Ludwigshafen. Herr Horvat, wie tief saß bei Ihnen der Schock, als BASF Ende Februar die Schließung mehrerer Anlagen in Ludwigshafen bekanntgab - und noch ein knackiges Sparprogramm dazu?
Sinischa Horvat: Das war ein Big Bang - die Schließungen entsprechen dem Volumen der Betriebe, die in den 20 Jahren zuvor insgesamt zurückgefahren wurden. Und diese Dimension kommt jetzt auf einen Schlag!
Betroffen sind zehn Prozent der Anlagenstruktur im Werk Ludwigshafen und 700 Beschäftigte in der Produktion.
Horvat: Das tat schon im Herzen weh, vor allem das Aus für eine Prestige-Anlage wie die TDI-Anlage. . .
Jede Schließung hat ihre Gründe - hohe Energiepreise, harter Wettbewerb, schlechte Performance, sinkende Nachfrage
. . .weil die Anlage mit einer Milliarde Euro die größte Einzelinvestition im Werk war und erst seit 2017 läuft.
Horvat: Das ist ja Stahl und Eisen, das noch glänzt. Es war erst einmal schwer in den Gesprächen mit dem Vorstand, das zu akzeptieren. Aber die Entscheidung kam ja nicht plötzlich, sondern hatte einen langen Vorlauf. Die Kollegen haben monatelang für ihre Anlagen gekämpft, haben das Beste aus allem herausgeholt. Aber jede Schließung hat ihre Gründe - hohe Energiepreise, harter Wettbewerb, schlechte Performance, sinkende Nachfrage.
Da gibt es kein Zurück mehr?
Horvat: Das Ende dieser Anlagen ist fix, das ist aus meiner Sicht nicht zu ändern. Aber ich habe natürlich Forderungen für die Zukunft des Standorts. Wir haben hier eine alternde Anlagenstruktur. Deshalb brauchen wir dringend Investitionen in die Modernisierung unseres Anlagenparks, nicht nur für neue Projekte zur ökologischen Transformation. Wir stehen ja auch im Wettbewerb mit anderen BASF-Standorten.
Mit China zum Beispiel, wo BASF gerade für zehn Milliarden Euro einen neuen Verbundstandort baut?
Horvat: Nein, China sehe ich konzernintern nicht als direkten Konkurrenten. Da müssten die Unterschiede bei den Energiepreisen noch sehr viel höher ausfallen, damit sich das Verschiffen von Chemieprodukten aus China nach Europa lohnt.
In der Standortvereinbarung zwischen Betriebsrat und Konzernführung ist festgelegt, dass jährlich durchschnittlich 1,5 Milliarden Euro in das Ludwigshafener Werk investiert werden. Reicht das überhaupt, wenn hier auch neue, teure Klimaprojekte entstehen sollen?
Horvat: Die Investitionen für diese neuen Klimaprojekte kommen noch zu den 1,5 Milliarden Euro obendrauf: Von 2021 bis 2025 sind es weniger als eine Milliarde Euro, von 2026 bis 2030 dann zwei bis drei Milliarden. Insgesamt sind es also mehrere Milliarden Investitionen im Jahr, etwa für die Elektrifizierung des Steamcrackers. Nicht nur in China wird groß investiert, sondern auch für Batteriematerialien und eben hier in Ludwigshafen - das ist ein Rieseninvestitionsvolumen. Aber der Euro oder der Dollar kann nur einmal ausgegeben werden. Wenn das Geld nicht verdient wird, wird es auch schwierig mit den Investitionen.
Das Neue in dieser Krise ist für mich, dass die hohen Preise für Gas oder Strom so schnell nicht weggehen werden, dass es keine direkte Lösung dafür gibt
Sie befürchten einen Verteilkampf um die Investitionen im Konzern, wenn die Geschäfte nicht gut laufen?
Horvat: Das ist vorstellbar. Es geht um die Zukunftsfähigkeit dieser Firma - da will ich nicht in der Haut des Vorstandes stecken. Allein die hohen Energiepreise in Europa bleiben eine Riesenherausforderung. Das Neue in dieser Krise ist für mich, dass die hohen Preise für Gas oder Strom so schnell nicht weggehen werden, dass es keine direkte Lösung dafür gibt. Umso wichtiger ist, dass der Standort Ludwigshafen nachhaltig umgebaut wird, dass wir wegkommen von fossilen Energien und neue nachhaltige Produkte entwickeln. Ludwigshafen muss ein Leuchtturm werden für CO2-neutrale, aber auch wettbewerbsfähige Produktion. Deswegen auch immer mein Ruf Richtung Politik: Dafür brauchen wir die richtigen Rahmenbedingungen.
Da sind Sie sich mit Vorstandschef Martin Brudermüller einig.
Horvat: Wir brauchen als Industrie die Brücke, um die Transformation in eine klimaneutrale Produktion zu schaffen. Dazu gehören Fördergelder, Windparks und der Netzausbau. Dazu gehören verlässliche Energiepreise - deshalb unterstütze ich die Pläne von Wirtschaftsminister Robert Habeck für günstigen Industriestrom. Und diese Hilfe für energieintensive Unternehmen muss schnell kommen.
BASF-Betriebsratschef
- Sinischa Horvat (geb. 1976) ist seit 2016 Vorsitzender des Betriebsrats des Werks Ludwigshafen der BASF SE, des BASF Europa Betriebsrats sowie des Konzernbetriebsrats.
- Im BASF-Betriebsrat engagiert er sich seit 2002.
- Er ist stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats der BASF SE.
- Dort begann Horvat 1993 als Auszubildender für Prozessleitelektronik. Zudem studierte er Betriebswirtschaft.
- Er ist verheiratet, hat zwei Kinder.
- Obwohl in der Südwestpfalz aufgewachsen, ist Horvat kein Fan des Fußballvereins 1. FC Kaiserslautern, sondern des 1. FC Köln.
Sind die Anlagenschließungen der BASF der Startschuss zur Deindustrialisierung Deutschlands?
Horvat: Dafür bin ich viel zu kämpferisch, um schon eine Deindustrialisierung zu sehen. Aber die Gefahr ist da, vor allem wegen der Standortnachteile aufgrund der teuren Energie. Wir müssen aufpassen, dass wir zum Beispiel bei der Basis-Chemie nicht abhängig vom Ausland werden. Ammoniak oder andere Basischemikalien müssen weiterhin in Europa produziert werden. Darüber müssen wir reden, genau wie über Chipfabriken und Arzneimittelengpässe.
Aber die BASF legt doch ausgerechnet eine Ammoniak-Anlage in Ludwigshafen still, weil sie sich wegen der hohen Energiepreise nicht lohnt.
Horvat: Ja, aber es gibt ja noch eine zweite hier, und die läuft weiter. Ein Sterben auf Zeit am Standort sehe ich nicht, ich bin ja Berufsoptimist. Aber wenn es für solche energieintensiven Anlagen nicht zu einer Entlastung gerade beim Strompreis kommt, dann sehe auch ich schwarz.
Das Signal an die Beschäftigten ist: Du wirst gebraucht - an anderer Stelle
Wie ist aktuell die Stimmung in der Belegschaft?
Horvat: Beim Thema Betriebsschließungen ist bei den betroffenen Mitarbeitern nach dem ersten Schreck eine Phase gespannten Abwartens eingetreten. Sie wissen, dass die Standortvereinbarung sie vor betriebsbedingten Kündigungen schützt. Aber sie wollen natürlich wissen, wie es weitergeht. Der Rückbau der Anlagen dauert bis zu drei Jahre. Ein großer Teil hat schon jetzt eine neue Stelle sicher, sobald die alten Anlagen heruntergefahren sind. Das sind ja alles hochausgebildete Fachkräfte. Gut angekommen ist auch unser Eckpunktepapier, das ein Umdenken eingeleitet hat. Statt gleich eine Abfindung anzubieten, hat die Qualifizierung für eine neue Stelle Vorrang. Wenn das nicht möglich ist, gibt es eine komplette Umschulung. Das Signal an die Beschäftigten ist: Du wirst gebraucht - an anderer Stelle.
Es läuft aber auch das Sparprogramm, dabei sollen 1500 Stellen in der Verwaltung wegfallen.
Horvat: Hier haben die Verhandlungen erst angefangen, die werden wohl bis Oktober laufen. In der Verwaltung ist das Thema Qualifizierung schwieriger, aber auch hier ist das Ziel, den Mitarbeitern neue Arbeitsplätze anzubieten. Möglicherweise in ganz neuen Berufsfeldern. Darauf müssen sich die Mitarbeiter aber auch einlassen. Im Gegenzug wird genau hingeschaut, was sie brauchen für den neuen Job, etwa ein Modul über eine Hochschule oder eine Weiterbildung im Unternehmen. Dazu verhandeln wir gerade eine Betriebsvereinbarung, bei der wir auch mehr Geld für Qualifizierungen verlangen. Das Unternehmen spart ja Kosten, wenn Abfindungen vermieden werden - und hält seine loyalen Mitarbeiter.
Die Standortvereinbarung läuft 2025 aus. Wann wollen Sie über eine neue verhandeln?
Horvat: Wir werden Mitte 2024 beim Vorstand anklopfen. Am liebsten würde ich die alte Vereinbarung einfach verlängern lassen. Und gerade jetzt zeigt sich wieder, wie wertvoll der Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen ist. Auch für das Unternehmen - weil die Menschen dadurch den Kopf frei haben für ihren Job und die Veränderungen. Übrigens steht jetzt schon fest, dass die Beschäftigten, die von den Anlagenschließungen betroffen sind, einen Kündigungsschutz über 2025 hinaus haben. Da haben wir einen besonderen Schutz erreicht.
2024 hört der Vorstandsvorsitzende Martin Brudermüller auf. Wen wünschen Sie sich als Nachfolger?
Horvat: Da mache ich keine Aussage.
Welche Eigenschaften sollte der oder die Neue haben?
Horvat: Besonnenheit und die Fähigkeit, die Mitarbeiter zu begeistern. Die Menschen hier haben ein gutes Gespür dafür, ob sie wertgeschätzt werden und sie wollen mitgenommen werden. Der Spirit hat in diesen vielen Krisen doch gelitten.
Wäre es ein gutes Signal, wenn eine Frau wie Vorständin Melanie Maas-Brunner an die Spitze rücken würde?
Horvat: Ich bin für alles offen. Was ich mit Sicherheit nicht will, ist, dass jemand von extern kommt. Das sehe ich auch nicht.
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