Interview

Nachhaltigkeitschefin bei Heidelberg Materials: „Die Welt braucht Zement“

Nicola Kimm ist die erste Frau im Vorstand des Dax-Konzerns Heidelberg Materials und erklärt, wie sie Beton klimaneutral machen und Klimaaktivisten überzeugen will

Von 
Bettina Eschbacher
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Will mehr Frauen in das Unternehmen holen: Nachhaltigkeitschefin Nicola Kimm im Interview mit MM-Redakteurin Bettina Eschbacher. © Christoph Blüthner

Frau Kimm, Sie sind im Vorstand von Heidelberg Materials unter anderem für Nachhaltigkeit und Umweltschutz zuständig. Nicht das einfachste Thema bei einem Zementhersteller, den Klimaaktivisten immer wieder an den Pranger stellen. Was haben Sie erreicht?

Nicola Kimm: Nicht das einfachste, aber unser wichtigstes Thema. Mir war es beim Start in der neuen Rolle am wichtigsten zu erfassen, wo wir bereits gut unterwegs sind und wo wir nachholen müssen, um dann konkrete Ziele festzulegen. Wir haben eine detaillierte Roadmap vereinbart, die genau aufzeigt, wie wir unsere CO2-Emisionen bis 2030 auf 400 Kilogramm pro Tonne Zement reduzieren können. Das ist übrigens das ambitionierteste Ziel in unserer Branche. Daneben haben wir ein umfassendes Set an Nachhaltigkeitszielen aufgestellt.

Was gehört alles dazu?

Kimm: Sie beinhalten neben unseren Klimazielen auch soziale Ziele, etwa zu Lieferketten, Frauen in Führungspositionen oder Freiwilligenprogrammen. Ich sehe es als meine Aufgabe, eine gute Balance zwischen sozialen Aspekten und Umweltthemen zu finden. Auch das gehört zur Nachhaltigkeit.

Nicola Kimm: Verantwortlich für Nachhaltigkeit

  • Nicola Kimm ist seit September 2021 Mitglied des Vorstands bei Heidelberg Materials. Sie ist die erste Frau in dem Gremium.
  • Sie hat den Titel Chief Sustainability Officer und verantwortet die Bereiche Umwelt, Soziales, Unternehmensführung, Forschung & Entwicklung, Technologien & Partnerschaften.
  • Die Deutsch-Kanadierin hat einen Doktortitel in Volkswirtschaft und Ingenieurwesen des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT).
  • Sie begann ihre Karriere als Fertigungsingenieurin bei BASF in Ludwigshafen.
  • Kimm ist 1970 in Kanada geboren. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder. Die Region Rhein-Neckar kennt sie gut. Sie hat Familie in der Pfalz.
  • Heidelberg Materials hat seine Prognose für 2023 angehoben. Im dritten Quartal erzielte der Dax-Konzern einen Umsatz von gut 5,6 Milliarden Euro und damit vier Prozent weniger als ein Jahr zuvor.
  • Der bereinigte Gewinn vor Zinsen und Steuern legte im dritten Quartal um fast ein Viertel auf knapp 1,1 Milliarden Euro zu.

Aber das drängendste Problem ist der hohe CO2-Ausstoß bei der Zementherstellung. Ihre Branche ist weltweit einer der größten Emittenten des Klimakiller-Gases.

Kimm: Wir haben eine umfassende Pipeline mit Projekten, die genau dieses Problem angehen. Als Verantwortliche für Forschung und Entwicklung habe ich angestoßen, dass wir unsere Forschung neben der CO2-Reduzierung noch stärker auf das Thema Kreislaufwirtschaft ausrichten - also die Frage, wie man natürliche Ressourcen schont. Denn alles, was man beim Bau zurückholen und wiederverwenden kann, spart man an Rohstoffen aus der Natur ein - und an CO2-Emissionen.

Dafür haben Sie investiert und einige Zukäufe getätigt.

Kimm: Wir haben einige Recycling-Unternehmen übernommen, etwa in Berlin, Heilbronn und Großbritannien. Da geht es vor allem darum, den Bauschutt beim Abriss von Gebäuden in seine einzelnen Bestandteile zu trennen und diese hochwertig wieder aufzubereiten. Wir stellen sicher, dass die recycelten Produkte die gleichen Eigenschaften wie herkömmliche Produkte haben. Sie müssen genauso viel aushalten und die gleiche Lebensdauer haben. Und weil das ganz neue Verfahren sind, müssen wir für jedes Land neue Genehmigungen beantragen und neue Standards schaffen.

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Zurück zum Thema CO2: Das entsteht vor allem bei der Herstellung des Zementklinkers. Heidelberg Materials sieht sich als Vorreiter bei der Reduzierung von CO2-Emissionen in der Zementherstellung. Was macht Sie denn so selbstbewusst?

Kimm: Wir haben in vielen Bereichen einen Vorsprung von zwei bis drei Jahren gegenüber der Konkurrenz. Wir wollen bei der Dekarbonisierung unserer Industrie die ersten sein und zeigen, dass klimaneutraler Beton im großen Maßstab möglich ist. Dafür haben wir drei Hebel: Wir arbeiten daran, den Klinkeranteil im Endprodukt Zement zu reduzieren. Dann wollen wir über neue Prozesse den Energieverbrauch bei der Herstellung verringern und fossile durch alternative Energien ersetzen. Bei diesen beiden Hebeln geht es darum, die Entstehung von CO2 zu vermeiden. Der dritte Hebel ist Carbon Capture, Utilisation and Storage, kurz CCUS - also die Abscheidung, Nutzung oder Speicherung des anfallenden CO2. Für diese Anlagen bauen wir bereits mehrere Werke um und testen verschiedene Technologien.

Sind das nur hübsche Pilotprojekte oder wie realistisch ist der Umbau der Produktion eines weltweit tätigen Konzerns?

Kimm: Unser Ziel ist, mit CCUS bis 2030 insgesamt zehn Millionen Tonnen CO2 jährlich einzufangen. Der Bau einer CO2-Abscheideanlage dauert inklusive aller notwendigen Vorarbeiten mindestens fünf Jahre. Am weitesten sind wir in unserem Werk Brevik in Norwegen. Dort wird Ende nächsten Jahres die Abscheideanlage fertiggestellt. Dann werden 400 000 Tonnen CO2 im Jahr eingefangen und im Meeresboden unter der Nordsee gespeichert. Und in unserem Werk in Mitchell, einem der größten in den USA, sollen ab 2030 rund zwei Millionen Tonnen CO2 pro Jahr eingefangen werden. Für jede Anlage im Unternehmen gibt es einen maßgeschneiderten Plan zur Dekarbonisierung.

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Heidelberg Materials plant erstmals auch in einem deutschen Werk, in Geseke, eine Anlage zu CO2-Abscheidung. Wie soll das gehen? Noch ist die Speicherung in Deutschland verboten, es gibt weder Pipelines noch Genehmigungen für den Transport in andere Länder.

Kimm: Wir erfahren in Deutschland momentan einen Wandel in der Haltung gegenüber CCUS. Die Bundesregierung arbeitet bereits an einer Carbon Management-Strategie. Wir gehen davon aus, dass sich die Vorgaben zügig entsprechend ändern werden.

Klimaaktivisten haben große Vorbehalte gegen die CO2-Abscheidung. Ein Vorwurf lautet, dass diese Technologie viel zu viel Energie verbraucht.

Kimm: Man braucht mehr Energie für den Prozess an sich. Diesen Bedarf wollen wir nachhaltig decken, denn das Thema Energieeffizienz haben wir immer im Fokus. Wir wollen unsere Emissionen aus zugekaufter Energie bis 2030 um 65 Prozent reduzieren, und wir wollen mehr grünen Strom nutzen. Dafür schließen wir Lieferverträge mit Partnern. Außerdem schauen wir auch, wie wir unsere eigenen Flächen, etwa unsere Steinbrüche, für Solaranlagen nutzen können.

Man kann kein Windrad bauen ohne den Beton für die Fundamente.

Ihr Unternehmen ist immer wieder Ziel von Protesten der Klimaaktivisten, wie Fridays for Future oder Extinction Rebellion. Das Heidelberger Bündnis End Cement stellt sogar ihr ganzes Geschäftsmodell in Frage. Wie gehen Sie damit um?

Kimm: Zement ist ein gutes, wichtiges Produkt, das die Welt braucht - gerade auch für den Bau nachhaltiger Infrastruktur. Man kann kein Windrad bauen ohne den Beton für die Fundamente. Der Kritik können wir am besten begegnen, indem wir die verschiedenen Wege aufzeigen an denen wir arbeiten, um nachhaltiger zu bauen. Und einen konstruktiven Dialog über das führen, was machbar ist und in welchen Zeiträumen. Manche Veränderungen brauchen Zeit. Wir sprachen schon darüber, dass es mehrere Jahre dauert, bis man eine CO2-Abscheideanlage gebaut hat. Die politischen Rahmenbedingungen müssen da sein. Außerdem brauchen wir Partner aus der Gesellschaft, wie Bauunternehmen und Kommunen.

Sie sind die erste Frau im Vorstand von Heidelberg Materials. Wie war das am Anfang unter lauter männlichen Kollegen?

Kimm: Ich habe ja Ingenieurwesen studiert und lange bei BASF gearbeitet, danach in der Elektroindustrie. In all diesen Branchen gibt es wenig Frauen, vor allem fehlen Ingenieurinnen. Also war das nicht so neu für mich. Aber wir wollen mehr Diversität im Unternehmen. Wir brauchen mehr Frauen im Unternehmen und in Führung - und vor allem mehr Frauen in technischen Berufen.

Wie wollen Sie das erreichen, gerade in Ihrer Branche?

Kimm: Da müssen wir erstmal als Gesellschaft Überzeugungsarbeit leisten, dass mehr Frauen Ingenieurwesen studieren. Ich hoffe aber auch, dass wir als Unternehmen mehr Frauen anziehen, weil wir uns als Marke verändern. Eine Firma, die visionär ist, die auf Nachhaltigkeit setzt, wird auch von jungen Frauen als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen. Wir streben bis 2030 an, 25 Prozent Frauen in Führungspositionen zu haben. Dafür bauen wir jetzt entsprechende Programme auf - zum Beispiel, um Frauen in Nachfolgeplanungen und Auswahlverfahren besser zu berücksichtigen.

Redaktion Bettina Eschbacher ist Teamleiterin Wirtschaft.

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