Pop

Beyoncé glänzt in Frankfurt als glitzernde Pop-Superheldin

Die ausverkaufte Stadionshow der Rekord-Grammy-Gewinnerin Beyoncé bestätigt alle Superlative, kann einen erstaunlicherweise aber auch kalt lassen

Von 
Jörg-Peter Klotz
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Das Bild von Beyoncé im ausverkauften Frankfurter Stadion wurde vom Veranstalter bereitgestellt. © Bild; Andrew White/Live Nation

Frankfurt. Die Superlative zu Beyoncés „Renaissance World Tour“ (RWT) sind seit dem Start am 10. Mai in Stockholm gewaltig – und nicht übertrieben. Wenn man am Samstagabend das Innere des Stadions im Deutsche Bank Park in Frankfurt betritt, fällt einem erstmal die Kinnlade runter – allein beim Anblick der gigantischen Bühnenleinwand (technisch gesehen ist es eher ein Bildschirm). Das ist mir zuletzt bei der der „360˚ Tour“ von U2 an gleicher Stelle passiert. Dieses hochauflösende Meisterwerk der Technik ist tatsächlich so breit wie die Torauslinie und reicht erstaunlich nah ans Dach der Arena. Das bleibt bei hochsommerlichen Temperaturen klugerweise geschlossen.

Diese „Leinwand“ dürfte alle Rekorde brechen, aber Veranstalter Live Nation geht sparsam mit Zahlen um. Auch die Zahl der Fans bei diesem in Minuten ausverkauften Mega-Event müssen geschätzt werden, mehr als 40 000 sind es sicher. Das reicht für einen ohrenbetäubenden Weltstar-Jubel, als Beyoncé mit rund 20 Minuten Verspätung aufgrund des Andrangs vor den Stadiontoren aus dem Boden auftaucht – wie eine Göttin aus der Maschine.

Mit Roboterarmen und Panzer

Ob „RWT“ nun die „größte Popshow auf Erden“ ist, wie der „Guardian“ jubelt, oder nur die des Jahrhunderts, bleibt Geschmackssache – Prince in den 1980ern, Pink Floyd, Michael Jackson, Madonnas „Blonde Ambition“ 1990, die U2-Tourneen seit „Achtung Baby“ oder zurzeit Billie Eilish müssen sich nicht verstecken. Showtechnisch definiert Beyoncé aber die Referenzklasse neu. Denn zur technischen Gigantomanie gesellt sich futuristischer Einfallsreichtum auf vielen Ebenen. Mal tanzt Beyoncé Giselle Knowles mit Roboterarmen, dann tauchen plötzlich auf weißen Päpstinnen-Gewändern durch UV-Licht aktiviert Muster auf, die aus einem von Gerhard Richter gestalteten Domfenster stammen könnten.

Die Rekord-Grammy-Gewinnerin (32) kann sogar auf einem Panzerfahrzeug auf die B-Bühne rollen – sie erntet dafür nicht mal auf dem verminten Twitter-Gelände einen Proteststurm, wenn am selben Tag die westliche Welt beim Blick auf Russland den Atem anhält.

Von Fritz Lang bis Botticelli

Vor allem verblüffen die zahllosen visuellen Kultur-Referenzen von der Menschmaschine Maria aus Fritz Langs Filmklassiker „Metropolis“ bis zur Venus Botticellis. Das wird von der Zahl der oft nur kurz aufflackernden musikalischen Zitate noch übertroffen. Zu dieser Show kann man auch mal eine Doktorarbeit schreiben. Aber es gibt auch traditionelles Entertainment: Mehrfach reißen Beyoncés Weltklassetänzerinnen und –tänzer das Publikum durch ihre Artistik von den Stühlen. Vor allem, wenn sie den riesigen Rundsteg nutzen, der fast alle Fans im Innenraum erreicht.

Die Selbstinszenierung der amtierenden Regentin eines großen Teils des Pop-Königreichs (neben Taylor Swift, Billie Eilish, Adele und immer noch Madonna) ist ebenfalls eindrucksvoll. Vor allem gesanglich: „Queen Bey“ hüstelt zwar mitunter und bittet die Fans um gesangliche Unterstützung (eigentlich ein Alarmsignal), aber ihr wandlungsfähiger Mezzosopran dominiert zweieinhalb Stunden lang souverän in allen Spielarten von hartem Contemporary R&B bis zu feinfühligem Soul den sehr lauten Sound. Der fällt leider – typisch US-amerikanisch – lange zu mittig und etwas grell aus.

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Die 41-Jährige ist auch klug genug, tänzerisch nicht zu viel zu wollen: Sie stellt sich zwar oft in den Mittelpunkt ihrer Compagnie, betreibt aber keinen choreografierten Hochleistungssport. So geht der Großteil ihrer Energie in den Gesang. Auch modisch und politisch setzt sie Maßstäbe. Beyoncés Botschaften sind glasklar humanistisch, weltoffen, pro-Alles. Selten erlebt man auch ein so diverses Publikum. Allein auf den paar Dutzend Stufen zum Unterrang sind zehn verschiedene Sprachen zu hören.

Und Beyoncé ist ein großartiges Vorbild, personifiziertes Empowerment. Als ideales Beispiel einer Aufsteigerin, die mit Talent und harter Arbeit den Aufstieg von der Texas-Schönheit aus der Girlgroup Destiny’s Child zu einer der reichsten und einflussreichsten Frauen in der Geschichte des Showgeschäfts gebracht hat. Und die drei Kinder und mit Jay-Z einen Rap-Superstar zu erziehen hat – die kurzen Tanzeinlagen von Tochter Ivy Blue werden von den zahlungskräftigen Hardcore-Fans im Golden Circle direkt an der Bühne mit Luftballons begleitet.

Sie will nicht nur vergöttert werden

Meist ist Beyoncé gekleidet wie eine Avengers-Superheldin aus dem Marvel-Universum. Das signalisiert: Diese glitzernde Popgöttin will nicht nur angebetet und bejubelt werden, sondern über Inspiration hinaus etwas tun, um die Welt zu retten. Also sind auch die Charity-Initiativen rund um diese Tournee vorbildlich.

Das ist alles nahezu perfekt austariert. Wie sie an diesem Text merken, spielen Songtitel oder gar die mitunter mitreißende Band beim Beschreiben dieses Pop-Spektakels in acht visuell und thematisch unterschiedlich inszenierten Akten erst spät eine Rolle. Natürlich fasziniert das visuelle Dauerfeuer voller Liebes- und Toleranzparolen. Selbstverständlich bietet der kompetente Groove den Fans eine Steilvorlage zum beglückten Durchtanzen – vom fast historisch anmutenden Opener „Dangerously In Love“ bis zum organischen „Summer Renaissance“ vom aktuellen Album „Renaissance“, das die acht Akte dominiert. Selbstverständlich fliegt die Pop-Superheldin zum Schluss eine Ehrenrunde durchs Stadion – als hätte sie auch den Europapokal gewonnen.

Das spektakuläre Referenzgewitter kann einen aber auch relativ kalt lassen – obwohl alles stimmt. Aber diese auch als Hollywood-Schauspielerin überzeugende Künstlerin hat das Potenzial, mehr Nähe und Intimität herzustellen – was ihre Botschaften nachhaltiger wirken ließe. Das merkt man, als sie mit einem Gruß in den Himmel zu ihrem toten Idol Tina Turner eine balladeske Version von „River Deep Mountain High“ singt. Oder bei ihrem auch aufwendigen Netflix-Konzertfilm „Homecoming“ (2019). In der vor transhumanistischen Science-Fiction-Motiven strotzenden „RWT“-Show, der man die 18 (!) Monate lange Konzeptionsphase zu sehr anmerkt, wirken die Menschen dagegen wie winzige Nebendarsteller in einem überwältigenden Videospiel. Aber auch das kann eine Botschaft sein ...

Ressortleitung Stv. Kulturchef

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