Zeitreise

Luftschiffe aus der Region machten einst Zeppelin Konkurrenz

Von 
Konstantin Groß
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Wer heutzutage an Luftschiffe denkt, dem kommt vor allem der Name Zeppelin in den Sinn. Der Graf vom Bodensee ist Synonym schlechthin für Verkehrsmittel mit dem zigarrenförmigen Ballon. Sein größter Konkurrent dagegen, Johann Schütte, der vor und während des Ersten Weltkriegs südlich von Mannheim wirkt, ist weitgehend vergessen. Neuere Untersuchungen zeigen: Zumindest zu Stolz auf den Konstrukteur besteht auch wenig Anlass. Im Dritten Reich ist er ein überzeugter Nationalsozialist.

Unsere Zeitreise führt uns an den Beginn des 20. Jahrhunderts. Anders als heute, da Flüge auf Kurz- wie auf Langstrecken zunehmend als ökologisch kritikwürdig gelten, sind Luftverkehrsmittel damals Symbole eines noch ungetrübten Glaubens an Technik und Fortschritt. Im Gegensatz zu den noch in den Kinderschuhen steckenden Flugzeugen scheinen Luftschiffe zudem die Möglichkeit zu bieten, eine größere Zahl an Passagieren zu transportieren.

Spiegel des Zeitgeistes

Daraus erklärt sich die nationale Trauer, als 1908 in Echterdingen das Luftschiff des Grafen Zeppelin explodiert. Einer, den dieses Unglück wie alle Deutschen umtreibt, ist der Ingenieur Johann Schütte. Geboren 1873 als Sohn eines großherzoglichen Beamten in Oldenburg, wird er nach dem Studium als Schiffbau-Ingenieur 1904 mit erst 31 Jahren Professor der neuen Technischen Universität Danzig. Als Ingenieur ist er bemüht, die Ursachen des Unglücks von Zeppelin zu beseitigen.

Statt wie Zeppeline mit Aluminium, will Schütte das Gerippe des Ballons aus Holz bauen. Dadurch werde das Luftschiff leichter und wendiger, könne auf Turbulenzen flexibler reagieren, ohne am Boden zu zerschellen. Seine Vorschläge schickt Schütte auch direkt an Zeppelin, doch der reagiert nicht. Schütte entschließt sich, seine Ideen selbst zu verwirklichen, doch dazu braucht er Geld.

Zusammenarbeit mit Mannheimer Unternehmer

Auf einer Ausstellung in Berlin trifft er 1908 den Mannheimer Unternehmer Karl Lanz, Inhaber der größten Landmaschinenfabrik Europas - und Präsident des Deutschen Luftflottenvereins.

Am 22. April 1909 schließen er und Schütte einen Vertrag zur Gründung einer Fabrik zum Bau von Luftschiffen. Schütte überträgt Lanz die Rechte an der Produktion, wobei Gewinne zwischen beiden allerdings geteilt werden sollen. Im Gegenzug finanziert Lanz die Arbeiten Schüttes und stellt das Gelände zur Verfügung, 100 Hektar südlich von Mannheim (heute dort: der Rheinauer See), damals Gemarkung der Gemeinde Brühl. Das bewaldete Hochufer bildet einen idealen windgeschützten Start- und Landeplatz.

Doch der Boden der hiesigen Rhein-Auen besteht aus Sand, Schlick und Lehm, mehrmals stürzt der Rohbau der Halle daher ein. Als der 138 Meter lange Hangar endlich steht, beginnt die Fertigung des ersten Luftschiffes. Zu dessen Taufe am 30. April 1910 erscheint sogar der Großherzog von Baden, Friedrich II.

Probeflug soll Militärgeheimnis bleiben

Am 17. Oktober 1911 ist es soweit. Die in der Kaiser-Wilhelm-Kaserne (den späteren Turley-Barracks) untergebrachte Mannheimer Garnison wird in Richtung Süden beordert, um als Haltemannschaft bei Start und Landung des neuartigen Flugobjektes zu helfen. Der Termin ist ein militärisches Geheimnis, um ein mögliches Scheitern gegenüber der Konkurrenz verheimlichen zu können. Und damit rechnen die meisten; so ist keine Versicherung bereit, das Projekt zu versichern. Doch wie das mit Geheimnissen so ist: Trotz allem finden sich vor der Halle Schaulustige ein - einige Beschäftigte haben wohl nicht dichtgehalten.

Kurz nach 16 Uhr setzen sich die Motoren in Bewegung, kurz vor 17 Uhr ziehen die Soldaten unter lauten „Hurra!“-Rufen des Publikums das Luftschiff aus dem Hangar. Da steht es nun: 131 Meter lang, 18 Meter breit. Um 17 Uhr ertönt das Kommando „Loslassen!“ und die 23 Tonnen schwere Konstruktion erhebt sich dank der 240 PS starken Motoren majestätisch in die Luft.

Zunächst bewegt sich das Gefährt über die Fabrik der Firma Lanz und wird dort von deren Arbeitern und Angestellten mit lautem Jubel begrüßt. „Beim Passieren des Rheins begannen die Sirenen der auf dem Strom befindlichen Dampfer ihre schrillen Sirenen zu erheben“, begeistert sich der Reporter des „General-Anzeigers“: „Sie grüßen den Bruder hoch oben in den Lüften.“ Nach 50 Minuten landet das Schiff unsanft auf der linken Rheinseite in Waldsee. Die Wiederholung der Ausfahrt am Tag darauf ist erfolgreicher.

Absturz bei Altrip

Doch wie Zeppelin, so bleibt auch Schütte von Rückschlägen nicht verschont, etwa am 13. April 1912: Das Steuer erweist sich als zu schwach, eine Böe drückt das Schiff zu Boden, sieben Besatzungsmitglieder werden aus der Gondel geworfen. Derart „erleichtert“ treibt das Schiff mit dem Rest der Besatzung, darunter Schütte selbst, manövrierunfähig über den Rhein und geht bei Altrip zwischen Bäumen nieder. Wie durch ein Wunder wird niemand verletzt.

Neben derartigen Rückschlägen bewirkt die ständige Konkurrenz zu dem erfolgreicheren Zeppelin einen ungeheuren Druck. Kennzeichnend dafür ist ein Ereignis vom 9. Juni 1912: Ein Luftschiff und ein Zeppelin begegnen sich über Sandhofen. Dabei kommt es zu einer Wettfahrt, bei der das Luftschiff klar unterliegt. Schütte bekommt einen Tobsuchtsanfall, als er davon erfährt.

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Hinzu treten Streitereien mit dem Sponsor. Am 28. November 1911 stellt Lanz Schütte ein Ultimatum. Sollte bis 1. Juli 1912 noch kein Schiff verkauft sein, werde er das Projekt nicht weiter fördern. Schütte verhandelt mit dem amerikanischen Botschafter, sogar mit den Engländern, doch Lanz und vor allem der Gesellschafter August Röchling, ein extremer Nationalist, sind gegen die Veräußerung der Technologie an das „feindliche Ausland“. Unter diesem Druck tritt Schütte an das eigene Militär heran: Er begibt sich mit dem Luftschiff nach Berlin, kreist damit am 1. September 1912 sogar über der Kaiser-Parade. 1913 wird zum Preis von 550 000 Mark das erste Luftschiff der Armee übergeben.

Instrument des Krieges

Als 1914 der Erste Weltkrieg beginnt, besitzt die Armee ein Luftschiff, bis 1918 werden es 20 sein, gefertigt von 1450 Arbeitern und 300 Angestellten. Der militärische Nutzen der schwerfälligen Gefährte hält sich in Grenzen: Die SL 11 wirft zwar am 2. September 1916 zwei Tonnen Bomben auf London ab; einen Tag später jedoch wird es von einem englischen Flieger abgeschossen. In der Rückschau erscheinen diese Vorfälle wie ein Menetekel auf die Luftschlachten im Zweiten Weltkrieg. Ihre militärische Nutzung wird dieser Technologie aber auch zum Verhängnis. Das Aus kommt nach 22 produzierten Luftschiffen mit dem Kriegsende 1918. Denn der Versailler Friedensvertrag untersagt Deutschland Unterhaltung und Bau von Luftstreitkräften. Artikel 202 verlangt die Übergabe des verbleibenden Materials. So wird die Werft von den Franzosen bis Ende 1922 geschleift. Karl Lanz muss das am Rande noch miterleben; er stirbt 1921 im Alter von nur 48 Jahren.

Von Hitler begeistert

Schütte zieht sich 1925 verbittert auf seinen Lehrstuhl in Berlin zurück. Immer wieder versucht er, seine Idee von neuem zu beleben - sei es gegenüber der US-Navy oder bei Italiens Diktator Mussolini. Doch die Welt setzt längst auf Flugzeuge.

Schütte mag das nicht einsehen. Für das Scheitern seiner Idee macht er das Kriegsende, die Novemberrevolution, die Weimarer Republik verantwortlich. In den 1930er Jahren wendet er sich daher den Nazis zu. „Der NSDAP stehe ich seit Juni 1931 nahe“, bekennt er. In einem Telegramm verspricht er 1933 Hitler „als dem Führer Deutschlands treue Gefolgschaft“. Aus der von ihm geleiteten „Schiffbautechnischen Gesellschaft“ (STG) werden jüdische Ingenieure verstoßen, indem 1934 für die Mitgliedschaft der Nachweis „arischer Abstammung“ verlangt wird.

Die Nazis danken es Schütte mit Auszeichnungen wie dem „Ehrendolch der NS-Fliegergruppe Berlin“. Als er 1940 mit 67 Jahren stirbt, heißt es im Nachruf über sein Verhältnis zur NSDAP, er habe „stets vorbildlich für die Bewegung gewirkt und sie bei jeder Gelegenheit gefördert.“

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