Mannheim. Sie werden beschimpft, bedrängt, geschnitten: Lkw-Fahrer haben auf deutschen Autobahnen keinen guten Stand. Das schlechte Image ist nicht nur für die Betroffenen ein Problem: Weil sich nur wenige Menschen für eine Ausbildung zum Berufskraftfahrer entscheiden, hat die ganze Branche Nachwuchssorgen. Der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) warnt vor einem „schleichenden Versorgungskollaps“ - im schlimmsten Fall mit leeren Supermarktregalen wie in England.
Rolf Guttropf, Lkw-Fahrer bei der Spedition TTM in Edingen-Neckarhausen, bekommt die fehlende Wertschätzung für seinen Beruf quasi täglich zu spüren: „Auf deutschen Autobahnen ist es besonders schlimm“, sagt der 52-Jährige, der mit seinem 40-Tonner von Montag bis Freitag im Fernverkehr unterwegs ist, meistens in Deutschland und im nahe gelegenen Ausland.
Wichtiger Ausbilder weggefallen
- Der Mangel an Lkw-Fahrern hat sich durch die Bundeswehrreform vor zehn Jahren verschärft. Vor der Reform hätten die Bundeswehr jährlich Tausende von jungen Menschen mit Lkw-Führerschein und Fahrpraxis verlassen, die sofort als Aushilfe oder feste Fahrer bei Transportunternehmen arbeiten konnten, sagt Wolfgang P. Ahlbeck, Vorstandschef der Logistikgruppe Trans-o-flex in Weinheim.
- Nach Angaben des Bundesverbands Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) gehen jährlich rund 30 000 Berufskraftfahrer in Rente. Demgegenüber stünden nur etwa 17 000 Berufseinsteiger.
- Pfenning-logistics-Sprecherin Yeliz Kavak-Küstner spricht sich dafür aus, die Zulassungsvoraussetzungen für den Beruf zu vereinfachen. Durch zahlreiche Auflagen hätten sich die Kosten für den Führerschein auf rund 8000 Euro erhöht. „Das schreckt sicher viele junge Menschen ab“, sagt sie.
- Zwar unterstütze Pfenning logistics die Aus- und Weiterbildungen von Kraftfahrern und -fahrerinnen. Das Unternehmen wünsche sich allerdings, dass der Staat die Attraktivität des Berufs durch eine Reform der Ausbildung steigert.
- Kavak-Küstner: „Angesichts des gravierenden Fahrermangels benötigen wir hier eine gemeinsame Kraftanstrengung. So gilt es, die Ausbildungsdauer und -inhalte zu straffen, denn die Erfahrung zeigt, dass die Abbruchquote deutlich zu hoch ist.“
Alternde Belegschaften
Hupen, den Vogel zeigen, vordrängeln - was sich die meisten Menschen sonst eher verkneifen, erscheint ihnen auf der Autobahn plötzlich angemessen. „Das macht die Arbeit anstrengend. Viereinhalb Stunden am Stück konzentriert zu fahren, ist eine Herausforderung. Es wird nicht leichter, wenn sich an jeder Baustelle noch schnell ein Auto vor dir reinquetscht und dich zwingt, mit 40 Tonnen in die Eisen zu gehen.“
Für Guttropfs Chef Sandro Fillbrunn, Geschäftsführender Gesellschafter bei TTM, ist das schlechte Image des Berufs einer der Hauptgründe für die Nachwuchssorgen der Branche. „Im Idealfall würde ich jedes Jahr fünf neue Auszubildende als Berufskraftfahrer einstellen - aber so viele Bewerbungen bekomme ich gar nicht“, sagt er. „Mit etwas Glück melden sich insgesamt drei Kandidaten - und die nehmen wir dann in der Regel auch“, sagt Fillbrunn. Gelöst ist das Problem für den Chef des Familienbetriebs damit nicht: Seine Belegschaft wird älter, ein Teil der insgesamt 55 Fahrer geht demnächst in Rente. „Diese Lücken werden wir nicht mit eigenen Auszubildenden füllen können. Die Frage ist: Was machen wir stattdessen?“, sagt Fillbrunn.
Bei der Logistik-Gruppe Pfenning in Heddesheim befasst man sich seit Jahren mit dem Thema - auch wenn sich das Unternehmen nach Angaben von Sprecherin Yeliz Kavak-Küstner in einer vergleichsweise guten Situation befindet: „Wir beschäftigen bis auf ganz wenige Ausnahmen nur Fahrer im Nahverkehr. Sie haben eine geregelte Woche und können jeden Abend bei ihren Familien sein.“ Entsprechend seien sie auch nicht auf Autobahnrastplätze angewiesen - „ein großer Vorteil“, findet Kavak-Küstner.
Pfenning logistics ist vor allem im Handel aktiv und hat an großen Logistikzentren der Kunden eigene Betriebsstätten, an denen die Lkw stationiert seien. „Wenn die Fahrer Ware abholen, um sie an Supermärkte im Umland zu verteilen, haben sie eine feste Anlaufstelle und können die Infrastruktur nutzen.“
Um den Bedarf an Fachkräften langfristig zu sichern - Pfenning beschäftigt insgesamt rund 1300 Fahrer - arbeite die Gruppe unter anderem mit den Arbeitsagenturen zusammen. Diese finanzierten Kandidaten über Umschulungen den Lkw-Führerschein, Pfenning sichere im Gegenzug zu, diese im Anschluss einzustellen. Zudem habe das Unternehmen 2016 eine Arbeitgeber-Image-Kampagne gestartet und werbe mit einer eigenen Website um Fahrer. In Grenzregionen würden zudem auch Mitarbeiter aus dem Ausland eingestellt, beispielsweise aus Tschechien oder Polen.
Täglicher Kampf um Stellplätze
Um den Beruf insgesamt attraktiver zu machen, müsste nicht zuletzt die Infrastruktur verbessert werden, findet Kavak-Küstner: „Wenn junge Menschen auf der Autobahn sehen, wie Lkw an Lkw in kilometerlangen Staus stehen, bekommen sie nicht gerade Lust auf den Beruf.“
TTM-Fahrer Rolf Guttropf sieht auch bei Parkplätzen Handlungsbedarf: „Da hat sich die Situation in den letzten Jahren deutlich verschlechtert.“ In vielen Kommunen sei es verboten, Lkw in Gewerbegebieten abzustellen, die Plätze an der Autobahn seien oft hoffnungslos überfüllt. „Ab 15 Uhr muss ich es da gar nicht mehr versuchen“, so Guttropf.
Dass es vor diesem Hintergrund kaum möglich sei, auch Frauen als Fahrerinnen zu gewinnen, wundert den 52-Jährigen nicht. „Es gibt viel zu wenige Parkplätze, die anständig beleuchtet oder gar bewacht sind. Da habe selbst ich manchmal kein gutes Gefühl.“ Dass viele Speditionen Mühe haben, Fahrer zu finden, spüren unterdessen auch die Kunden, nicht zuletzt durch höhere Preise. Die Weinheimer Logistikgruppe Trans-o-flex, die auf die Beförderung von sensiblen Gütern wie Medikamente spezialisiert ist und dafür mit Transportfirmen zusammenarbeitet, rechnet „mit kontinuierlichen Preissteigerungen in diesem Bereich“, so Vorstandschef Wolfgang P. Albeck.
Der Mangel an qualifizierten Fahrern sei ein strukturelles Problem, das die gesamte Wirtschaft treffe. Trans-o-flex arbeite deshalb mit seinen Partnern daran, die Bedingungen für die Beschäftigten und das Image des Berufs zu verbessern. „Angemessene Bezahlung ist dabei eine Facette“, so Albeck.
Auch die Arbeitszeit sei ein Aspekt. Bei den Schichtplänen könne man beispielsweise „mit dem Aufbau von sogenannten Begegnungsverkehren dafür sorgen, dass Fahrer nach ihrer Schicht wieder zu Hause sind und nicht unterwegs übernachten müssen“, so der Trans-o-flex-Chef. Darüber hinaus entlaste das Unternehmen die Fahrer von Be- und Entladearbeiten, indem es diese Arbeiten durch gesondertes Personal erledigen lasse.
Der Alltag der Fernverkehr-Fahrer ist unterdessen durch Corona nicht gerade leichter geworden. „Willkommen sind wir fast nirgends mehr“, beschreibt Guttropf seine Erfahrungen. Bei manchen Kunden dürften er und seine Kollegen beispielsweise nicht einmal mehr die sanitären Anlagen benutzen. Auch an Rastplätzen sei die Versorgung zwischendurch stark eingeschränkt gewesen. „Wenn die Gastronomie überhaupt offen war, war das Angebot teilweise sehr begrenzt. Von Kaffee und Bockwurst kann ich nicht die ganze Woche leben.“
Trotz all dieser Widrigkeiten kann der 52-Jährige seiner Arbeit aber auch Positives abgewinnen: „Auf der Strecke ist man sehr eigenständig unterwegs, das schätze ich wirklich an dem Beruf.“
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