Mannheim. Eine exponierte Figur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) wie Kai Gniffke hat es bei öffentlichen Auftritten nicht leicht heutzutage. Schon bei der Begrüßung des ARD-Vorsitzenden und SWR-Intendanten formulierte Florian Kranefuß, Vorsitzender der Geschäftsführung der HAAS Mediengruppe und damit des Gastgebers „Mannheimer Morgen“ („MM“), seine Kritik freundlich, aber bestimmt: „Die Balance im dualen System ist aus dem Gleichgewicht geraten“, sagte Kranefuß mit Blick auf konkurrierende Digital-Inhalte, Werbeeinnahmen und Finanzierung des ÖRR im Vergleich zu privaten Medienhäusern.
In der von „MM“-Chefredakteur Karsten Kammholz und Nachrichtenchefin Madeleine Bierlein moderierten Diskussion zum Thema „Raus aus der Krise! Welche Zukunft hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk?“ weist Gniffke Kritik etwa an den Texten in der „Tagesschau“-App zurück.

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„Da sind Videos drin, da ist Audio drin, da ist auch Text drin - das gehört zusammen. Ich sehe überhaupt nicht, warum das verwerflich wäre.“ Er könne zwar verstehen, dass Tageszeitungen das als Konkurrenz verstehen. Aber von einem Rückzug der ÖRR profitieren seiner Meinung nach nur Google, Facebook oder TikTok.
Gniffke kommt sofort aus der Defensive
Die von Reiss-Engelhorn-Museen (rem) und „MM“ organisierte Diskussion vor geladenen Gästen im Museum Peter und Traudl Engelhornhaus hätte kaum ein besseres Timing haben können: Denn vergangene Woche haben die Experten des Zukunftsrats den Reformdruck auf die neun ARD-Anstalten, ZDF und Deutschlandfunk erhöht.
In Mannheim nutzt Kai Gniffke die Gelegenheit, erstmals ausführlich auf die Vorgaben zu reagieren. In seinem Impulsvortrag kommt der 63-Jährige sofort aus der Defensive.
"Da kann ich mit dem Fuß aufstampfen"
Gniffke erweckt den Eindruck, dass viele Anregungen des Zukunftsrats etwa für schlankere Strukturen zugunsten stärkerer redaktioneller Abgebote offene Türen bei ihm einrennen. Der frühere „ARD Aktuell“-Chefredakteur macht aber klar, dass die Entscheidungen von den Bundesländern getroffen werden müssten - und das einstimmig. „Da kann ich mit dem Fuß aufstampfen, aber ich muss mich an Recht und Gesetz halten.“
Das nannte Joachim Lutz, BWL-Dekan der Universität Mannheim, in der abschließenden Fragerunde fast schon kafkaesk, vor allem mit Blick auf das Abschmelzen der Neunfachstruktur der Organisation in den Anstalten der ARD. Gniffke konterte mit einem konkreten Beispiel aus dem Saarland. Als sich die Gelegenheit geboten hatte, Direktionen bei Saarländischem Rundfunk und SWR zusammenzulegen, hätte der damalige Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) den Vorschlag aus Stuttgart als Unverschämtheit zurückgewiesen. „Das ist kein kafkaeskes Hin und Her, sondern eine klare Funktionsbeschreibung. Ich kann nicht meinen Auftrag ändern oder meine Aufsicht.“
„Alle Klangkörper erhalten“
Von Kai Gniffke kommen aber auch klare Ansagen, vor allem, wenn es um Kultur geht - nachdem zuletzt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) die Vielzahl der Orchester, Big Bands und Chöre in der ARD infrage gestellt hatte: „Ich möchte unsere Klangkörper alle erhalten. Aber wenn wir finanziell rückwärts gehen, werden wir das allein nicht schaffen.“
Deshalb lade er alle ein, sich daran zu beteiligen - egal ob Bundesländer oder Stiftungen. „Wenn wir nicht großen Wert auf Kultur legen würden, dann würden wir nicht die Donaueschinger Musiktage machen. Weil mit denen verdienen wir kein Geld.“ Man würde sich auch nicht an der Mannheimer Popakademie beteiligen und in der ARD keine 13 Kultur-Radioprogramme anbieten. Der Kultursender SWR2 koste so viel wie SWR1, SWR3 und SWR4 zusammen.
"Da sitzt das Schwein"
Und wenn Markus Söder die Schließung von Orchestern vorschlägt, dann sei er gespannt, was Star-Dirigent Simon Rattle dazu sage, der 2023 die Leitung des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks übernommen hat. „Gute Reise, Herr Söder ... wenn der den Weltstar feuert.“ Sein Amtsvorgänger beim SWR habe 2016/17 zwei Sinfonieorchester zusammengelegt: Daraufhin habe Peter Boudgoust nicht mal mehr ins Theater gehen können, ohne dass er beschimpft wurde: „Da sitzt das Schwein!“
Einen Hinweis von rem-Generaldirektor Wilfried Rosendahl, dass in anderen Ländern Kultur eine wesentlich prominentere Rolle zum Beispiel in den Nachrichten einnehme: „Konkurrieren wir mit Sport?“ Gniffke kontert: „Ich sehe das nicht als Konkurrenz. Die Dinge gehören zusammen. Wenn wir über gesellschaftlichen Zusammenhalt sprechen, reden wir über Information, Sport und Kultur. Diese Gesellschaft muss auch zusammen feiern!“
Mannheims künftiger Kulturbürgermeister Thorsten Riehle (SPD) plädiert in der Fragerunde für eine öffentliche Finanzierung von Tageszeitungen und anderen privaten Medien. Gniffke teilt die Diagnose, dass Qualitätsmedien im Moment wichtiger seien denn je. Aber: „Anderen Medienhäusern wird es nicht bessergehen, wenn wir die Öffentlichen austrocknen. Aber wir verlieren unwiederbringlich etwas.“
AfD und die Medien
Und wenn es 2024 zum ersten Mal ein AfD-Ministerpräsident gewählt würde, dann wisse er nicht, ob jemals noch mal ein Medienstaatsvertrag zustande kommen könne.
IHK-Präsident Manfred Schnabel packt gegen Ende noch den Vorwurf der politisch einseitigen Berichterstattung durch die Redaktionen des ÖRR in eine Frage. „Das ist ein großes Thema“, bekennt Gniffke. Aber wenn er dann nach konkreten Beispielen frage, komme vielleicht eine Hand voll: „Wenn es pro Jahr nur fünf Belege dafür gibt, dass es mal nicht ganz ausgewogen war, dann sage ich: nicht schlecht.“ Angesichts von 1000 Stunden Programm in der ARD - pro Tag.
400.000 Euro Jahresgehalt
Szenenapplaus erntet Gniffke, als er die Mission seiner Häuser beschreibt: „Wir geben den Menschen Orientierung, Heimat und Geborgenheit.“ Generell findet er, es werde zu viel über Geld geredet: „Wir haben eine Aufgabe, die verdammt groß ist.“ Das passte gut zur Frage von Karsten Kammholz nach dem - transparent zugänglichen - Jahresgehalt des Intendanten. Das liegt immerhin bei 400 000 Euro. Im Vergleich zu anderen Medienhäusern mit 5000 Beschäftigten sei das angemessen, findet Gniffke. Über das Gehalt entschieden Verwaltungs- und Aufsichtsrat. „Dafür können die auch etwas erwarten.“ Allerdings nicht die Organisation groß angelegter Reformen.
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