Start-ups

Gründer aus der Region: Reden wir über Gefühle!

Von 
Joana Rettig
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Mannheim. Schneeflocken sind einzigartig. Sie gelten als fragil und können doch Massen bewegen. Taucht eine Schneeflocke in einem Traum auf, so heißt es, soll der schlafenden Person die Einzigartigkeit eines Neubeginns aufgezeigt werden. Ein Neustart steht an – und der oder die Träumende ist bereit dafür.

Eine tröstende Metapher, wenn man sich zerbrechlich fühlt.

Gerade Gründerinnen und Gründern wird vieles abverlangt. Mutig sein, frech und aufgeweckt. Gut gelaunt und kreativ. Gleichzeitig müssen Businesspläne eingehalten, Investoren gefunden und Krisen überstanden werden.

Fjolla Myftari war bereit. Doch die „schön strahlende Schneeflocke“ – wie ihr albanischer Vorname verrät – musste sich erst durch Stürme kämpfen, bis dieser Neustart für sie wirklich schön strahlte. Ähnlich dunkle Tage machte Ingmar Hoerr durch. Viele Auseinandersetzungen, Wut, Traurigkeit. Auch Andre Sierek hatte schwere Zeiten, so schwer, dass er manchmal an sich selbst zweifelte.

Man muss sich selbst sagen: Wenn es der eine nicht kapiert, kapiert es halt ein anderer
Ingmar Hoer Gründer von Curevac

Sie alle drei – Myftari, Hoerr und Sierek – gründeten vor Jahren ihre eigenen Unternehmen. Die Mannheimerin Myftari schuf unter anderem die Marke MyRapunzel und verkauft natürliche Haarpflegeprodukte. Hoerr gründete vor über 20 Jahren auf Grundlage seiner mRNA-Forschung die Impfstoff-Firma Curevac in Tübingen. Und der Mannheimer Sierek hat mit seinen Bitterliebe-Produkten sogar einen Deal bei der Gründer-TV-Show „Die Höhle der Löwen“ ergattert. Sie alle mussten mit Rückschlägen kämpfen. Und das nagte an ihnen. So hatten diese Einzigartigen alle etwas gemein.

Etwas, worüber im Business-Kontext kaum gesprochen wird. Diese harten Zeiten. Rückschläge. Durststrecken. Und vor allem die Gefühle, die dadurch entstehen: Angst, (Selbst-)Zweifel und Verzweiflung, Frust, Überforderung, Wut, Mutlosigkeit. Emotionen haben in der Welt der Arbeit, insbesondere beim Gründen, noch immer wenig verloren. Und doch hat sie jeder und jede. Also Gefühle.

Nun. Sprechen wir darüber.

Hannah Brunner macht Emotionen zu ihrem Beruf: Sie behandelt in ihrem Wirtschaftspsychologiestudium das Thema positive Psychologie. Genauer gesagt erforscht sie in ihrer Abschlussarbeit, welchen Effekt positive Psychologie auf Gründerinnen und Gründer hat. In dem Feld geht es darum, Menschen, die medizinisch als gesund eingestuft werden, zu bestärken, deren Wohlbefinden zu erhöhen. Damit könne Präventionsarbeit geleistet werden. Laut Brunner werde das bereits in der betrieblichen Gesundheitsförderung getan. Und sie sagt: Gefühle beeinflussen den Erfolg. „Früher, etwa in den 2000er Jahren, war es üblich, den Unternehmenserfolg rein an finanziellen Maßstäben zu messen“, erklärt Brunner. Heute wandle sich das. Gefühle, Sinnhaftigkeit, Wohlbefinden – all das hat laut Brunner einen großen Einfluss auf den Erfolg eines Unternehmens. „Und gerade beim Gründen ist es wichtig, dass man gesund ist.“

Fjolla Myftari war nicht gesund, als ihr die Idee für ihre Gründung kam. Körperlich. Eine Kopfhautentzündung und die Erkenntnis, dass sie auf Chemikalien in Shampoos allergisch reagiert, ließen ihre Geschäftsidee wachsen. Ihr Ehemann, der auch in der Start-up-Szene aktiv ist, brachte sie auf die Idee. MyRapunzel war geboren. Und damit die Probleme. „Was? Du willst als Frau gründen?“; „Willst du denn keine Kinder?“ Immer und immer wieder sei sie darauf angesprochen worden. Und: „Ach so, dein Mann macht das also alles für dich, du bist nur dabei.“ Mit solchen, ja, Vorwürfen emotional umzugehen, sagt die Gründerin heute, war eine schwere Hürde. Doch nicht nur Skeptikerinnen und Skeptiker waren es, die es Myftari schwer machten. „Plötzlich hatten alle das Gefühl, besser gründen zu können als ich – das waren übrigens alles Männer. Die nie gegründet haben.“

Scheitern als Chance
Die Zweifel kamen. „Ich dachte: Ist da etwas dran, wenn das jeder sagt?“ Doch Myftari gibt nicht gern auf. Jetzt erst recht, dachte sie sich. „Und genau das würde ich jedem Gründer und jeder Gründerin sagen: Es muss sich richtig für dich anfühlen. Wenn das so ist, hör nicht auf die anderen.“ Myftari beschäftigt heute fast 20 Mitarbeitende. Gestartet ist sie allein. Komplett selbstfinanziert. Nebenbei gründete sie mit zwei Co-Foundern noch die Naturkosmetikmarke Rosental. Mit ihrem Mann hat sie eine Beteiligungsgesellschaft, investiert in weitere Start-ups.

Doch auch heute fällt Myftari hin und wieder in emotionale Tiefs. Die Corona-Krise etwa hatte ihr im vergangenen Frühling Riesenangst gemacht. Myftari will, dass andere davon erfahren. Gefühle sind real, sagt sie. „Manchmal ist es richtig schwer. Dann kann ich auch nicht weitermachen, weil ich mich immer wieder frage: Was jetzt?“ Es helfe, sich einzugestehen, dass man jetzt eben mal unmotiviert ist. Ein Satz, den ihr Mann ihr einmal sagte, geht Myftari in solchen Momenten nicht aus dem Kopf: „Egal, was ist – es geht immer weiter.“

Sich einzugestehen, dass auch mal etwas nicht läuft. Das ist auch etwas, das die angehende Psychologin Brunner rät. Auf der Webseite charakterstaerken.org könne man einen Test machen, um seine Stärken und Schwächen zu erkennen. Auf seine Stärken könne man bauen. „Und wenn man sich seiner Schwächen bewusst ist, kann man nachjustieren.“ Scheitern als Chance. Und: „Wichtig ist, dass man weiß: Es ist nicht schlimm, zu scheitern – man kann immer wieder neu anfangen.“

Resilienz. Auch Curevac-Gründer Ingmar Hoerr pocht auf Resilienz. „Es wird unmenschlich werden“ sagt er in einem Interview bei dem Unternehmernetzwerk Wissensfabrik. Sich auf harte Winter einstellen, ist Hoerrs Rat. Sich aber nicht vom Weg abbringen lassen. Hoerr ist mit seiner Idee bei vielen Gesprächen mit Investorinnen und Investoren gescheitert. „Es gab Situationen, da sind Investoren während der Präsentation aufgestanden und gegangen. Da könnte man heulen.“ Immer dann griff der Curevac-Vater auf den Glauben an seine Idee zurück. „Man muss sich selbst sagen: Wenn es der eine nicht kapiert, kapiert es halt ein anderer.“ Er habe gewusst, was seine Forschung wert sei. Hoerr hatte ja die Wissenschaft. Die Erkenntnisse waren da, schwarz auf weiß.

Dann kamen Friedrich von Bohlen, Dietmar Hopp und Bill Gates. Business Angels mit Visionen. Und Geld. Erst dann ging es aufwärts. Bis dahin ist Hoerr immer wieder gegen Wände gelaufen. Und auch danach war die Zeit nicht einfach.

Freundschaften zerbrachen. Trennungen von Mitarbeitenden, Partnern. „Das war total schwer – und es ist traurig“, erzählt er. Für ihn war aber klar: Er gründet nicht des Gründens wegen. „Ich habe ein Ziel verfolgt – so wie sich dem etwas in den Weg gestellt hat, habe ich versucht, das wegzuräumen.“ Aber es machte etwas mit ihm. Es traf ihn. Und er musste dagegen ankämpfen. Sozialer Ausgleich half. Etwas, das Gründerinnen und Gründer selten in Betracht ziehen. Für Hoerr gilt: „Man muss sich mit Menschen umgeben, die man liebt.“ Er habe sich Rückzugsräume gesucht. Orte, an denen er sich wohlfühlt. Er besucht sie noch heute.

Andre Sierek musste das erst lernen. Elf-, Zwölf-Stunden-Tage hatten ihn zu Beginn motiviert. Immer erreichbar sein. Da sein. „Bis die mentalen Probleme dazukommen, sich alles nicht mehr so leicht anfühlt – dann spürt man, dass man etwas anderes braucht“, sagt er. Wenn der Kopf nicht frei ist, ist es die Firma auch nicht. Motivation, Kreativität. Kraft. Das alles verschwindet im eisigen Nichts. „Erst ein Jahr nach der Gründung hatte ich wieder Wochenende – und ich spürte: Dieser Ausgleich ist mein Anker in der Zukunft.“

Sierek und sein Co-Founder Jan Stratmann gründeten Bitterliebe 2018 mit der Intention, Bitterstoffe wieder zurück in die Ernährung zu bringen. Schnell fanden sie Investoren. Nach drei Monaten machte das Unternehmen, das bis dahin noch Magenfreude hieß, mehr als 100 000 Euro Umsatz. Alles schien perfekt.

Vorbilder machen Mut

Dann kam der eine Tag. Auf ein extremes Hoch folgte ein heftiges Tief. Magenfreude wurde zur „Höhle der Löwen“ eingeladen. Eine TV-Sendung, in der Investoren nach Gründungen suchen. Zwei Wochen hatten sie Zeit zur Vorbereitung. Dann die Kehrtwende: Die Gründer bekamen eine Abmahnung. „Der Name ,Magenfreude’ symbolisiert, dass es dem Magen Freude macht“, erklärt Sierek. „Dadurch, dass wir aber keine Arznei verkaufen, sondern ein Nahrungsergänzungsmittel, durften wir diese Aussage nicht machen.“

In zwei Wochen mussten sie ihre Firma vorstellen. Die es aber in der Form bald nicht mehr geben würde. „Das war ein Schock“, erzählt Sierek. „Als Gründer hat man die Absicht, die Welt ein kleines Stück besser zu machen. Unwissentlich haben wir einen nicht erlaubten Namen benutzt, und wurden daraufhin so behandelt, als hätten wir ein wirklich schweres Verbrechen begangen. Das war mit Abstand die schwerste mentale Phase, die ich je erlebt habe.“ Existenzängste drängten sich auf. Aber sie schafften es. Die Marke Bitterliebe entstand in kürzester Zeit.

Neben dem Glauben an das Produkt – den er selbst nie infrage stellte – gab es noch etwas, das Sierek Mut machte. Mentoren. „Es hat einen ganz besonderen Wert, Unterstützung von einer Person zu bekommen, die das Gleiche erlebt hat.“

Vorbilder legt Forscherin Hannah Brunner jedem und jeder ans Herz. Erfolgsgeschichten machten Mut. Sie sieht hier aber nicht nur die Gründerinnen und Gründer in der Pflicht. Auch Wirtschaftsverbände und die Presse sollten die Neulinge an sie heranführen.

Es kann letztlich hilfreich sein, fragil zu sein. Gefühle zuzulassen und sie auszusprechen. Schneeflocken können Massen bewegen. So zerbrechlich sie auch scheinen mögen.

 

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