Mannheim. Eines hat Matthias Jung schon bei der Verabredung zum Gespräch klargestellt: Anders als bei Bundes- oder Landtagswahlen könne er diesmal keine datengestützte Analyse liefern. Doch obwohl seine Forschungsgruppe Wahlen beim Wettstreit ums Mannheimer Rathaus - wie üblich - keine Umfragen gemacht hat, kann Matthias Jung mit seiner jahrzehntelangen Expertise durchaus einiges Erhellendes beisteuern.
Wahlforscher Jung ist vom Ausgang "extrem überrascht"
Vom Wahlausgang ist Jung „extrem überrascht“. Nicht, weil der auch von Mannheimer Liste und FDP unterstützte Christdemokrat Christian Specht vorne liege („das war durchaus zu erwarten“). Vielmehr habe sich die politische Landschaft schlagartig verändert: In den traditionell bürgerlich-konservativen Stadtteilen - etwa im Süden sowie in der Oststadt - habe Specht gar nicht so gut abgeschnitten. Doch in den eigentlichen SPD-Hochburgen im Mannheimer Norden seien seine Ergebnisse erstaunlich hoch.
Dass der gebürtige Waldhöfer dort familiär verwurzelt sei, habe zwar womöglich eine Rolle gespielt, meint Jung. „Aber viel entscheidender ist, dass der SPD-Kandidat nicht zu den traditionellen Strukturen im Mannheimer Norden passte.“ Als Capitol-Chef werde Thorsten Riehle wohl in erster Linie als Kulturschaffender wahrgenommen. Das sei in Innenstadt, Jungbusch und Neckarstadt vielleicht von Vorteil, in anderen Stadtteilen allerdings eher nicht.
Jung wundert sich über Peter Kurz
Zudem fehle es Riehle im Unterschied zu Specht klar an der Bekanntheit. Das sei in einem kommunalpolitischen Wahlkampf - der viele Bürger generell nicht so interessiere - nur bedingt aufholbar, weiß Jung. Somit hätte es wenig geändert, wenn Amtsinhaber Peter Kurz nicht erst im November 2022 auf eine erneute Kandidatur verzichtet hätte.
Über den SPD-Oberbürgermeister hat sich Jung gleichwohl gewundert: Dass Kurz keine öffentliche Empfehlung für seinen Parteifreund Riehle abgegeben habe, sei absolut ungewöhnlich. Auf Anfrage erklärt Kurz dazu später, er sei „von Amts wegen an das Neutralitätsgebot bei Wahlen gebunden“. So hielten es auch die meisten Kollegen. Die Wahrnehmung des Wahlforschers nehme er aber zum Anlass, die Frage noch einmal neu zu bewerten.
Ergebnis der OB-Wahl in Mannheim für SPD „Fast schon ein Fiasko“
Unterm Strich seien die 30,2 Prozent, die der Fraktionschef nun im ersten Durchgang geholt hat, „ein ausgesprochen schwaches Ergebnis“ für die Mannheimer SPD, sagt Jung. „Da kann man fast schon von einem Fiasko sprechen.“
Nicht weniger hart urteilt der Wahlforscher über Raymond Fojkars nur 13,8 Prozent. Für die Grünen, die in Stuttgart seit sieben Jahren den Ministerpräsidenten stellen, sei das in der zweitgrößten Stadt des Landes ein „katastrophales Ergebnis“. Das liege wohl in erster Linie an dem weitgehend unbekannten Kandidaten („der Name hat vorher selbst mir als kommunalpolitisch nicht Uninteressiertem nichts gesagt“) sowie an einem „seltsamen Wahlkampf“, meint der in Mannheim lebende gebürtige Speyerer.
Berlin beeinflusst auch die OB-Wahl in Mannheim
Den Grünen wie der SPD hält Jung allerdings zugute, dass die politische Großwetterlage - der Zustand der Berliner Ampel-Koalition - ungünstig für sie sei. Zwar seien Oberbürgermeister-Wahlen mehr als andere Persönlichkeitswahlen. Doch spiele die Parteizugehörigkeit für einige Wähler eben auch eine Rolle.
Heißt das für die Bundes-CDU, dass sie einen Sieg Spechts in einer traditionellen SPD-Hochburg groß feiern dürfte? Zumal Parteichef Friedrich Merz im Wahlkampf aufgetreten ist? „Da sollte man die Kirche im Dorf lassen“, empfiehlt Jung. Das gute Abschneiden hier mache die CDU nicht über Nacht großstadttauglicher. Es habe vielmehr mit lokalen Gegebenheiten wie der Person Spechts zu tun. Der sei kein „Spalter oder Polarisierer“ (da mag man vielleicht wieder an Merz denken), habe auch als Erster Bürgermeister mit dem SPD-Amtsinhaber gut zusammengearbeitet. Und sich politisch in der Mitte anzusiedeln sei für Christdemokraten immer klug. Dort würden Wahlen entschieden.
Entschieden sei die Wahl aber noch nicht, sagt Jung. Für die SPD komme es darauf an, ob sie ihre Anhänger in zweiten Durchgang stärker mobilisieren könne. Zusätzlich Stimmen dürfte ihr ein Verzicht anderer Wähler bringen. Allerdings wäre es laut Jung ein Irrglaube, dass sich Ergebnisse von Riehle, Fojkar und Linken-Kandidatin Isabell Belser einfach addieren ließen. Einige Grünen- wie Linken-Wähler hätten sicher ganz bewusst nicht für Riehle gestimmt. Das würden diejenigen auch kaum am 9. Juli tun, sondern eher der Wahl fernbleiben.
Geringes Interesse an Lokalpolitik
Daher rechnet Jung auch, wenn der SPD die Mobilisierung im zweiten Durchgang besser gelingt, nicht unbedingt mit einer höheren Wahlbeteiligung. Die 32,2 Prozent vom Sonntag nennt er „sehr bescheiden“, weil der Amtsinhaber nicht mehr angetreten sei und das Rennen als offen gegolten habe. Um mehr zu erreichen, hätte es außer Specht bekannterer Kandidaten oder einer stärkeren Polarisierung bedurft.
Generell sei die Beteiligung an kommunalen Wahlen indes immer deutlich geringer als auf Bundes- oder Landesebene, so Jung. Viele Menschen interessierten sich einfach nicht für Kommunalpolitik. „Das ändert sich erst, wenn sie davon konkret betroffen sind, etwa, weil die Straße vor ihrem Haus aufgerissen wird.“ Als Tipp zur Erhöhung der Wahlbeteiligung will er das garantiert nicht verstanden wissen.
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