Mannheim. Nein, Mannheim will sie im öffentlichen Straßenraum nicht länger ehren: die Vertreter von Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus. Nicht nur auf Straßenschildern wie demnächst in Rheinau-Süd werden ihre Namen weichen, auch öffentliche Einrichtungen sollen nicht länger nach ihnen benannt bleiben.
Kinderhaus im Stadtteil Schönau umbenannt - Johann Schütte war bekennender Nationalsozialist
Die Carl-Diem-Halle und das Peter-Petersen-Gymnasium sind die spektakulärsten Beispiele für Umbenennungen der vergangenen Jahre. Nun kommt das städtische Kinderhaus im Stadtteil Schönau hinzu. Fortan trägt es nicht mehr den Namen von Johann Schütte - Luftfahrtpionier zwar, aber eben auch bekennender Nationalsozialist. Im Rahmen einer Feierstunde am Freitagnachmittag wird die Umbenennung nun sichtbar: durch Enthüllung des neuen Namensschildes durch Bildungsbürgermeister Dirk Grunert.
„Bis vor Kurzem wusste ich nicht, was dieser Johann Schütte Schlimmes getan hat“, bekennt eine junge Mutter, die für den Elternbeirat an dem Empfang im Foyer des Krippen-Traktes teilnimmt. Doch damit ist sie keineswegs alleine. Zu lange ist Johann Schütte nur als genialer Luftfahrtpionier im Bewusstsein. Als der Mann, der mit finanzieller Unterstützung von Karl Lanz vor dem Ersten Weltkrieg im Süden von Mannheim Luftschiffe baut - so wie der berühmte Graf Zeppelin, im Unterschied zu diesem jedoch mit Holz statt mit Aluminium.
Als 1951 im Stadtteil Schönau die bestehende Siedlung erweitert wird und den Straßen-Taufbezirk Luftfahrtpioniere erhält, da wird nicht nur Otto Lilienthal, sondern auch Johann Schütte Namenspate einer hiesigen Straße. Und als 1990 just in dieser Straße ein städtischer Kindergarten entsteht, da wird natürlich auch dieser nach Schütte benannt.
Erst allmählich kommt die andere, die sehr dunkle Seite Schüttes ans Licht. Im Oktober 2021 fasst der „Mannheimer Morgen“ im Rahmen seiner Serie „Zeitreise“ diese eindeutigen Erkenntnisse zusammen.
Innovation Luftschiff: Nutzung nur für den Krieg
Denn bereits die Nutzung der Innovation Luftschiff ist kritikwürdig, wie Harald Stockert bestätigt: „Es war keine zivile, sondern eine rein militärische“, erläutert der Direktor des Marchivum: „Einziger Auftraggeber war das Heer.“ Und so wird das Luftschiff im Ersten Weltkrieg genutzt, um Bomben auf London, Paris sowie andere französische Städte abzuwerfen: „Es war die Avantgarde des deutschen Luftkrieges.“ Und schon dadurch zur Innovation, die unbefangen zu feiern problematisch ist.
Hinzu kommt die politische Gesinnung ihres Erfinders. „Bereits in den 1920er Jahren verkehrte Schütte in nationalistischen Kreisen“, berichtet Stockert. Kreisen, in denen die demokratischen Werte der Weimarer Republik abgelehnt, ja bekämpft werden. 1931, schon zwei Jahre vor der NS-Machtergreifung, wird Schütte Anhänger Hitlers und der NSDAP - und sich bis zu seinem Tode 1940 dessen rühmen. „Er war keiner, der sich nur hat einspannen lassen, sondern einer, der den Nationalsozialismus aktiv gefördert hat“, bringt Stockert es auf den Punkt.
„Schütte wird vom Propagandisten zum Täter“
Aber es kommt noch schlimmer: „Schütte wird vom Propagandisten zum Täter.“ Und zwar durch die von ihm forcierte Gleichschaltung der Berufsorganisationen, denen er vorsteht. Hier bedeutet Gleichschaltung: Ausschaltung demokratischer interner Prozesse und Ausgrenzung von Juden. Für sie der Beginn eines langen Weges von Diskriminierung und Entrechtung, der im Holocaust enden wird. „Schütte ist wirklich überhaupt nicht geeignet als Namensgeber eines Kinderhauses.“
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Diese Erkenntnis setzt sich im Laufe der Zeit auch in der Mannheimer Kommunalpolitik durch. „Er ist völlig ungeeignet, Namensgeber einer pädagogischen Einrichtung zu sein“, macht Bildungsbürgermeister Grunert jetzt klar. Es sei daher „eine bewusste Entscheidung“ der Stadt, diesen Namen zu ändern: „Wenn wir in der Vergangenheit Menschen geehrt haben, die dafür nicht geeignet sind, dann müssen wir das revidieren“. Im Juli 2023 beschließt der Gemeinderat die Umbenennung.
Was passiert mit der Straße, die weiter nach Schütte benannt ist?
„Eine gute Entscheidung“, lobt Stadträtin Heidrun Deborah Kämper in ihrem Grußwort im Namen der Jüdischen Gemeinde zu Mannheim. Die Benennung von Einrichtungen und Straßen nach Personen diene doch dazu, deren Leistungen zu würdigen und zur Nachahmung zu empfehlen: „Sie sollen als Vorbild und zur Identifikation dienen.“ Davon könne bei Schütte keine Rede sein. „Bei Kindern muss man besonders sorgfältig bedenken, welchen Namen man einer Einrichtung gibt, in der sie sich aufhalten“, mahnt sie: „Denn dieser Name bleibt ihnen ja ein Leben lang im Gedächtnis.“
Den Namen einer anderen Person erhält die Einrichtung hier übrigens nicht. Im Sommer beschloss der Gemeinderat, städtische Kitas nur noch nach geografischer Lage, also vor allem ihrem Standort, zu benennen. So heißt die Einrichtung, die 2014 um einen Krippenanbau erweitert wurde und heute 62 Betreuungsplätze anbietet, künftig schlicht „Kinderhaus Schönau-Mitte“.
Bereits bei der jetzigen Feierstunde stellt sich den Teilnehmern jedoch eine Frage: Was geschieht mit der hiesigen Straße, die weiter nach Schütte benannt ist? Dazu gibt es innerhalb der Verwaltung noch keine offizielle Haltung. „Ich persönlich halte eine Umbenennung auch der Straße jedoch für geboten“, bekennt Dirk Grunert gegenüber dem „MM“, betont aber auch: „Das bedingt jedoch einen längeren Prozess.“
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Erinnerungskultur Kinderhaus-Umbenennung richtig, aber die Straße muss folgen