Fußball

EM-Teilnehmer Ukraine: In der Zange der Weltpolitik

Seit mehr als zwei Jahren befindet sich die Ukrainer in einem Verteidigungskrieg gegen Russland. Das zehrt extrem am Volk und auch der anfangs so beliebte Präsident wird mehr hinterfragt

Von 
Lothar Leuschen
Lesedauer: 
Angehörige getöteter Soldaten stellen an den Gräbern eine ukrainische Flagge auf. © dpa/Kay Nietfeld

In diesen Tagen war Wolodymyr Selenskyj in Deutschland unterwegs. Vor den Abgeordneten des Bundestages sprach der ukrainische Präsident über den Verlauf des Verteidigungskrieges gegen Russland, warb abermals um mehr militärische Unterstützung und bedankte sich dafür, dass Deutschland an der Seite seines Volkes stehe.

Gleichzeitig tagte in Berlin eine Konferenz, die Geld und Kümmerer einsammeln sollte für den Wiederaufbau des Landes, das einst die Kornkammer Europas gewesen ist. Die Schäden, die Russlands Artillerie im Nachbarland angerichtet haben soll, beläuft sich nach Schätzungen der Ukraine in Kooperation mit der Weltbank inzwischen auf annähernd 500 Milliarden Euro. Die Ukraine wird auf lange Sicht nicht in der Lage sein, diese Summe aufzubringen. Sie ist auf Hilfe angewiesen. Und diese Hilfe verspricht Selenskyj sich von der Europäischen Union, von Deutschland und auch von den USA.

Europawahlen besorgen Ukraine wegen Zugewinnen der Rechtspopulisten

Dass Selenskyj ausgerechnet nach der Europawahl in Berlin auftrat, ist vermutlich kein Zufall. Zwar bleibt das Europaparlament mehrheitlich in demokratischen Händen, aber die Skeptiker und Zerstörer haben an Kraft gewonnen.

Die EU wird von außen, aber nun auch verstärkt von innen bedroht. In Frankreich hat das rechtspopulistische, europakritische Rassemblement National noch einmal an Zustimmung gewonnen. Das bewog Präsident Emmanuel Macron, Neuwahlen anzuordnen, von denen er selbst zwar nicht betroffen ist. Aber ein Rassemblement an der politischen Macht könnte zur Folge haben, dass sich Frankreichs Europapolitik ändert und damit auch die Haltung der EU zur Ukraine. Das umso mehr, als auch in Italien die rechten Populisten um Regierungschefin Giorgia Meloni an Kraft gewonnen haben.

Der bange Blick aus Kiew geht auch zur US-Wahl im November

Da zudem in den Niederlanden die nationalistischen Populisten um Geert Wilders noch einmal zugelegt haben und auch Deutschland durch das Abschneiden der AfD am vergangenen Sonntag zumindest in der Außenwahrnehmung rechts blinkt, dürften sich Selenskyj und die Ukraine mit Fug und Recht als Wahlverlierer empfinden. Denn alle Rechtspopulisten der EU eint, dass ihnen das Schicksal der Ukrainer weit weniger am Herzen liegt als ein gutes Verhältnis Europas zu Russland, auch wenn dieses Russland von Wladimir Putin beherrscht wird.

Der Mannheimer Morgen auf WhatsApp



Auf unserem WhatsApp-Kanal informieren wir über die wichtigsten Nachrichten des Tages, empfehlen besonders bemerkenswerte Artikel aus Mannheim und der Region und geben coole Tipps rund um die Quadratestadt

Jetzt unter dem Link abonnieren, um nichts mehr zu verpassen

Außerhalb Europas sind die Perspektiven für die Ukraine derzeit nicht besser. In den USA ist es längst nicht mehr selbstverständlich, dass dem russischen Aggressor die Stirn geboten werden muss. Präsident Joe Biden von den Demokraten musste etwa wochenlang darum kämpfen, ein milliardenschweres Hilfspaket durch die politischen Gremien zu tragen. Und bei den Wahlen im kommenden November lauert der ebenso skandalumwitterte wie unter Rechtskonservativen beliebte Donald Trump auf Revanche. Sollte er tatsächlich ins Weiße Haus zurückkehren, hätte das vermutlich erhebliche Folgen für die Unterstützung der Ukraine.

Und dann ist da noch China. Dem Reich der Mitte warf Selenskyj jüngst vor, die Friedenskonferenz am kommenden Wochenende untergraben zu wollen. China selbst hat seine Teilnahme abgesagt und sieht sich im Verdacht, andere Staaten Asiens ebenfalls abhalten zu wollen. Das Verhältnis von Staatspräsident Xi zu Russland, der Ukraine und dem Krieg gilt als mehrdeutig. Zwar spricht Xi davon, Russland nicht unterstützen und einen Friedensprozess initiieren zu wollen. Auf der anderen Seite unterhalten Moskau und Peking aber enge wirtschaftliche Beziehungen, die dazu führen, dass Russland das Gas an China verkaufen kann, das Europa - vor allem Deutschland - nicht mehr nimmt. Allerdings zu einem Preis, der Putin zuletzt die Stimmung verhagelt haben soll.

Das ukrainische Volk wird zunehmend kriegsmüde

Zu aus Selenskyjs Sicht allem Überfluss ist auch die Position des Präsidenten der Ukraine längst nicht mehr unumstritten. Die Ukrainer werden kriegsmüde. Das Dauerbombardement, die verlustreichen Stellungskämpfe und die zuweilen autokratisch wirkende Amtsführung des 46 Jahre alten Staatspräsidenten schüren Unruhe im Land. Wichtigster und prominentester Kritiker Selenskyjs ist einer, der im Kampf gegen Russland aber fest an der Seite des Präsidenten steht: Wladimir Klitschko - Ex-Boxprofi und Oberbürgermeister in der Hauptstadt Kiew - hat ein distanziertes Verhältnis zu Selenskyj.

Mehr zum Thema

Fußball

Die Heim-EM beginnt: Was jetzt noch zu wissen ist

Veröffentlicht
Von
Thomas Rellmann
Mehr erfahren
Fußball

Das lange Warten des Oliver Baumann beim DFB-Team

Veröffentlicht
Von
Andreas Öhlschläger
Mehr erfahren
Fußball

EM-Teilnehmer Serbien: Nationalismus, Gewalt und Russland-Nähe

Veröffentlicht
Von
Alexander Schulte
Mehr erfahren

Das gilt auch für Vitali Schabunin. Anders als Klitschko ist er Selenskyj jedoch noch nie persönlich begegnet. Aber der 39 Jahre alte Aktivist beobachtet intensiv, was in seinem Heimatland geschieht. Schabunin hat sich dem Kampf gegen Korruption verschrieben. Das bringt ihm Schwierigkeiten ein. In einem Telegram-Kanal, den er selbst in Regierungskreisen verortet, wird ihm alles Mögliche vorgeworfen. Er sei ein Deserteur, bediene sich widerrechtlich eines Militärfahrzeuges und homosexuell sei er obendrein.

Schabunin dient nach eigenen Angaben vom ersten Kriegstag an im Militär. Die Anwürfe geschehen anonym, aber der Aktivist ist sicher, den Absender zu kennen. Der Antikorruptionsaktivist fordert den Westen auch auf, seine Hilfszusagen viel stärker an Reformen zu knüpfen. Die hält Schabunin für dringend geboten. Lediglich Militärhilfe wünscht sich der 39 Jahre alte Soldat bedingungslos. Sonst sieht er die Ukraine untergehen.

Thema : Fußball-EM 2024

  • Nationalmannschaft Bewegte Zeiten

    Der DFB zelebriert mit 400 geladenen Gästen seinen Festakt zum 125-jährigen Bestehen

    Mehr erfahren
  • Sport Grünes Licht für Saudi-Arabien

    Auch der DFB erklärt seine Zustimmung zur umstrittenen Doppelvergabe der Weltmeisterschaften 2030 und 2034

    Mehr erfahren
  • Fußball 7:0-Gala gegen Bosnien: Ist die DFB-Elf zurück in der absoluten Weltspitze?

    Die Nationalmannschaft begeistert beim 7:0 gegen Bosnien-Herzegowina Fachleute und Fans. Ist dieses Team schon bei der Weltmeisterschaft 2026 wieder reif für einen großen Titel?

    Mehr erfahren

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen