„The Big Four“

Philippe Herreweghe dirigiert "The Big Four" in Ludwigshafen

Philippe Herreweghe vereint drei vergessene Meister: Mendelssohns bewegende Reformations-Sinfonie, Bennetts Ouvertüre zu „Die Najaden“ und Schumanns verschollenes Violinkonzert. Ein Abend voller musikalischer Schätze

Von 
Susanne Kaulich
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Der belgische Dirigent Philippe Herreweghe dirigierte im BASF-Feierabendhaus „The Big Four“. © Hermann Wöstmann/dpa

Ein seltenes Vorhaben, drei befreundete Komponisten miteinander in Beziehung zu setzen, deren präsentierte Werke eine eher schwierige Rezeptionsgeschichte aufweisen. Philippe Herreweghe hat dies mit dem Basler Kammerorchester in der Reihe „The Big Four“ im BASF-Feierabendhaus gewagt. Mit William Sterndale Bennetts Ouvertüre zu „Die Najaden“ lernen wir einen längst vergessenen englischen Komponisten kennen, der einstimmt auf die musikalische Romantik.

Gemocht hat Felix Mendelssohn seine zum 300. Jubiläum des Augsburger Bekenntnisses entstandene 5. Sinfonie D-Dur, die sogenannte „Reformations-Sinfonie“, nicht. Aber immerhin hat Richard Wagner später das „Dresdner-Amen-Motiv“ aus dem 1. Satz zu seinem Grals-Motiv im „Parsifal“ gemacht.

Und die Musikwelt haben die ungewöhnliche Kontraste in der Sinfonie längst überzeugt: liturgisch anmutende Klänge in den Ecksätzen und dazwischen beschwingte, sprichwörtliche mendelssohnsche Leichtigkeit.

Herreweghe arbeitet dies in seiner transparenten Interpretation, die er im großen Bogen zum feierlich erhabenen Schluss führt, überzeugend heraus. Wie mit einer Orgel werden da alle Register gezogen, wenn Luthers Choral „Eine feste Burg ist unser Gott“ programmatisch mit Pauken und Trompeten bekräftigt wird.

Mit Vilde Frang, der norwegischen „Stargeigerin“, die in ihrer natürlichen Art so gar nicht diesem Klischee entspricht, nimmt sich eine Künstlerin dem Violinkonzert d-Moll von Robert Schumann an, die wirklich weiß, worauf es bei diesem spröden, ja sogar als ungeigerisch diffamierten Werk ankommt. Die Aufführungsgeschichte des Werkes ist mehr als eigentümlich:

Kurz vor seinem geistigen Zusammenbruch komponiert, wird es zu Schumanns Lebzeiten nicht uraufgeführt, später sogar mit einem hundertjährigen Aufführungsverbot belegt. Für den als Juden geächteten Mendelssohn mussten die Nationalsozialisten einen arischen Ersatz finden. 84 Jahre nach seiner Entstehung erblickt es also erst 1936 die Welt – musikalisch bearbeitet und dabei arg verschlimmbessert.

Es braucht weitere Jahrzehnte und hervorragende Geiger wie Yehudi Menuhin und Gidon Kremer, bis es in seiner Originalgestalt – zunächst zögerlich – Einzug auf die internationalen Konzertpodien hält. Denn zur Zurschaustellung von frappierender Virtuosität taugt es auf den ersten Blick kaum. Tiefste Empfindsamkeit, pointierter Gestaltungswillen und höchste Klangkultur sind da gefragt. Und über diese Qualitäten verfügt Vilde Frang in hohen Maße: Mit ihrem immer präsenten warmen, erdigen Ton bringt sie die Geige auch in der tiefen Lage zum Klingen.

Transparent und fließend

Äußerst prägnant und farbig gestaltet sie den angeblich so undankbaren Kopfsatz, kommuniziert mit dem Orchester, spürt den Tönen nach. Begeistert im langsamen Mittelsatz mit unglaublich transparentem Pianissimo und entwickelt zusammen mit dem Orchester organisch den fließenden Übergang zum technisch herausfordernden Finalsatz.

Hier lässt sie sich nicht dazu verführen, das Publikum effekthascherisch mit rasantem Tempo zu gewinnen. Bei Schumanns Tempoangabe „nicht zu schnell“ müssen die schwierigen Doppelgriffe und die Arpeggien blitzsauber sitzen. Und faszinierend: Bei Vilde Frang hört man jeden einzelnen Ton!

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