Für sein Leinwanddebüt „Problemista“ hat sich Julio Torres an seiner eigenen Biografie orientiert. Vier Mal wurde er als Autor für seine rund 60 Folgen der Comedy-Show „Saturday Night Live“ für einen Primetime Emmy nominiert. Für HBO hat er die spanischsprachige (Horror-)Sitcom „Los Espookys“ (2018-2022) kreiert. Der Sohn einer Künstler-Mutter, 1987 geboren, stammt aus El Salvador und ist in die USA emigriert, um sein Glück zu machen.
Wie sein von ihm selbst gespielter Held Alejandro, der in New York City als Spielzeugentwickler zu Ruhm und Ehre kommen will. Eine Festanstellung beim Toy-Multi Hasbro - zum Cinematic Universe des Hauses gehören unter anderem die „Transformers“- und „G.I. Joe“-Verfilmungen - hat er im Sinn, will dort seine zum Teil höchst ungewöhnlichen Ideen umsetzen. Da es aber mit dem Posten nicht klappen will - niemand scheint für seine Bewerbung zuständig zu sein -, jobbt er stattdessen bei einem Kryonik-Unternehmen, bei dem man sich einfrieren lassen kann. Etwa wenn man schwer krank ist und hofft, in der Zukunft bei besseren medizinischen Möglichkeiten wieder aufgetaut zu werden.
Seine Aufgabe besteht darin, den Zustand des schockgefrosteten Malers Bobby (RZA) zu überwachen. Als ihm dabei ein kleiner, folgenloser Fehler unterläuft, wird er fristlos gekündigt. Für ihn allerdings ist das eine schlimme Sache, denn dadurch droht sein schwebendes Einbürgerungsverfahren zu scheitern. Ein Monat bleibt ihm, um einen neuen Sponsor zu finden. So landet er als Assistent bei der exaltierten Elizabeth (Tilda Swinton). Die Witwe Bobbys hat es sich zum Ziel gesetzt, dessen Werke - allesamt großformatige Bilder überdimensionaler Eier in surrealem Salvador-Dali-Ambiente - auf einer Verkaufsausstellung zu präsentieren.
Exzentrische, schreiend komische Performance von Tilda Swinton
Was sich als stringenter Plot liest, entpuppt sich als lose montierte Revue mal besserer, mal schlechterer Sketche. In Mittelamerika nimmt die Story nach dem Drehbuch des Regisseurs, der außerdem als Co-Produzent firmiert, ihren Lauf. Dort verlebt der fantasiebegabte Junge (Logan Alarcon-Poucel), gefördert von der aufopferungsvollen Mama Dolores (Catalina Saavedra), eine glückliche Kindheit. Im Dschungel-Ambiente, in einer quietschbunten Alice-im-Wunderland-Welt. Heiter, verspielt ist der Ton, ehe dann in den Big Apple gewechselt wird. Tempo, Hektik und Bürokratie sind nun angesagt. Ein Umfeld, das so gar nicht zum verträumten Alejandro passt. Im Gegensatz zur durchsetzungsfähigen, spitzzüngigen Elizabeth, die ihre Ellbogen zu nutzen weiß und Maschinengewehr-schnell spricht.
Tilda Swinton
- Ihr Leinwanddebüt gab Katherine Matilda Swinton 1986 in „Caravaggio“ von Derek Jarman – bis zu dessen Tod 1994 trat sie in jedem seiner Filme auf. Den Durchbruch schaffte sie 1992 in Sally Potters „Orlando“.
- Seitdem ist die androgyne Schottin beim Arthouse-Kino (etwa Christoph Schlingensiegs „Egomania – Insel ohne Hoffnung“) ebenso zu Hause wie in Hollywood („Avengers: Endgame“ oder „Doctor Strange“).
- Zigfach wurde Swinton ausgezeichnet, etwa mit einem Nebenrollen-Oscar für „Michael Clayton“ oder mit dem Goldenen Löwen von Venedig für ihr Lebenswerk. geh
Die Interaktion zwischen den beiden Protagonisten - alle anderen Figuren, inklusive Rapper RZA, sind eher schmückendes Beiwerk oder Stichwortgeber - macht die Qualität der Arbeit aus. Klug hält sich Torres zurück, bezieht den Standpunkt des ruhigen, staunenden Beobachters.
Derweilen zieht Swinton, zur Abwechselung mit knallrot gefärbtem Haar, gewohnt lustvoll vom Leder. Passend gewandet natürlich, mal im Japan-, dann wieder im flatternden (Spät-)Hippie-Look. Swinton liefert eine weitere exzentrische, schreiend komische Performance ab, wie etwa bereits in „Burn After Reading“ von den Coen-Brüdern sowie ihren Parts in „Asteroid City“, „The French Dispatch“ oder „Grand Budapest Hotel“ von Wes Anderson. Ein klassisches „odd couple“, ein „seltsames Paar“, das sich gängigen Konventionen verweigert.
Kunstbetrieb wird punktgenau auf die Schippe genommen
Verqueres Kopfkino in der Tradition von Spike Jonzes „Being John Malkovich“ oder Charlie Kaufmans „Vergiss mein nicht!“ bekommt man geboten. Anarchisches, handwerklich sauber gestaltetes Entertainment. Gegen den Strich gebürstete Unterhaltung, die sich bekannten Erzähl- und Handlungsstrukturen verweigert, gleichzeitig aber durchaus im Hier und Jetzt verankert ist. Sei es, wenn es um die undurchschaubaren Mechanismen des amerikanischen Immigrationssystems geht - durchaus analog zu denen hierzulande - oder den hedonistischen Kunstbetrieb, der punktgenau auf die Schippe genommen wird.
Wohl kein Film für ein breites Publikum. Dafür ist er zu wenig greifbar, zu versponnen, zu märchenhaft, zu speziell. Idealerweise lässt man sich mittreiben, schließt sich ohne viel nachzudenken den Hirngespinsten von Torres’ Alter Ego Alejandro an. Lauscht Isabella Rossellini, die in der Originalversion mit ihrer wunderbaren Stimme lakonisch durch die Handlung führt. Oder man lässt sich einfach einmal mehr vom Schauspielchamäleon Swinton bezaubern. Tut man dies, vergehen die 104 Minuten Laufzeit wie im Flug.
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