheater, das allen Beteiligten vor und auf der Bühne immer wieder den Spiegel vorhält. „Wer sagt denn das?“ und „Wutboy“ reagieren sich beißend sarkastisch an den Spaltpilzen unserer Gesellschaft ab. Moderner Boxentechnik sei dank ist die Textverständlichkeit nahezu perfekt. Der Sound für Freiluftverhältnisse auch.

Texte voller Postersatz-Zeilen treffen den Nerv von Boomern und Generation Z

So kommt auch die seit Jahren massive Kritik der Band an Kapitalismus, Konsum- und Leistungsgesellschaft voll zur Geltung. Besonders amüsant versinnbildlicht bei „Auch im Bentley wird geweint“, als eine riesige Designer-Handtasche zugeritten wird wie ein elektrischer Bulle. Das durchschlagende „Bück dich hoch“ und fast sprichwörtlich gewordene Lieder wie „Leider geil“, „Richtig gutes Zeug“, oder „Arbeit nervt“ sind zwar von Beinahe-Boomern geschrieben, treffen aber auch die Befindlichkeit der Generation Z. Trotzdem können sich Deichkind in Songs wie „Kids in meinem Alter“ oder „Keine Party“ auch selbst brillant auf die Schippe nehmen. Die eigentlichen Klassiker im traditionellen Rap-Gewand fallen da im Vergleich ab („Komm schon!“, „Bon Voyage“).

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Gegen Ende räumen die Partykracher „Könnt ihr noch?“, „Roll das Fass rein“, „Hört ihr die Signale“ und „Limit“ enorm ab, bevor wie immer „Remmidemmi (Yippie Yippie Yeah)“ die Lichter ausschießt. Was bei dem Lied in der einzigen Zugabe für ein Spektakel abgeht, hat Porky im Vorab-Interview mit „Wimmelbild“ noch äußerst zurückhaltend beschrieben. Fazit: Deichkind in der Ladenburger Natur? Leider geil!

Andere Partyzone mit Schlagerbarde Dieter Thomas Kuhn vor 10 000 Fans

Am Samstag soll Schlagerbarde Dieter Thomas Kuhn das Areal am Neckar mit 10 000 Fans in eine etwas anders gelagerte Partyzone verwandeln. Neu ist, dass diese früher unter dem Etikett „Pop am Fluss“ firmierenden Konzerte vom angestammten Hirschberger Veranstalter Demi Promotion gemeinsam mit dem Branchenriesen Semmel Concerts veranstaltet werden. Ob diese Kooperation weiter geführt wird, ist noch offen, wie eine Semmel-Sprecherin auf Anfrage erklärt. Wer 2025 die nächsten Shows am Fluss bestreitet, stehe auch noch nicht fest.

Ressortleitung Stv. Kulturchef

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