Mannheim. Neu ist seine Musik nicht, neu im Business ist freilich seine Nahbarkeit. Johannes Oerding gibt alles, um in die Herzen seines Publikums vorzustoßen. Beim Zeltfestival auf dem Mannheimer Maimarktgelände startet der Pop-Songwriter furios mit dem zehn Jahre alten Klassiker „Nicht genug“, den er und sein Band eine gefühlte Viertelstunde herausziehen.
Das schwitzende Publikum ist schon längst auf Betriebstemperatur, tanzt ausgelassen. „Ich habe die Heizung auf 5 gedreht“, scherzt Oerding und setzt mit seinen vier Mitstreitern das hämmernde Staccato des Eingangssongs nach einer Mini-Pause einfach fort.
Anfassen bei Balladen gewünscht
Erste Gelegenheit, dem Publikum nahezukommen. Bei den Balladen sollen sich die Leute gegenseitig reiben, sich anfassen. Johannes Oerding will eine gefühlsbetonte Besucherschar. Dafür fordert er sie auf, dem Nachbarn die Hand zu geben, sich gegenseitig vorzustellen.
Coole Idee, hat er sich womöglich aus was für Kreisen auch immer abgeschaut. „Ich bin Tanja“, „ich bin Sabine“. Prima, die Nachbarn wollen auch keinen Streit heute Abend. Passend dazu die erste Ballade des Abends, „So schön“. Die Band und mit ihr Johannes Oerding hat offensichtlich einen Plan. „Plan A“ heißt das neue inzwischen siebte Album.
Melodiöser Rock mit viel Gefühl
Daraus spielt er direkt seinen ersten Song: „Was wäre, wenn das alles jetzt erst der Anfang ist, wenn hinter dem Horizont kein Ende ist“. Das ist die Botschaft, das erträumte Leben hier und heute auszuleben. Seine Texte machen sehnsüchtig und stimmen nostalgisch, sein steter Dialog erscheint persönlich, ehrlich. Er ist einer aus dem Volk, erzählt von Kindheit, Pubertät, Liebeskummer. Seine Stimme ist hell, oft in den höheren Oktaven angesiedelt - melodiöser, deutscher Rock mit samtigem Gefühl.
Die Scheinwerfer zucken, die Gitarren grooven, das Keyboard schmalzt, das überdimensionale Schlagzeug streichelt meist. Jeder seiner Musiker bekommt sein Solo, das ist hier keine Ein-Mann-Show. Dann wieder eine Ballade „Wir haben viel erlebt“, sinniert Oerdings Refrain von „100 Leben“.
Lyrische Stimmung im Zelt
Im nächsten Song „Tick Tack“ ein ähnliches Motiv. Das erste graue Haar weist gnadenlos auf die Vergänglichkeit alles Zeitlichen hin. Sein unwiderstehliches Rezept: „Wir halten uns fest und fliegen einfach mit“. Die Stimmung im Zelt ist lyrisch gut.
„Ecke Schmilinsky“: Die Ballade von der Reeperbahn nachts um halb eins platziert Johannes Oerding als romantischen Gospel, dreistimmig mit dem Publikum wird eine Hymne an die unvollendete Liebe, von der manche heimlich träumen. Mit „An guten Tagen“ aus dem Blues kommt wieder voluminöser Rock. Das Zelt kocht gleich über. Zum Ende geht der Refrain als euphorische Sahnehaube eine Terz höher.
Jetzt der Abschied in die schwüle Sommernacht? Johannes Oerding lässt sich nicht lumpen. Der nächste Kracher, „Alles brennt“, die meisten kennen den Text seit 2015, als das Album erscheint, auswendig. „Ich halt’ die Luft an, lauf’ über die Glut, alles wird gut“. Jetzt bekommt auch der letzte aus der Gemeinde sein Konzertfeeling, seinen Rausch.
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