Mannheim. Apache 207 hat es geschafft. Nicht nur, die beiden Open Airs seiner persönlichen Mannheimer Schlossfestspiele auszuverkaufen. Zu Beginn der ersten Show am Samstagabend reicht der Anblick seiner Silhouette auf den beiden Großbildschirmen neben der riesigen Bühne, um die 13 500 Fans frenetisch jubeln zu lassen. Dieser Wiedererkennungswert selbst im digitalen Schwarzweiß-Schattenriss ist ein Alleinstellungsmerkmal echter Stars - Udo Lindenberg, Michael Jackson, Prince, Tina Turner ... Die Detailversessenheit des Teams um den erfolgreichsten deutschen Solokünstler der Single-Chartsgeschichte zahlt sich aus.
Bei "Bläulich" fällt der Regen
Dementsprechend läuft die Bühnenshow mit einer riesigen Tankstelle im Zentrum wie auf Schienen im Takt der Apache-Hits, aktualisiert mit sechs Nummern vom neuen Album „Gartenstadt“. Einige Elemente wie die Drumline zu Beginn, die Feuerstöße bei „Kein Problem“ oder die Bootsfahrt durchs Publikum zur Akustikeinlage auf der zweiten Bühne bei „Boot“ kennt man schon von den beiden Arena-Tourneen. Der Sound kommt weiterhin zum Großteil aus dem Pult von Pretty Flippo.
Erstmals holt Apache im Ehrenhof Fans auf die Bühne, die sich auf die Show konzentrieren und nicht ständig das Handy in der Hand halten. Immer wieder gibt es Feuerwerk und/oder Konfetti-Regen. Manche Inszenierungen sind nahezu perfekt, wie der blaue Nebel aus dem Bühnendach bei „Bläulich“. Dass bei dieser fast depressiven Ballade Nieselregen einsetzt, wirkt wie abgesprochen.
Einmal bricht die Stimme
Die Präsenz und Professionalität dieses immer noch nicht sehr erfahrenen Live-Künstlers, der sich auch gesanglich immer mehr zutraut („Doch in der Nacht“) beeindrucken - selbst, wenn man ihn schon mehrfach gesehen hat. Das paart er in seiner Geburtsstadt mit ungewöhnlicher Nahbarkeit („Es fühlt sich immer so komisch an, in der Heimat. Man denkt, jedes dritte Gesicht kennt man“). Apache wirkt in mehreren Momenten emotional noch angefasster als beim Debüt in der SAP Arena im August 2022. Er lässt es mehrfach mächtig menscheln - was sein Heimspiel-Publikum spürbar zu schätzen weiß.
Schon beim Auftritt zum ersten richtigen Song „Brot nach Hause“ strahlt Volkan Yaman alias Apache derartig, dass niemand die Sonne an diesem ungewöhnlich kühlen Juli-Abend vermisst. Und er demonstriert mit Videoeinspielern und Ansagen immer wieder Bodenständigkeit. Etwa, wenn er auch die Tausende von nicht zahlenden Zaungästen außerhalb des Schlossgeländes grüßt. Oder belehrt, dass Pfandflaschen nicht in öffentliche Mülleimer gehören, sondern daneben: „Glauben sie mir, ich weiß, wovon ich rede“, verweist er in einem Einspiel-Video auf die frühere Armut seiner Familie.
Der berührendste Moment: Als er bei der letzten Nummer auf der B-Bühne zum ersten Mal live „Was weißt du schon singt“ singt, bricht ihm gegen Ende des sehr offenen Liedes über seine harte Kindheit im Plattenbau die Stimme. Er geht ab, umarmt sehr lange jemanden im Publikum. Gut, dass mit Gitarrist Max Grund und Schlagzeuger Dirk Erchinger zwei ausgeschlafene Cracks die Pause souverän füllen. Viele können diesen emotionalen Ausnahmezustand, nur sechs Kilometer vom Schauplatz der meisten Apache-Songs, nachvollziehen und seufzen angerührt. Als sich der Star gefangen hat, steigt er wieder ins Boot und genießt grinsend und rauchend die Rundfahrt durch die jubelnde Menge in der herrlichen Schlosskulisse.
Selbst, dass dazu immer noch Celiné Dions Schmachtfetzen „My Heart Will Go On“ als Konserve läuft, kann man ihm nicht übelnehmen. Denn viele Fans schmettern es immer noch inbrünstig mit, so dass die Atmosphäre großartig ist - die Nebenbedeutung der Titanic-Anspielung hat wohl nur der Hauptdarsteller im Kopf. Dem wird sogar der menschlichste aller Fauxpas’ verziehen: Gerade als die Show mit den heftig gefeierten „Neunzig“ und „Sport“ noch mal mehr Fahrt aufnimmt, verordnet sich Apache 207 eine Pinkelpause: „Ich hab’s vermasselt, vorher zu gehen“, entschuldigt er sich. Das kommt nicht oft vor, selbst wenn man gut 3000 Konzerte gesehen hat. Aber auch das wirkt eher rührend, als störend. Und wiederum Max Grund rettet den Moment mit der Melodie des Backstreet-Boys-Hits „I Want It That Way“, den die Fans begeistert mitsingen.
"Brudi ich muss los" - "Roller" als Zugabe
Eine großartige harte Live-Version von „Fühlst du das auch“, die Live-Premiere von „Coco Chanel“ und „Komet“ steigern die Stimmung noch. Statt Duettpartner Udo Lindenberg, der auf der Basis nicht unfundierter Gerüchte als Gast erwartet wurde, singt die Gewinnerin eines Online-Castings mit Apache: Die sichtlich nervöse Zaze schlägt sich exzellent und gibt dem 15-maligen Nummer-eins-Hit eine neue Note. Die Zugabe punktet mit dem sehr persönlichen Song „Angst“ und - „ich glaube, wir haben etwas vergessen“ - dem optisch spektakulär inszenierten Diamant-Hit „Roller“.
Am Sonntagabend gibt der 25-Jährige dann sein fünftes ausverkauftes großes Konzert in der Quadratestadt seit seinem Tour-Debüt im August 2022. In einem Alter wohlgemerkt, als ein historisch gesehen noch einflussreicherer Mannheimer Deutschpop-Star wie Xavier Naidoo noch auf dem Weg zur ersten Single war. Apache kann es sich jetzt schon leisten, drei seiner elf Nummer-eins-Hits gar nicht zu spielen. Aber seine 44 Platzierungen in den Single-Charts würden ohnehin für zwei Konzertprogramme reichen. Das alles zeigt, wie atemberaubend diese Karriere immer noch verläuft, obwohl die zählbaren Superlative inzwischen völlig selbstverständlich und normal erscheinen.
„Eigentlich nur bergab“
Umso bemerkenswerter, wie skeptisch dieser Dauer-Senkrechtstarter auf seine Zukunft blickt - sogar, als er sich nach dem Triumph im Ehrenhof bei seinen Unterstützern bedankt: Er wolle die Show „emotional beenden, mit einem Liebesbrief an jeden Fan und Supporter, der uns so weit gebracht hat. Wir wissen noch gar nicht, wo es jetzt hingeht. Eigentlich kann es nur bergab gehen.“ Damit hat Apache 207 theoretisch recht. Aber obwohl schon diese Open-Air-Tournee mit drei Auftritten vor insgesamt fast 70 000 Fans auf der Berliner Waldbühne enden wird, sind für ihn Stadionkonzerte und der Maimarkt ein logisches nächstes Ziel. Das erfordert ein neues Konzept, denn mit überwiegend Halbplayback von Pretty Flippo fesselt man kein Publikum mit 40 000 bis 70 000 Menschen.
Aber Volkan Yamans für einen derartig jungen Überflieger unglaublich nüchterne Einstellung zum eigenen Erfolg ist der entscheidende Baustein dafür, dass der Titel der gefeierten Schlussnummer „Nie mehr gehen“ zum Motto der Karriere des Gartenstädters werden kann. Denn als Sänger, Performer und vor allem als Geschichtenerzähler hat Apache 207 immer noch enormes Entwicklungspotenzial.
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