Ludwigshafen. Wer ist hier eigentlich der größere Star, oder, wie man gemäß der BASF-Reihe „The Big Four“ fragen müsste: Who’s the bigger one? Ist es die estnische Dirigentin Anu Tali, geboren 1972 in Tallinn? Oder ist es der Schweizer Flötist Emmanuel Pahud, geboren 1970 in Genf? Sie, Tali, wirkt im BASF-Feierabendhaus wie eine strenge Kapellmeisterin aus vergangenen Zeiten, deren Hauptaufgabe zu sein scheint, die Truppe, immerhin die Junge Deutsche Philharmonie, vor allem rhythmisch zusammenzuhalten. Er, Pahud, ist - man kann es kaum anders ausdrücken - wahrscheinlich der beste Querflötist weltweit. Als herausragende Musikerpersönlichkeiten gelten beide.
Aber, Hand aufs Herz: The biggest stars sind hier ohnehin weder Tali noch Pahud. Es sind Mozart und Strawinsky - okay, Ravel und Pintscher sind auch dabei. Dazu aber später.
Das eigentliche Ereignis heißt Emmanuel Pahud
Talis Dirigat passt zu Mozarts Ouvertüre aus der „Zauberflöte“ ja noch ziemlich gut. Ihre stark metrisch ordnende Hand führt dazu, dass das geniale Stück Musik von den drei Eröffnungsakkorden an in großer Detailgenauigkeit erklingt. Sehr elastisch klingen die jungen Musiker, das Allegro klingt knackig, die Achtel und Sechzehntel geraten gestochen scharf, die Sforzandi auf der vierten Zählzeit sind erfrischende Weckelemente, nichts wirkt übertrieben, alles wie aus dem Ei gepellt. Tali pflegt einen Mozart, der „up to date“ ist, also die Errungenschaften der historischen Aufführungspraxis in die Klangkultur eines konventionellen Sinfonieorchesters integriert.
Das tut auch dem Andante C-Dur für Flöte und Orchester (KV 315) gut, obwohl hier das eigentliche Ereignis natürlich Pahud ist. Es ist schlicht unfassbar , mit welcher Präsenz, Präzision in der Phrasierung und Intonation, mit welcher Homogenität und, ja, Weichheit dieser Mann seine Flöte bläst. Gab es je einen beseelteren, zarteren, flexibleren Querflötenton?
Der Übergang, die Zwischenwelt ist Anu Talis Problem
Bei Matthias Pintschers „Transir“ für Flöte und Kammerorchester wird Pahuds Überlegenheit noch deutlicher. Während sie wacker die 2er-, 3er-, 4er- und 5er-Takte schlägt, spielt er im ganzen Werk kaum konventionelle Töne. Er stößt. Er pfeift. Er atmet. Er bläst. Er überbläst, bricht aus der Konvention aus und spielt dabei virtuos mit der Zwischenwelt von Haupt- und Obertönen. Fantastische Hörerlebnisse sind das Ergebnis. „Transir“ gehört zu Pintschers am wenigsten „normal“ klingenden Werken, der Komponist spielt dabei mit der Sphäre zwischen Ton und Geräusch, zwischen Kultur und Archaik.
Ist es Ironie des Schicksals, dass „Transir“ zu Deutsch Übergang bedeutet und genau das, der Übergang, Talis Schwäche ist? Man spürt es in Strawinskys „Der Feuervogel“, den Tali viel zu metrisch und streng dirigiert. Das Klangergebnis ist zwar immer plastisch und greifbar, ja, auch brillant und überwältigend von der Jungen Deutschen Philharmonie musiziert. Was fehlt, sind aber Nuancen. Vor allem in Ravels „La Valse“. Zumindest streitbar ist, wie Tali das Werk des Impressionisten dirigiert. Bisweilen klingt Ravel, als hätte Tali eine Militär- oder Popkapelle vor sich. Ritardando, Accelerando, Tempo rubato - all das ist Fehlanzeige. Ravels fantastische Zwischenwelten sind inexistent. Als Zuhörer ist das ein Leiden auf hohem Niveau, denn natürlich macht die Junge Deutsche Philharmonie hier beste Miene zum stilistisch ziemlich verfehlten Spiel.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/kultur_artikel,-kultur-basf-reihe-mit-anu-tali-war-ravel-miltaer-oder-popmusiker-_arid,2165595.html