Manche Mannheimer Sänger neigen ja zu prophetischen Anwandlungen. Im Fall von Konstantin Gropper war es wohl eher unfreiwillig, dass sein 2018 erschienenes Get-Well-Soon-Album „The Horror“ die Schrecken der folgenden Jahre vorweggenommen hat. Und keine Angst: Das Nachfolgewerk heißt zwar „Amen“, gibt einem aber nicht den letzten Rest. Ganz im Gegenteil: Es ist hier wohl als Hoffnungswort zu verstehen, als „Gegenteil von Angst“ (Horror), wie der Philosoph Ernst Bloch es formuliert hat. Und nicht mal auf „Love“ (2016) klang der gelernte Melancholiker Gropper derart positiv wie auf diesem Album, das zwar in der Pandemie entstanden ist - aber so hell strahlt, dass es nicht einmal der Ukraine-Krieg völlig überschatten kann.
Fast wirkt das wie immer selbst produzierte Werk des auch international und bei Netflix gefragten Indie-Pop-Songwriters wie ein Ordnungsruf zu mehr Optimismus. Und inhaltlich könnte man es neben Blochs philosophisches Hauptwerk „Das Prinzip Hoffnung“ stellen. Es gehört jedenfalls zu Groppers Lektürekanon in der Poetenklause, in die er sich zurückzieht, um ein Album vorzubereiten wie andere Leute Doktorarbeiten. Ganz nach dem Selbstverständnis „Der Songwriter ist der Sozialwissenschaftler des kleinen Mannes.“
Am 29. April live in Frankfurt
- Der Sänger, Multiinstrumentalist, Produzent, Komponist und Soundtrack-Spezialist Konstantin Gropper wurde am 28. September 1982 in Biberach an der Riß geboren.
- Er studierte an der Popakademie Mannheim und veröffentlichte 2008 das Debütalbum seines Indie-Pop-Projekts Get Well Soon.
- „Amen“, das sechste Studioalbum von Get Well Soon, erscheint am 25. März bei Caroline/Universal.
- Eine internationale Tour startet am 21. April im schweizerischen Winterthur. Nach dem Konzert im Frankfurter Zoom am 29. April folgen Stationen wie Amsterdam, Brüssel oder Paris.
Das Kreativprinzip Hoffnung
So folgert er aus dem Bloch-Diktum, Hoffnung sei „Handeln, das in das Gelingen verliebt ist“, die Einsicht: „Eigentlich ist auch jegliche kreative Tätigkeit ohne Hoffnung nicht möglich. Oder andersrum: Wahrer Pessimismus müsste einen vom ,Schaffen’ abhalten, weil man sowieso vom Scheitern ausgeht.“ Seine Schlussfolgerung: „Kreativität - in welchem Sinne auch immer - heißt, Pessimismus zumindest kurzfristig zu überwinden“, sagt er zum Kontext des Songs „Our Best Hope“.
Wen das intellektuell einschüchtert, sollte vor den neuen Songs trotzdem nicht zurückschrecken. Der Überbau mag massiv sein, aber zugänglicher klang das international gefeierte Indie-Pop-Projekt Get Well Soon (GWS) noch nie. Selbst der „Bloch-Song“ ist munterer Electropop. Mit fast uneingeschränkt aufmunterndem Text: „Say Yes! While we’re in this mess. Just say It’s alright! Say yes! Come on, it’s alright! (…) It’s gonna be alright!“ (Sag ja! Während wir in diesem Schlamassel stecken. Sag einfach, es ist in Ordnung! Sag ja! Komm schon, es ist in Ordnung (…) es wird in Ordnung sein!). Gropper wäre natürlich nicht Gropper, wenn er die vielen motivationstrainerhaften Ausrufezeichen nicht mit einem an sich selbst zweifelnden „Right?“ (Richtig?) in Frage stellen würde. Absolute Wahrheit muss man trotz allem andernorts suchen.
Gropper steigt mit dieser Platte vom Sockel der intellektuellen Melancholie, die mit Vergnügen bei der Lektüre von Thomas Bernhard und Co. einen gewissen Weltekel kultiviert. Das signalisiert zumindest das erste Lied „A Song For Myself“, in dem sich das lyrische Ich streng zur Ordnung rufen lässt. „Das ist eine Intervention“, verkündet eine Maschinenstimme, die etwas automatenhafter klingt als Alexa oder Siri. Zunächst lamentiert die Künstlerpersönlichkeit selbstironisch, dass ihr die Systemrelevanz fehle, sie aber auch ein anderes Hobby brauche, als ihre fehlende Lobby oder katholische Scham zu beklagen. Ihr Einsatz beginnt über „Sgt. Pepper“-Sounds mit dem schönen Satz „I think I read the wrong books all my life, the ones that make you reach for the knife“ (Ich glaube, ich habe mein ganzes Leben lang die falschen Bücher gelesen, diejenigen, die dich nach dem Messer greifen lassen.“
Hör’ mit dem Gejammer auf
Wie ein antiker Chor aus Beach Boys, den Beatles, E.L.O. oder World Party erschallt in dem Klagelied schlagartig die Intervention „Stop your whining, your alright!“ - hör’ mit dem Gejammer auf, Dir geht’s gut!“ Das fräst so grell harmoniestrotzend in den typischen GWS-Hymnengesang, dass man fast eine Sonnenbrille braucht. Aber es wirk auch wie ein Stimmungsaufheller.
Was für einen Großteil der zwölf neuen Songs gilt, die offensichtlich vor allem Spaß machen wollen: So klingt „My Home Is My Heart“ wie eine Attacke der Pet Shop Boys auf den House-Dancefloor, zu „One For Your Workout“ kann man dann fast schon Kardiotraining tanzen. Auch „This Is Your Life“ hat als Mix aus Tanzbarkeit, ungewohntem Falsettgesang und einprägsamen Melodien Hitqualität - und könnte auch Gute-Laune-Playlists für die Ü50-Fraktion bereichern, die Talk Talk vermissen. Dabei ergeben sich immer wieder wunderbare Kontrapunkte zum erhaben-getragenen Grundton des Lead-Gesangs. Natürlich strotzt die exzellent klingende Produktion vor kulturellen Referenzen in Ton und Text, die dauerhaftes Hörvergnügen garantieren. Mit „Accept Cookies“ schlägt Gropper der eigenen Ernsthaftigkeit zum Schluss das vielleicht größte Schnippchen: Den Text hat der 39-Jährige aus echten Glückskekssprüchen aus dem Asia-Shop montiert. Was erstaunlich tiefsinnig wirkt. Fazit: „Amen“ passt erstmals zum Bandnamen. Schließlich heißt Get Well Soon schlicht „Gute Besserung“. Also: „Amen“ statt Blumen!
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