Fußball

EM-Teilnehmer Serbien: Nationalismus, Gewalt und Russland-Nähe

Das Image des Balkan-Staates Serbien ist nicht das beste, was an der Vergangenheit und der Gegenwart liegt. Der Krieg in den 1990er-Jahren wirkt noch nach. Verbrecher von damals werden mitunter noch verehrt

Von 
Alexander Schulte
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Würde in einer Umfrage nach dem unsympathischsten Land bei dieser EM gefragt, Serbien wäre ganz vorne dabei. Gegenüber der serbischen Bevölkerung ist das sicher ungerecht, doch politisch ist die einst dominante Teilrepublik des ehemaligen Jugoslawien seit der Auflösung des Vielvölkerstaates Anfang der 1990er-Jahre schlecht beleumundet: Blutige Kriege, Vertreibungen, ethnische Säuberungen werden auf dem Balkan vor allem mit den Serben verbunden; Milosevic, Karadzic, Mladic sind die berüchtigten Namen dazu.

Rechtsstaatliche Prinzipien werden ignoriert

Verteidiger Serbiens gibt es nur wenige. Der Schriftsteller Peter Handke ist ein prominenter. Das liegt vor allem daran, dass die meisten politischen Beobachter mit dem christlich-orthodoxen Balkanstaat und seinen 6,7 Millionen Einwohnern auch in der Gegenwart nicht allzu viel Gutes verbinden. Innenpolitisch bestimmt Präsident Aleksandar Vucic seit 2012 in unterschiedlichen Funktionen die Geschicke des Landes, seit 2017 als Präsident. Und Vucic - einst Mitglied der radikalen Ultranationalisten und Minister unter dem verurteilten Kriegsverbrecher Slobodan Milosevic - führt ein Regiment, das rechtsstaatlich-demokratische Grundprinzipien wie freie Medien oder eine unabhängige Justiz attackiert. Korruption und Wahlbetrug sind weitere Vorwürfe

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Außenpolitisch fährt Serbien einen Zickzackkurs zwischen einer Annäherung an den Westen und der traditionell engen Bindung zu Russland - ergänzt durch intensivierte Wirtschaftsbeziehungen zu China, die sich unter anderem in der 2022 realisierten Eisenbahn-Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Belgrad und Novi Sad manifestierten. Oder darin, dass Xi Jinping auf seiner jüngsten Europareise nur drei Städte besuchte - darunter Belgrad.

Wahlbeobachter stellen Einschüchterung, Wahlbetrug und Stimmenkauf fest

Seit 2012 hat Serbien den Status eines EU-Beitrittskandidaten, seit zehn Jahren wird mit Brüssel verhandelt. Wirklich vorangekommen ist man nicht. Auch das trägt dazu bei, dass Putins Russland - als Energielieferant ohnehin unverzichtbar - näher heranrückt.

Gewalt ist in der serbischen Politik und Gesellschaft tief verwurzelt. Bezeichnenderweise ging bei den jüngsten Parlamentswahlen das Oppositionsbündnis unter dem Namen „Serbien gegen Gewalt“ an den Start. Am Ende siegte Vucics SNS klar, allerdings stellte eine Wahlbeobachtungskommission der OSZE erneut Wahlbetrug, Stimmenkauf, Einschüchterung und Gewalt fest. Ganz zu schweigen von der massiven Beeinflussung der wichtigsten Sender und Zeitungen. Trotzdem oder gerade deshalb gehen immer wieder Tausende Demonstranten auf die Straße, bedrängen das Regime.

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Vucic rede oft wie ein „Hooligan aus dem Belgrader Milieu, zu dem er beste Beziehungen pflegt“, schrieb die „Zeit“ kürzlich. Dazu passt, dass diese Woche bekannt wurde, dass die Polizei in Gelsenkirchen große Sorgen vor dem ersten Spiel der Serben gegen England hat, weil sie 500 gewaltbereite Fans aus Serbien erwartet.

Frust über verlorenes Reich und Sehnsucht nach nationaler Größe

Tatsächlich werden Kriegsverbrecher wie Ratko Mladic zum Teil offen verehrt. Sein Konterfei ist auf Häuserwänden in Belgrad verewigt - samt der Parole „Ein serbischer Held“.

Auf der anderen Seite inszenieren sich Vucic und die ihm hörigen Medien gerne als Opfer - ähnlich wie die autokratischen Regime in Russland, der Türkei oder dem Iran. Sie eint der Frust über ein verlorenes Reich und die Sehnsucht nach nationaler Größe. Das Eingreifen der NATO im Kosovo-Krieg 1998/99 samt Bombenangriffen auf Belgrad haben viele Serben nicht als Notwehr gegen einen neuen Völkermord, sondern als pure Aggression gegen ihr Volk verinnerlicht. Bis heute stehen Ruinen als steinerne Anklage gegen die NATO.

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