Elisabeth Nützel: Unser Indianer
Mannheim. Einlass 18 Uhr. Nach zwei Jahren plötzlich nur noch zwei Stunden warten, bis sich die SAP Arena mit 10000 Menschen und überdimensional vorfreudiger Energie gefüllt hat.
In diesen zwei Jahren ist aus einem gehypten Newcomer der Rap-Szene ein gestandener Künstler geworden, der mit seinen Songs mühelos Millionen von Streams knackt. Ob dieser gestandene Künstler auch ein gestandener Performer ist, wird sich an diesem Abend zeigen, es ist das erste eigene Headliner-Konzert für den 24-jährigen.
Die Erwartungen: ziemlich undefiniert, ähnlich wie der Rapper selbst. Was macht ein Künstler, der in einem vierteiligen Album mit Musikvideos auf Film-Niveau seine Lebensgeschichte erzählt aus einer zweistündigen Show? Etwas ganz eigenes, so viel steht schon mal fest, solange der Vorhang noch geschlossen ist.
Dass diese Premiere in der Heimat stattfindet, ist selbstverständlich Ehrensache. Die Sache mit der Heimat wird im Laufe der Show sicherheitshalber auch nochmal aufgeklärt. Ludwigshafen und Mannheim: Zwei Städte - zwei Fronten? Nicht mit Apache: In Mannheim geboren und in Ludwigshafen groß geworden ist er also laut eigener Aussage - damit wäre das nun geklärt. Beide Seiten des Rheins gehören zum Indianerreservat, hier und heute ist Apache nicht nur Deutschrap-Star, sondern einer von uns.
Auftakt wie bei den 76. Hungerspielen
Auf eine Vorband verzichtet der Rapper dankenswerterweise - wer will denn auch einen Snack, wenn nach so einer Wartezeit das Fünf-Gänge-Menü in greifbarer Nähe ist. So ganz greifbar ist er im ersten Song allerdings noch nicht, sondern Apache erlaubt sich einen letzten Teaser mit einer Performance von „Goldener Käfig“ - als Schatten seiner selbst hinter einer Glastür in der aufgebauten Kulisse des Ludwigshafener Plattenbaus, in dem er groß geworden ist. Die Bühne überlässt er dafür maskierten Trommlern, dank denen der Apache-Schlachtruf so apokalyptisch durch die heiligen Hallen schallt, dass man meinen könnte, in den 76. Hungerspielen gelandet zu sein.
Kaum sind die letzten Trommelschläge verklungen offenbart sich ein erster Trumpf der Show. Auf der Leinwand im Hintergrund erzählt ein Clip die Origin Story von Apache und bestätigt nebenbei, was aufgrund der ihm so kostbaren Privatsphäre bisher nur halb-faktische Spekulation war. Volkan Yaman alias Apache, damals noch Student, finanzierte sich die Anfänge seiner Musikkarriere mit Haare schneiden und trotzte dabei schon so manchem Kritiker: „Eines Tages wirst du dafür bezahlen, mich singen zu hören.“ Damit heute auch niemand umsonst bezahlt hat, springt der Rapper unter ohrenbetäubendem Jubeln endlich auf die Bühne und stimmt „Brot nach Hause“ an, begleitet von 10000 Stimmen. Denn ob Oldies aus den Anfangsjahren oder die neuen Radio-Hits, das Mannheimer Publikum ist bei jedem Song mit vollstem Einsatz am Start - eine Halle voller „Tag-Einser“, wie Apache sie nennt, ein nicht zu verachtendes Kompliment in Zeiten von Kurzzeit-Hypes und Über-Nacht-Berühmtheit.
Was folgt ist eine Show, die allen undefinierten Erwartungen gerecht wird. Der Rapper füllt die Arena nicht nur mit einer unglaublichen Präsenz und Ausstrahlung, sondern auch mit einer Stimme, die mit ihrem eigenen Klang überzeugt - keine Selbstverständlichkeit in seinem Genre. Aber wer bei Apache jetzt noch nach Rap-Gehabe sucht, sucht ja bekanntermaßen ohnehin vergeblich.
In der Zwischenzeit passt der Ex-Hobbyfußballer gekonnt einen überdimensional aufgeblasenen Fußball ins Publikum, der während der Songs über ausgestreckte Arme seine Runden durch die Halle dreht. Für den Song „Boot“ begibt sich der Rapper wiederum selbst auf eine Reise quer durch die Arena, und zwar in dem Ruderboot aus dem zugehörigen Musikvideo. Da darf für einen Millennial-Indianer natürlich eine ganz bestimmte Film-Referenz nicht fehlen, und siehe da, auf dem Rückweg gleitet der Rapper zum „Titanic“-Titelsong „My Heart Will Go On“ von Cèline Dion über die Menge, begleitet vom Gesang des gesamten Reservats. Aber nicht nur der Film-Klassiker feiert ein Comeback, auch die Old School-Party-Hits „Rhythm Of The night“ und „Rhythm Is A Dancer“ werden zum Soundtrack für die Apaches Zigarettenpausen.
Am Ende ganz vorne mit dabei: Sein Bruder, und der Rest der Crew. Die Tag-Einser wissen: Apache - das ist nicht nur der Rapper selbst, das ist die ganze Familie und zwar nicht nur die biologische, sondern ebenjene die in seinen Musikvideos, wie auch im realen Leben hinter ihm steht. Oder aber ihm schnell mal die Tür öffnet: „Ciao Mannheim, ich liebe euch!“, ruft der Indianer, noch bevor der Türbuzzer ertönt und er wieder in seinem Plattenbau verschwindet.
Elisabeth Nützel (22) schreibt seit drei Jahren für den Mannheimer Morgen über Pop-Musik.
Jörg-Peter Klotz: Erfolg der ganzen Familie
Nach diesem triumphalen Abriss beim ausverkauften ersten Heimspiel am Freitagabend in der Mannheimer SAP Arena klingt der Abschied nach Koketterie: „Ich hoffe, ich konnte eure Erwartungen erfüllen“, sagt Volkan Yaman alias Apache 207 am Ende seines Debüts als Tourneekünstler. Aber der 24-Jährige meint das ganz ernst. Schließlich hat er live kaum mehr als eine Handvoll Festivalauftritte und kurze Shows mit Label-Chef Bausa in der Vita. Und seit Nenas Raketenstart vor 40 Jahren (als es hierzulande nur wenige große Konzerthallen gab) hat kein deutscher Künstler sofort in der Arena-Dimension angefangen.
Von daher ist es trotz der enormen Erwartungen an diesen erst 24-jährigen Ausnahmekünstler erstaunlich, wie perfekt der Streaming-Rekordmann in der analogen Bühnenwelt auftritt – rap- und gesangstechnisch gibt es über fast zwei Stunden kaum einen Makel. Im Gegenteil: Manche Parts klingen live sogar besser als zumindest manche frühe Studioaufnahmen. Dass die Stimmung gigantisch ist, kann niemanden verwundern: Bei Klassikern wie „Kein Problem“ ist spürbar, wie sehnsüchtig die Fans dem Mitsingen entgegengefiebert haben. Diese Lieder hätten längst auf die Straße gehört, ohne Pandemie wäre Apache in diesem Sommer vermutlich schon auf Stadiontournee. Der frühe Einsatz des (am Ende wiederholten) mehr als eine halbe Milliarde (!!!) gestreamten Diamant-Hits „Roller“ zählt zu den Erlebnissen in 17 Jahren SAP Arena, die man nie vergisst. Auch nicht als professioneller Dauer-Konzertgänger. Absoluter Ausnahmezustand!
Show auf internationalem Niveau
Dass die Schauwerte auch auf internationalem Niveau sind, war angesichts der ästhetischen Stringenz der Karriereplanung, zu erwarten. Trotzdem erstaunt die inhaltliche Ambition, mit der hier nicht nur möglichst knallige, bunte Effekte aneinandergereiht werden. Die Show erzählt auch mit Mitteln aus Theater und Kino Apaches Aufsteiger-Story aus dem auf Plattencovern ikonisch verewigten Plattenbau in Ludwigshafen-Gartenstadt. Dass die unteren Stockwerke in Originalgröße die Kulisse bilden, schließt sinnfällig den Kreis der Erfolgsgeschichte. Am Rande verrät ihr Hauptdarsteller, den man in Mannheim in der Öffentlichkeit zum ersten Mal – sehr eloquent – reden hört, dass sein bisheriges Schweigen System hatte – und verweist auf einen von Karrierebeginn an gedrehten Dokumentarfilm, der bei Amazon Prime laufen soll.
Aber die meist autobiografischen Songs spielen die Hauptrolle im Konzert. Der Zwei-Meter-Mann zeigt nicht mal den Anflug von Nervosität, als hätte er nie etwas Anderes getan, als vor 10 000 Fremden in seiner Geburtsstadt Mannheim (das verrät er nebenbei auch noch) mit einer Fast-Ein-Mann-Show zu debütieren.
Die Musik liefert zum Großteil DJ Pretty Flippo. Über faktisches Halb-Playback hätte man als Rock-Mensch früher die Nase gerümpft. Wer Kendrick Lamar erlebt hat, wie der Hip-Hop-Weltstar komplett allein riesige Arenen mitreißt, weiß, dass solche Einwände nicht zeitgemäß sind – schon gar nicht im Rap-Genre. Und mit der Soundtechnik von heute funktioniert das auch. Und zwar meist durchschlagend, kit teilweise leicht renovierten Beats. An die nur von DJs begleiteten Ami-Rap-Superstars in den frühen 90ern kann man sich nur mit Grausen erinnern. Genau wie an die monoton vor sich hinrackernden Rhythmusgruppen der frühen Versuche mit Livemusikern bei Straßenrappern wie Bushido.
Dass Apache, der sich inhaltlich seit dem misogynen Single-Debüt „Kleine Hure“ (2018) meilenweit von den einschlägigen Gangsta-Klischees entfernt hat, auch mit Instrumentalisten harmoniert, zeigt er bei drei Balladen – nach einem Bootsausflug zur kleinen Nebenbühne in Unplugged-Trio-Besetzung mit Gitarrist Max Grund und Schlagzeuger Dirk Erchinger. Als in der letzten Zugabe, natürlich „Roller“, die ikonische Profi-Pose von Apache abfällt, tollt er mit Bruder und Freunden wie „normale“ junge Leute über seine Bühne – von wegen One-Man-Show, das ist der Erfolg einer (Wahl)-Familie.
Jörg-Peter Klotz (55) ist seit 1990 Rock-, Rap- und Pop-Kritiker.
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