Mannheim.. Die Erde brennt. Das Klima leidet. Die Meere sind vermüllt mit Plastik. Und das ist nicht alles. Die globale Schere zwischen Arm und Reich klafft auseinander. In vielen Ländern leben und arbeiten Menschen zu unwürdigen Bedingungen, Mädchen und Frauen sind oft besonders betroffen. Was können wir dagegen tun? Das ist die Frage, die Social Start-ups antreibt: Gründerinnen und Gründer, die gesellschaftliche Probleme wirtschaftlich lösen wollen. Ihren Erfolg messen sie nicht primär in Kennziffern wie Gewinn oder Rendite, sondern am gesellschaftlichen Nutzen, den sie schaffen.
„Das Faszinierende an Social Start-ups ist, dass sie es schaffen, ihre sozialen Ziele mit dem Betriebswirtschaftlichen zusammen zu denken“, sagt Ina Schlie, Business Angel, Multi-Aufsichtsrätin und Investorin aus Heidelberg. „Viele denken, dass Social Start-ups keine Rentabilitätsabsicht haben. Aber das kann ja gar nicht funktionieren. Um einen sozialen Mehrwert zu generieren, brauchen sie finanzielle Mittel.“ Mehr als zwei Drittel aller Social Start-ups seien am Markt aktiv, bieten Produkte oder Dienstleistungen an.
„Wir sind immer noch eine Nische, aber wir wachsen rasant“, sagt Lilli Leirich, die sich seit Jahren mit Social Entrepreneurship, also sozialem Unternehmertum, beschäftigt. So hat sie mit ihrem Kollegen Carsten Huber den S-HUB in Mannheim ins Leben gerufen – ein Gründungszentrum und Accelerator für Social Entrepreneurs. Angeboten werden Coworking-Plätze, Beratung und Mentoring.
"Die deutsche Wirtschaft braucht nicht nur mehr Einhörner, sondern auch mehr Zebras"
Soziales Unternehmertum sei kein vorübergehender Hype, glaubt Leirich, sondern Ausdruck eines Paradigmenwechsels. „Ich vergleiche das gerne mit einem Binärcode. Der hieß in unserem Wirtschaftssystem bisher: Eine unternehmerische Entscheidung rechnet sich wirtschaftlich oder sie rechnet sich nicht. Künftig wird die entscheidende Frage sein: Dient die unternehmerische Entscheidung dem Gemeinwohl oder nicht?“ Das betreffe nicht nur Social Start-ups, sondern letztlich jede Organisation. „Perspektivisch werden Unternehmen nicht darum herum kommen, ihre Prozesse transparenter zu machen und ihr Geschäftsmodell so sozial und ökologisch verträglich wie möglich zu gestalten.“ Dafür seien mehrere Faktoren verantwortlich, so Leirich – zum Beispiel die zunehmende Transparenz darüber, was in der Welt geschehe und wer für Missstände wie Umweltschäden verantwortlich sei.
„Gleichzeitig spüren die jüngeren Generationen mehr denn je ihre Selbstwirksamkeit, das Gefühl: Wir haben es in der Hand, etwas zu verändern.“ Ein weiterer Faktor: Den meisten jungen Menschen, zumindest hierzulande, gehe es finanziell gut. „Dadurch haben wir den Kopf frei, um uns mit der Sinnhaftigkeit unseres Handelns auseinanderzusetzen.“
Auch Investorin Schlie ist überzeugt, dass nachhaltiges und soziales Handeln für Start-ups immer wichtiger wird. „Die deutsche Wirtschaft braucht nicht nur mehr Einhörner – also Start-ups, die eine Marktbewertung von mehr als einer Milliarde US-Dollar erreichen –, sondern auch mehr Zebras.“ Darunter versteht man Gründerinnen und Gründer, die sozial und nachhaltig agieren, gleichzeitig aber rentabel sind.
Allerdings sei es für Social Start-ups nicht leicht, an Fremdkapital zu kommen. „Bei den meisten Investoren stehen eine hohe Renditeerwartung und ein lukrativer Exit – also ein späterer Verkauf – im Vordergrund. Das passt nur bedingt zu dem Anspruch von Social Start-ups, nachhaltig zu wirtschaften und eben nicht primär schnelle Gewinne zu machen“, sagt Schlie.
So kämen bisher gerade einmal 2,5 Prozent aller Social Start-ups an Venture Capital, also Risikokapital. Bei Start-ups allgemein seien es 20 Prozent. „Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass Gründerinnen und Gründer insgesamt in Deutschland wesentlich weniger Venture Capital bekommen als in anderen Ländern.“ Für Social Start-ups gebe es wenige spezielle Finanzierungsangebote. Dass Impact auf Rendite treffen könne, sehe man gut am Beispiel von Venture-Capital-Funds wie BonVenture oder Ananda. Beide hätten sich auf nachhaltige Investments spezialisiert. „Das zeigt: Auch für Social Start-ups ist es möglich, Investoren und Investorinnen zu finden.“
Schlie selbst ist seit Ende 2019 an Mobile Afya beteiligt, einem Social Start-up aus Tansania. Dessen Gründerinnen haben eine IT-Plattform entwickelt, die die dortige Bevölkerung mit Informationen zum Thema Gesundheit versorgen soll. „Ich will diese Idee nachhaltig unterstützen, deshalb steht ein Ausstieg für mich hier gar nicht im Vordergrund.“
SAP will teilweise bei Sozialunternehmen einkaufen
Ein Konzern, der Social Start-ups schon seit einiger Zeit unterstützt, ist SAP. „Wir beschäftigen uns seit 2011 damit. Das Thema Social Entrepreneurship kam damals gerade auf, es gab für diese Gründerinnen und Gründer aber noch keinerlei Infrastruktur“, sagt Gabriele Hartmann, die bei dem Konzern den CSR-Bereich für Mittel- und Osteuropa leitet.
Hinter den Start-ups hätten in der Regel junge Menschen gestanden, die zwar eine „tolle, wilde Idee“ hatten, aber kaum unternehmerisches Wissen. SAP habe deshalb mit Beratung durch Volunteers unterstützt – z. B. durch mehrmonatige Stipendien, zu denen ein Co-Working-Platz und Mentoring durch SAP-Beschäftigte gehörte. „Ziel war es, die Start-ups investment ready zu machen“ – sie also so aufzustellen, dass sie sich zum Beispiel bei einer Bank um einen Kredit bemühen konnten. Begleitet hat der Konzern damit Gründungen wie Kuchentratsch: Eine Münchner Bäckerei, in der Seniorinnen und Senioren in der Backstube stehen. Sie schaffte es später sogar in die TV-Sendung „Die Höhle der Löwen“.
Im letzten Jahr habe SAP begonnen, die Unterstützung auf eine neue Stufe zu heben, in der nach Hartmanns Ansicht die Zukunft liegt. Mit der Initiative 5 & 5 by ‘25 hat sich der Konzern verpflichtet, bis 2025 fünf Prozent seiner steuerbaren Ausgaben im Einkauf mit Sozialunternehmen oder Firmen zu tätigen, die Diversität fördern. „Das sind bei SAP im Jahr bis zu 60 Millionen Dollar der weltweiten Ausgaben.“ Der Gedanke hinter dem Ansatz: „Beratung ist gut, aber wenn wir diesen Sektor wirklich nach vorne bringen wollen, müssen wir die Unternehmen als echte Akteure im Wirtschaftskreislauf etablieren, indem wir Produkte und Dienstleistungen bei ihnen kaufen.“ Außerdem sei der Konzern Partner des Social Impact Awards in Deutschland, mit dem Jugendliche an soziales Unternehmertum herangeführt werden sollen.
In Mannheim können Social Start-ups inzwischen einen kommunalen Zuschuss bekommen
Auch die Wirtschaftsförderung der Stadt Mannheim hat Social Start-ups seit einiger Zeit stärker im Fokus. Zum Jahresanfang hat sie ihr Zuschuss-Programm KREATECH ausgeweitet und in „KreaSocTech“ umbenannt: Neben Kleinst- und Kleinunternehmen aus Kreativwirtschaft und Tech-Bereich können jetzt auch Social Economy-Gründungen Unterstützung beantragen. Die Start-ups können u.a. für 25 Prozent der Mittel, die sie in Sachanlagen investieren, Förderung bekommen. Insgesamt ist der Zuschuss auf maximal 10 000 Euro gedeckelt.
„Bisher ist es nicht üblich, dass Kommunen Social Entrepreneurs unterstützen, das ist eine relativ neue Bewegung. Wir als Stadt Mannheim wollen hier Treiber sein“, sagt Christiane Ram, Leiterin der Wirtschaftsförderung. Der Gemeinderat hat für das KreaSocTech-Programm 200 000 Euro pro Jahr freigegeben. „Wir haben jährlich etwa 45 bis 50 Antragsteller“, sagt Jürgen Münch, bei der Wirtschaftsförderung zuständig für Gründungen und Fördermittel.
Ein weiterer Baustein der Förderung sei der Mannheimer Existenzgründungspreis MEXI, der seit 2020 auch für die Kategorie Social Economy vergeben wird. Er ist mit 10 000 Euro dotiert und ging in seinem ersten Jahr an das Start-up Moanah. Es hat ein nachhaltiges Reinigungspulver entwickelt, das mit Wasser in Glasflaschen gemixt wird. Münch geht davon aus, dass die Social Economy in der Region stark wachsen wird. „An allen Hochschulen ist das in irgendeiner Form inzwischen Thema. Viele Studierende wollen nicht nur über Missstände reden, sondern was unternehmen. Deshalb sehen wir hier eine hohe Gründungsdynamik.“
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