Wörth. Geräuschlos strömt der flüssige Wasserstoff in den GenH2 Truck. In weniger als 15 Minuten soll der Laster voll betankt sein, das ist vergleichbar mit einem Diesel-Modell. Die versprochene Reichweite mit einer Füllung: mehr als 1000 Kilometer. Wasserstoff-Lastwagen bieten noch einen entscheidenden Vorteil, denn sie benötigen keine schweren Batterien.
Für Martin Daum, Vorstandsvorsitzender von Daimler Truck, sind wasserstoffbasierte Antriebe eine „optimale Lösung“ für flexible und besonders anspruchsvolle Anwendungen im Schwerlast- und Fernverkehr.
Wörth in der Pfalz, ein Donnerstagmorgen im Entwicklungs- und Versuchszentrum von Daimler Truck. Das „EVZ“ ist so etwas wie die Experimentierstube. Genau hier wird am Güterverkehr der Zukunft gearbeitet. CO2-neutral im Fahrbetrieb sollen die Lastwagen sein.
Daimler Truck forscht schon seit mehreren Jahren an Lkw mit Wasserstoffantrieb. Nun werden diese im Transportbetrieb getestet, ungefähr ein Jahr lang. „Das sind Einblicke ins echte Leben“, erklärt Daum. Kunden können Erfahrungen sammeln und das Entwicklerteam von Daimler Truck daraus lernen, so die Idee. In der zweiten Hälfte des Jahrzehnts sollen die Wasserstoff-Modelle in Serie gefertigt werden. Daum, das merkt man ihm an, ist richtig stolz.
Tankstellen für Flüssigwasserstoff in Wörth und Duisburg
An dem Test beteiligen sich der US-Handelskonzern Amazon, die Chemiefirma Ineos, der Industriegas-Hersteller Air Products, der Baustoffproduzent Holcim und der Logistiker Wiedmann & Winz. Sie erhalten jeweils einen prototypischen Wasserstoff-Lkw - und zahlen eine monatliche Rate für das Fahrzeug und den Wasserstoff.
Mit den Prototypen sollen auf verschiedenen Fernverkehrsrouten unter anderem Baustoffe, Seecontainer und Flaschengase transportiert werden. Betankt werden die Fahrzeuge an dafür vorgesehenen Flüssigwasserstofftankstellen in Wörth und im Raum Duisburg (Nordrhein-Westfalen).
So funktioniert es
- Wasserstoff-Lkw sind - wie Wasserstoff-Autos auch - im Grunde genommen Elektrofahrzeuge.
- Im GenH2 Truck ist ein Brennstoffzellensystem samt Edelstahltanks verbaut, das den Strom für den Antrieb während der Fahrt erzeugt. Genauer gesagt: In der Brennstoffzelle wird elektrischer Strom aus Wasserstoff gewonnen. Wasserstoff und Luftsauerstoff reagieren, es entstehen Wärme und elektrische Energie. Letztere treibt im GenH2 Truck zwei Elektromotoren an.
- Als Abgas fällt lediglich Wasserdampf an.
Micha Lege kann es kaum erwarten. Er ist Geschäftsführer von Wiedmann & Winz aus Geislingen. „Unser Haus ist seit jeher an Innovationen interessiert“, sagt er. Zum Fuhrpark gehöre bereits ein batterie-elektrisch angetriebener eActros von Daimler Truck. „Nun freuen wir uns darauf, den nächsten Schritt zu gehen und mit dem GenH2 Truck auch einen Fernverkehrs-Truck mit Wasserstoff-Brennstoffzellenantrieb zu testen.“
Mit welchen Kosten das verbunden ist, dazu ist nichts in Erfahrung zu bringen. Daimler Truck äußert sich zu Preisen nicht. Klar ist allerdings, dass ein Wasserstoff-Lkw wesentlich mehr kostet als ein konventionelles Modell. Marktbeobachter schätzen, zwischen 200 000 und 600 000 Euro. Ein Diesel liegt bei rund 100 000 Euro.
Truck wird mit flüssigem Wasserstoff erneuerbaren Ursprungs betankt
Im GenH2 Truck steckt ein Brennstoffzellensystem von Cellcentric - einem Gemeinschaftsunternehmen, das Daimler Truck und Volvo 2021 gegründet hatten. Betankt wird das Fahrzeug mit flüssigem Wasserstoff erneuerbaren Ursprungs. Minus 253 Grad Celsius tiefkalter Flüssigwasserstoff wird in zwei jeweils seitlich am Fahrgestell montierte 44-Kilogramm-Edelstahltanks gefüllt.
Durch eine besondere Isolierung der Tanks kann der Wasserstoff den Angaben nach für eine ausreichend lange Zeit ohne aktive Kühlung auf Temperatur gehalten werden. Obgleich die Lagerung aufwendig ist: Daimler Truck setzt auf flüssigen Wasserstoff, da dieser über eine höhere Energiedichte verfügt als gasförmiger Wasserstoff.
Dass sich der Wasserstoff während der Lkw-Standzeiten über Nacht quasi in Luft auflösen könnte - diese Bedenken weist Rainer Müller-Finkeldei, Chefentwickler bei Mercedes-Benz-Trucks, im Normalbetrieb zurück. Erst nach einer Woche Standzeit oder noch länger verliere man größere Mengen an Wasserstoff.
Die Prototypen des GenH2 wurden zwar hauptsächlich in Wörth aufgebaut. Doch auch das Mannheimer Werk hat elektrische Komponenten und Kabelsätze beigesteuert.
Ziel von Daimler Truck ist es, in den Kernmärkten Europa, USA und Japan bis zum Jahr 2039 nur noch Neufahrzeuge anzubieten, die während der Fahrt kein klimaschädliches Kohlenstoffdioxid (CO2) ausstoßen. Das passiert nicht nur aus Spaß an der Freude, sondern vor allem wegen der Klimaziele der Europäischen Union.
VDA-Präsidentin Hildegard Müller appelliert an Politik
Beim Übergang vom Verbrennermotor zu neuen Antrieben setzt Daimler Truck wie andere Hersteller auch auf Batteriefahrzeuge. Der Fernverkehrs-Lkw eActros 600 soll Ende des Jahres in Serienproduktion gehen. Der Lastwagen schafft demnach 500 Kilometer ohne Zwischenladen.
„Die Hersteller haben die entsprechenden Modelle in Entwicklung und Produktion, jetzt müssen endlich die politischen Rahmenbedingungen geschaffen werden: Es muss dringend ein bedarfsgerechtes Netz an Wasserstofftankstellen und die dazugehörige Infrastruktur aufgebaut werden“, sagt Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA), die ebenfalls nach Wörth gekommen ist. Sie richtet ihre Worte vor allem an die Politik, die Bundesnetzagentur und die Energiewirtschaft.
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