Mannheim/Stuttgart. Der Neckarhafen im Osten Stuttgarts. Schrottberge, Containertürme und schwergewichtige Verladekräne. Im Hintergrund idyllische Weinberge. Selbst ein Industriegebiet kann manchmal malerisch aussehen.
Vor dem Tor des Logistikunternehmens DP World Intermodal stoppt ein Mercedes-Benz GenH2 Truck, ein Brennstoffzellen-Lkw. Von außen sieht der Prototyp aus wie ein gewöhnliches Diesel-Modell, nur ist er deutlich leiser. Und: Er erzeugt keine klimaschädlichen Abgase, sondern lediglich Wasserdampf.
Wasserstoff-Lkw von Daimler Truck sind auch durch die Rhein-Neckar-Region gerollt
Mehr als ein Jahr lang haben Kunden fünf GenH2 Trucks getestet: der US-Handelskonzern Amazon, die Chemiefirma Ineos Inovyn, der Industriegas-Hersteller Air Products, der Baustoffproduzent Holcim und der Logistiker Wiedmann & Winz. Auch durch die Rhein-Neckar-Region sind die Lkw gerollt. Amazon war zwischen dem Logistikzentrum Frankenthal und dem Verteilzentrum in Sindelfingen bei Stuttgart unterwegs, Wiedmann & Winz rund um Germersheim.
In Summe haben die fünf Prototypen mittlerweile über 225.000 Kilometer im Logistikeinsatz der Kunden zurückgelegt. Für die gleiche Distanz hätten vergleichbare Diesel-Lkw bei 25,6 Tonnen Gesamtzuggewicht rund 58.000 Liter Diesel tanken müssen – mit einem CO₂-Ausstoß von ungefähr 154 Tonnen. So rechnet es Daimler Truck vor. Die Prototypen des GenH2 wurden hauptsächlich in Wörth (Pfalz) montiert. Auch das Mannheimer Werk hat elektrische Komponenten und Kabelsätze beigesteuert.
Das Feedback der Kunden, die zu einer Medienveranstaltung in den Stuttgarter Neckarhafen gekommen sind, ist überwiegend positiv. Der GenH2 Truck habe solide Zuverlässigkeit und Kraftstoffeffizienz bewiesen, erklärt Amazon-Manager Fabian Duex. „Während der Testphase erreichte er konstant Reichweiten von über 1.000 Kilometern mit einer Betankung, und der Lkw lief reibungslos in einer Fünf-Tage-Woche.“ Nahezu alle Test-Teilnehmer berichten von begeisterten Fahrern – obgleich der ein oder andere zu Beginn durchaus Respekt vor der Neuerung gehabt habe.
Befüllt wurden die Fahrzeuge an Flüssigwasserstofftankstellen in Wörth und im Raum Duisburg (Nordrhein-Westfalen). 285 Mal wurde getankt – insgesamt rund 15 Tonnen Flüssigwasserstoff. Die Kunden heben hervor, das Tanken dauere in etwa genauso lange wie bei einem Diesel-Modell. Also zwischen zehn und 15 Minuten.
Daimler Truck verschiebt Serienproduktion der Wasserstoff-Lkw
Eigentlich wollte Daimler Truck die Serienproduktion des Brennstoffzellen-Lkw 2027 starten. Doch die verschiebt sich – mangels Tankstellen – auf die „frühen 2030er Jahre“, wie auf dem Kapitalmarkttag in den USA im Juli bekanntgegeben worden ist. Klingt ein bisschen wie: Mal schauen, ob es was wird. Wenn nicht, dann halt nicht.
Doch Michael Scheib schüttelt den Kopf. Er ist Leiter Gesamtfahrzeugentwicklung Mercedes-Benz Trucks. „An ein Aussteigen denken wir nicht“, sagt er. Allein, weil viele Arbeitsstunden investiert worden seien und bereits an der nächsten Generation der Brennstoffzelle gearbeitet werde.
Wie es weitergeht
- Ende dieses Jahres will Daimler Truck fünf weiteren Kunden die Protypen zum Test überlassen. Die Namen sind noch geheim. Dem Vernehmen nach sollen ein Pharmaunternehmen und eine Baumarktkette darunter sein.
- Daimler Truck hat bereits parallel die Entwicklungsphase für die nächste Generation seiner Brennstoffzellen-Lkw gestartet. Im Rahmen der Kleinserienproduktion sollen insgesamt 100 Sattelzugmaschinen im Mercedes-Benz Werk Wörth gebaut und ab Ende 2026 bei verschiedenen Kunden in den Praxisbetrieb gehen.
- Im GenH2 Truck steckt ein Brennstoffzellensystem von Cellcentric – einem Gemeinschaftsunternehmen, das Daimler Truck und Volvo 2021 gegründet haben.
- Bei der Reaktion von Wasserstoff und Luft wird in der Brennstoffzelle Strom erzeugt, mit dem der Elektroantrieb gespeist wird. Nur wenn der Wasserstoff mithilfe von „grünem“ Strom erzeugt wird, ist der Betrieb der Fahrzeuge CO₂-frei.
- Dass die Branche nach Lösungen sucht, verwundert angesichts ehrgeiziger EU-Klimaziele nicht. Schwere Lkw lieferten zuletzt rund sechs Prozent der gesamten deutschen Treibhausgasemissionen.
Das fehlende Netz von Wasserstofftankstellen sei allerdings schon „eine große Herausforderung“. Daimler Truck ist der Ansicht: Bis 2030 besteht der Bedarf, europaweit das Netz auf insgesamt 2.000 Wasserstofftankstellen auszubauen, um Brennstoffzellen-Lkw in großer Zahl einsetzen zu können. Wer diese Tankstellen errichtet – der Staat, private Unternehmen und Investoren – ist natürlich eine ganz andere Frage.
Daimler Truck: Die Brennstoffzelle hat nicht nur Fans
Dabei muss man wissen: Die Brennstoffzelle hat nicht nur Fans. So empfehlen etwa das Deutsche Institut für Wirtschaft (DIW) und das Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu) eher, sich auf Batterie-Lkw zu fokussieren. Vor allem, weil „grüner“ Wasserstoff absehbar ein teures und knappes Gut bleibe, das in anderen Sektoren – in der Stahlerzeugung oder der chemischen Industrie – dringender benötigt werde. „Obwohl Wasserstoff vergleichsweise günstig gespeichert werden kann, überwiegen seine Nachteile bei der Energieeffizienz“, heißt es in der Studie weiter.
Daimler Truck ist von der Doppelstrategie mit batterie- und wasserstoffbetriebenen Fahrzeugen überzeugt. Dabei sollen batteriebetriebene Lkw vor allem im regionalen Verteilerverkehr genutzt werden, wasserstoffbetriebene bei Schwerlasttransporten auf der Fernstrecke. Jenseits der 400 Kilometer sehe er GenH2 Trucks klar im Vorteil, erklärt zum Beispiel auch Moritz Lege, Speditionsleiter bei Wiedmann & Winz.
Daimler Truck: Preis für Wasserstoff aktuell hoch
So oder so: Damit ein Hochlauf erfolgreich wird, müssen die Kosten sinken. Daimler Truck macht keinen Hehl daraus, dass eine positive Betrachtung der Total Costs of Ownership – also die Gesamtbetriebskosten von Brennstoffzellen-Lkw gegenüber Diesel-Lkw – „zum einen durch den aktuell hohen Preis für Wasserstoff, aber auch aufgrund noch hoher Versicherungskosten zum jetzigen Zeitpunkt nicht gegeben ist“.
Entwickler Michael Scheib geht davon aus, dass der Kaufpreis eines Neufahrzeugs derzeit zwei bis zweieinhalb Mal höher wäre als bei einem konventionellen Modell. Ein Diesel-Lkw kostet in der Grundausstattung rund 100.000 Euro.
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