Herr Gensheimer, die Europameisterschaft in Deutschland naht. Wären Sie wieder gerne Nationalspieler?
Uwe Gensheimer (lacht): Ja, natürlich. Ich erinnere mich beim Gedanken an diese EM sofort an die Weltmeisterschaft 2019 in Deutschland. Ein unvergessenes Erlebnis, ein absoluter Höhepunkt meiner Karriere. Die Unterstützung durch die Fans bei einem Heim-Turnier ist mit das Größte, was ein Sportler erleben darf. Da können sich die jetzigen Nationalspieler auf jeden Fall auf etwas sehr Schönes freuen.
Wie groß ist die Möglichkeit, dass aus Vorfreude auf ein Heim-Turnier plötzlich ein zu großer Druck wird, an der die Mannschaft zerbricht?
Gensheimer: Die Gefahr, dass es schief geht, besteht immer. Aber es kann in beide Richtungen gehen, das hat der Sport oft genug gezeigt. Es kann sich also genauso gut eine Euphoriewelle entwickeln. Die Voraussetzungen dafür sind für die deutsche Mannschaft mit den Fans im Rücken gegeben.
Wie bereitet man sich auf die gigantische Erwartungshaltung am besten vor?
Gensheimer: Die Mannschaft muss sich im Vorfeld damit beschäftigen, dass es knifflige oder auch mal schwierige Situationen bei solch einem Turnier gibt. Und trotzdem gilt es, keine Angst zu haben. Denn dann kann man vom Publikum wirklich durch die ganze EM getragen werden.
Gibt es tatsächlich einen Heimvorteil?
Gensheimer: Die Unterstützung der Fans sorgt ganz einfach für einen zusätzlichen Schub. Darauf hat jeder Spieler riesige Lust. Wenn ich an 2019 denke, da haben die Zuschauer noch einmal zusätzliche Kräfte bei uns freigesetzt. Man kommt in Köln in die Halle, da sitzen knapp 20 000 Leute, die haben fast alle Deutschland-Fahnen dabei, singen die Nationalhymne mit. Da habe ich schon vorm Anwurf eine Gänsehaut bekommen. Solch ein Erlebnis ist mit nichts anderem im Handball vergleichbar.
Was kann die EM für den Handball in Deutschland bewirken?
Gensheimer: Mit der größeren medialen Präsenz für den Handball bei einem internationalen Turnier geht natürlich immer die Hoffnung einher, mehr Kinder für diesen Sport zu begeistern, weil sie vielleicht in den Hallen plötzlich ihr großes Vorbild entdecken. Diesen Effekt wird man vermutlich erst ein paar Jahre später spüren. Natürlich ist es immer das Ziel, vor allem den Handball-Breitensport größer und populärer zu machen, neue Mitglieder für die Vereine zu gewinnen. Und möglicherweise kommt dadurch irgendwann auch mehr Leistung an der Spitze heraus.
Uwe Gensheimer
Uwe Gensheimer wurde am 26. Oktober 1986 in Mannheim geboren.
Der Weltklasse-Linksaußen erlernte das Handball-ABC beim TV Friedrichsfeld. 2003 wechselte er in die Nachwuchsabteilung der Rhein-Neckar Löwen. Mit Ausnahme eines dreijährigen Intermezzos bei Paris Saint-Germain (2016-2019) ist er für die Mannheimer aktiv.
2013 gewann er mit den Löwen den EHF-Pokal und 2016 die deutsche Meisterschaft. 2023 folgte der Pokalsieg. Mit Paris holte Gensheimer drei Meisterschaften und einmal den Pokal.
Fürs deutsche Nationalteam bestritt der Rechtshänder 204 Länderspiele und führte das Team jahrelang als Kapitän an. Bei Olympia 2016 gewann Gensheimer mit Deutschland Bronze.
Was trauen Sie der Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) zu?
Gensheimer: Nach Platz fünf bei der WM im Januar waren die Ergebnisse nicht ganz so optimal. Aber was in der Vergangenheit passiert ist, spielt eigentlich gar keine so große Rolle mehr, wenn es in Richtung Heim-EM geht. Wie gesagt: Solch ein Turnier vor eigenem Publikum kann eine gewisse Eigendynamik entwickeln. Es geht jetzt darum, die Vorbereitung gut zu nutzen, eine Klarheit im Spiel, in der Aufgaben- und Rollenverteilung zu erarbeiten.
Was kennzeichnet Ihrer Meinung nach das Team von Bundestrainer Alfred Gislason?
Gensheimer: Ich finde, dass die deutsche Mannschaft zuletzt in der Defensive in der ersten Formation keine großen Probleme hatte und in dieser Aufstellung mit dem Tempospiel auch Druck nach vorne entwickelt hat. Es gab jedoch einen kleinen Bruch, wenn Johannes Golla und Julian Köster ein paar Pausen brauchten. Aber jetzt haben wir mit Jannik Kohlbacher eine neue Alternative im Mittelblock, das zeigt er seit einigen Monaten bei den Rhein-Neckar Löwen. Er ist da sehr wichtig für uns. Das dürfte auch für Alfred Gislason beruhigend zu sehen sein, dass sich Jannik in der Abwehr so extrem gesteigert hat und problemlos im Deckungszentrum helfen kann.
Dort könnte auch Hendrik Pekeler spielen. Es wird immer wieder über seine Rückkehr in die Nationalmannschaft spekuliert und debattiert. Würden Sie ihn nominieren?
Gensheimer: Einen fitten Hendrik Pekeler würde ich immer zu einem Turnier mitnehmen.
Ihr ehemaliger Löwen-Kollege Andy Schmid glaubt, dass die Europameisterschaft in Deutschland alles in den Schatten stellen wird, was es jemals zuvor im Handball gegeben hat. Teilen Sie diese Einschätzung?
Gensheimer: Es ist auf jeden Fall bekannt, dass es außerhalb von Deutschland fast nirgendwo auf der Welt so viele große Arenen gibt, die auch voll sind, selbst wenn der Gastgeber nicht spielt. Die Begeisterung für den Handball ist hier einfach riesengroß – und zwar völlig unabhängig davon, welche Nationen da gerade auf dem Feld stehen. Das war 2019 schon so. Da waren die Spieler der anderen Nationen von diesem Turnier, von der Atmosphäre in den Hallen begeistert. Und von der EM 2024 werden auch alle Nationen schwärmen. Da bin ich mir sicher.
Womit die Überleitung zum Spielort Mannheim gelungen ist. Worauf dürfen sich die Fans in der SAP Arena auch ohne deutsche Mannschaft freuen?
Gensheimer: Ich bin mir sicher, dass wir sehr viele sehr enge Spiele in Mannheim sehen werden, weil die Leistungsdichte bei einer EM höher ist als bei einer WM. Wenn man sich ansieht, wer da alles in der SAP Arena spielt … das sind schon richtig gute Mannschaften. Titelverteidiger Schweden oder die Spanier, die es bei den zurückliegenden Turnieren immer bis ins Halbfinale geschafft haben. Dazu die Niederländer, die eine extrem gute Entwicklung genommen haben und die ich wirklich gerne spielen sehe. Ich bin ein Fan von ihnen, weil sie einen erfrischenden Handball zeigen und sicherlich werden auch die Kroaten viele Fans mitbringen. Da können sich schon jetzt alle auf tolle Spiele und eine sehr gute Stimmung freuen.
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