Mannheim. „1 More Time“ (noch ein Mal) haben Deep Purple mit typischer Selbstironie diese Tournee benannt. Aber bei einmal sollte es in dieser Form nicht bleiben: Das unterstreicht der kraftvolle, hochkreative Auftritt des britischen Quintetts, bei dem vier Musiker allmählich auf die 80 zugehen, am Dienstagabend in der etwa zu zwei Dritteln gefüllten Mannheimer SAP Arena nachdrücklich. Rund 6000 Fans, nicht ausverkauft – das mag unspektakulär klingen. Dabei muss man sich aber ins Gedächtnis rufen, dass heute legendäre Bands wie Deep Purple oder Led Zeppelin zu ihren absoluten Glanzzeiten oft mit wesentlich kleineren Hallen vorlieb nehmen mussten. Und für Ian Paice, Roger Glover, Ian Gillan und Co. ist das eine völlig normale Resonanz, die sie nur bei ihrem ersten von nun vier Auftritten in der SAP Arena wesentlich übertroffen haben: Im generell glanzvollen Konzertjahr 2006 kamen 10000 Fans, um sie im Paket mit Schockrock-Ikone Alice Cooper zu sehen. Dass Deep Purples Stellenwert als Pioniere des Heavy Rock damit nicht angemessen abgebildet wird, steht auf einem anderen Blatt.
Der Abend beginnt mit einer relativ poppigen Zeitreise in die Musik der 60er bis 80er Jahre:: Die US-Vorgruppe Jefferson Starship eröffnet mit etwa 25-minütiger Verzögerung um kurz vor 20 Uhr. Es handelt sich um eine der Nachfolgeorganisationen Woodstock-Veteranen Jefferson Airplane um Psychedelic-Ikone Grace Slick, die sich über den zunehmenden Grad der Kommerzialisierung ihrer Musik immer weniger einig wurden. Sie starten noch relativ wuchtig mit „Find Your Way Back“ und „Stranger“.
Kommerzielles Upgrade vom Flugzeug zum Raumschiff: Jefferson Starships bewegte Bandgeschichte
Die Toto-esque Radioballade „Sara“ und der Gassenhauer „Nothing’s Gonna Stop Us Now“ bringen beim größtenteils gleichaltrigen Publikum Erinnerungen – wie später auch der große Hit „We Built This City“. „Mircales“ und vor allem „Jane“ bilden die Zwischenzeit der Evolution dieser vielköpfigen Band zur kurzzeitigen Hitmaschine ab, während „White Rabbit“ (1967) und das immer noch großartige „Somebody To Love“ (1967) an die besten Zeiten erinnern.
David Freiberg, der Akustikgitarrist und Sänger mit der „Original“-Jefferson-Starship-DNA zelebriert den von ihm geschriebenen Klassiker „Jane“ mit erstaunlicher Stimmakrobatik. Der 86-Jährige kam nach einer Zeit bei Quicksilver Messenger Service zu Jefferson Airplane und machte das kommerzielle Upgrade zum Raumschiff von 1974 bis 1984 mit, setzte ab der Zeit der ganz großen Hits aus und kehrte 2005 zurück. Man sieht: Es gibt übersichtlichere Band-Historien. Was durch die Tatsache verdeutlicht wird, dass Mickey Thomas, der Sänger der großen Hits, am 29. November mit dem Ableger Starship bei der Night Of The Proms in der SAP Arena zu sehen ist.
Cathy Richardson erinnert eher an Janis Joplin als an Grace Slick
Frontfrau Cathy Richardson geht verständlicherweise ihren eigenen Weg, mit Cowboy-Hut und wuchtiger Rock-Röhre. Kein Wunder, sie wurde selbst als Janis-Joplin-Darstellerin bekannt, kommt als Solo-Künstlerin immerhin auf eine Grammy-Nominierung und ist seit 2008 bei Jefferson Starship. Wobei sie den Stil der von Slick gesungenen Klassiker zumindest andeutet. Und sie beherrscht die lockere Publikumsansprache: „Erinnert ihr euch noch an die 80er?“, leitet sie zur Hitparade über. Und als nicht viel Reaktion kommt, kontert sie trocken: „Nun, wenn ihr euch nicht erinnert, wart ihr wohl zu abgefuckt.“
Der Sound ist gut, für amerikanische Verhältnisse mit schwer verständlichem Fokus auf die Mitten. Eine letztlich mitreißende Dreiviertelstunde, von der Richardson zur „größten Band der Welt“ überleitet: Deep Purple.
Die Show von Deep Purple startet gewaltig wie ein „Star Wars“-Epos
Deren Show beginnt um 21.04 Uhr als bild- und klanggewaltiges Spiel mit den Buchstaben des Bandnamens wie ein „Star Wars“-Epos – mit Gustav Holts buchstäblich martialischen „Mars, The Bringer Of War“ als Intro vom Band. Dann geht es sofort ab mit dem ersten Klassiker „Highway Star“. Ian Paice eröffnet geschmackssicher mit einem puristischen, knochentrockenen Beat, Roger Glover unterstützt am Bass den enormen Groove, Don Aireys Orgel grätscht quer rein und Frontmann Ian Gillan ist sofort präsent. Aus der Entfernung käme man nie auf die Idee, dass man es hier mit Mitt- bis End-70ern zu tun haben könnte. Aber nicht nur in der Rockmusik ist 70 ja längst das neue 40.
Deep Purple am 22. Oktober 2024 in der SAP Arena - das Programm
1. Highway Star (1972)
2. A Bit On The Side (2024)
3. Into The Fire (1970)
4. Uncommon Man (2013) mit Gitarren-Solo als Intro
5.Lazy Sod (2024)
6. Now You’re Talkin’ (2024)
7. Lazy (1972)
8. When A Blind Man Cries (1972)
9. Portable Door (2024)
10. Anya (1993)
11. Keyboard-Solo
12. Bleeding Obvious (2024)
13. Space Truckin’ (1972)
14. Smoke On The Water (1972)
Zugabe
15. Old Fangled Thing (2024)
16. Hush (1968, Original
von Billie Joe Royal)
17. Black Night (1970)
Besetzung
Schlagzeug: Ian Paice (seit Bandgründung 1968, 76 Jahre alt)
Bass: Roger Glover (1969-1973, 1984 bis heute, 78 Jahre)
Gesang: Ian Gillan (1969–1973, 1984–1989, 1992 bis heute, 79 Jahre)
Keyboard/Orgel: Don Airey (seit 2002, 76 Jahre)
Gitarre: Simon McBride (seit 2022, 45 Jahre)
Jefferson Starship – Vorprogramm
1. Find Your Way Back (1981)
2. Stranger (1981)
3. Sara (1985)
4. Nothing’s Gonna Stop Us Now (1987)
5. Miracles (1975)
6. White Rabbit (1967)
7. We Built This City (1985)
8. Jane (1979)
9. Somebody To Love (1967, Original von The Great Society)
Wie schlägt sich nun der neue Gitarrist, der ein Sohn der anderen vier Herren sein könnte? Klar ist schnell, Simon McBride ist kein Selbstdarsteller wie der genialische Ritchie Blackmore, der mit dem 2012 verstorbenen Keyboarder Jon Lord, Paice, Glover und Gillan zur ikonischen Mark-II-Besetzung der Band zählt. Der 45-Jährige agiert ähnlich songdienlich wie sein direkter Vorgänger Steve Morse, kann seinen Sound aber immer wieder gezielt explodieren lassen. Er ist vielleicht nicht ganz so virtuos wie der heute 70-jährige US-Amerikaner Morse, der ab 1994 offiziell 28 Jahre lang Purple-Mitglied war, bis er seiner schwer kranken Frau zuliebe zurücktrat. Dafür ist der in Nordirland geborene McBride eine Spur mehr Showman, was man schon in den extrem wuchtig inszenierten Songs „A Bit On The Side“ und „Into The Fire“ vom starken aktuellen Album „=1“ deutlich zu spüren bekommt.
Simon McBride und neue Songs vom neuen Album „=1“ ohne Akzeptanzprobleme
„Danke sehr“, sagte der extrem gut aufgelegte Gillan, bevor er etwas Kammer-Pop ankündigt und den Band-Benjamin anfrotzelt „Geht’s dir gut“, um dann seinem ersten großen Solo vor dem im Original fast spanisch anmutenden „Uncommon Man“ den Teppich auszurollen: „Darf ich vorstellen: Simon McBride.“ Dabei wird der Song normalerweise Jon Lord gewidmet, dem unkommerziellen Versöhner von Klassik und Rock. McBride holt sich mit epischem Einfallsreichtum und sich steigernden Höchstschwierigkeiten immer wieder Szenenapplaus. Akzeptanzprobleme beim normalerweise recht konservativen Rock-Publikum? Völlige Fehlanzeige. Insgesamt kann man schon früh am Abend sagen: So hat Rockmusik zu klingen.
Die knapp 6000 Fans sind aber nicht nur offen für McBride, sondern auch für neue Musik: Es dauert bis zum siebten Song und locker 30 Minuten, bis mit dem gewaltig swingenden und von Don Airey so lässig wie virtuos eingeleiteten „Lazy“ der nächste Klassiker auf dem Programm steht. An die große, liebevoll bejubelte Ballade „When A Blind Man Cries“ schließt sich der orgel- und gitarrenbefeuerte neue Song „Portable Door“ an, der am ehesten das Zeug zum Klassiker hat.
Die enorme Spielfreude beeindruckt – auch bei selten gehörten Songs wie „Anya“
Was sich hier ausdrückt, ist die enorme Spielfreude, die Deep Purple offensichtlich zusammenhält. Befreit von Gängeleien und klugen Ratschlägen von Managern oder Plattenfirmen macht die Band ihr Ding – und sucht sich für ihre Live-Programme auch immer wieder entlegene Songs aus dem Jahrzehnte übergreifenden Katalog, an denen sie einfach Spaß haben: Zurzeit ist das „Anya“ vom nicht übermäßig populären Album „The Battle Rages On …“ (1983), als der Kampf mit dem Ego von Ritchie Blackmore auf den Höhepunkt und die Trennung zusteuerte. In diesem Kontext in der Arena muss sich der Sechseinhalb-Minüter nicht verstecken.
Don Airey hat den brillanten Jon Lord natürlich nicht vergessen lassen. Aber auch er ist längst akzeptiert – vermutlich gerade, weil er nie versucht, seinen legendären Vorgänger zu kopieren. Bei seinem Solo vor „Bleeding Obvious“ wechselt er wie selbstverständlich von spacigen Sounds zur balladesken Improvisation im Flügel-Sound. Die wird immer klassischer – eine kleine Hommage an Lord muss sein; dann wechselt er ins Boogie-Fach; und wieder zurück zur Klassik und gar zur Anmutung neuer Musik, die immer sphärischer wird, schneller und voller Zitate – bis hin zur deutschen Nationalhymne. So unterhaltsam können langgezogene Soli sein. Man muss es sich nur trauen – und können. Filmreife Soundeffekte leiten dann zum starken neuen Song „Bleeding Obvious“ über, der live minimale Anmutungen an die Beatles und David Bowie transportiert – die vom gewaltigen Orgel-Rock-Wall-of-Sound konterkariert werden.
Gegen Ende jagen sich die Höhepunkte wie „Smoke On The Water“ und „Hush“
Zum Ende des regulären Sets geht es zurück zum Meilenstein-Album „Machine Head“ (1972) mit „Space Truckin‘“, das absolut zeitlos klingt, und natürlich dem ewigen Höhepunkt „Smoke On The Water“. Mit dessen Monsterriff allein im Scheinwerferlicht darf McBride sich in den Mittelpunkt stellen – was er natürlich locker meistert.

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Die schnell gewährte Zugabe reist nach fein abgezirkelten, lautstark bejubelten 90 Minuten und der hit-trächtigen neuen Uptempo-Nummer „Old-Fangled Thing“ noch weiter in die Vergangenheit: mit dem immer wunderbaren, mit großartigen Improvisationen radikalisierten „Hush“ vom Debütalbum „Shades Of Deep Purple“ (1968). Wie sich dabei beiden „Newcomer“ Airey und McBride in einem großartig eskalierenden Kreativ-Dialog geradezu duellieren, zählt zu den absoluten Höhepunkten der Show. „Black Night“ schließt nach 110 Minuten das energetisch den Kreis zum Opener „Highway Star“. So kann es für Deep Purple noch lange weitergehen. Schließlich ist 80 längst das neue 50.
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